«Viel mehr als nur Daumen rauf»

Steiner & Madlaina haben das Auftreten im Duo wiederentdeckt und kräftig gefeiert, ­bevor sie wegen der Weltlage Katerstimmung übermannte.
Ehrlicher Austausch mit den Fans. Steiner & Madlaina kehren zu ihren Ursprüngen zurück. (Bild: Crisost Koch)

Baden – Nora Steiner und Madlaina Pollina touren mit minimalistischem Konzept durch die Schweiz: nur mit ihren Stimmen und ihren Instrumenten. Das Duo aus Zürich lässt zehn Jahre nach der Veröffentlichung seiner ersten Songs so die besondere Intimität der Anfangszeit wieder aufleben.

Sie haben im Herbst die EP «Ich kann’s nicht glauben» veröffentlicht und spielen die fünf Songs auf Ihrer Tournee nicht. Das ist ja wirklich nicht zu glauben!
Madlaina Pollina: Ursprünglich war es so gedacht, dass … Ich muss noch etwas weiter ausholen. Wir hatten vor einem Jahr ein Album zu schreiben begonnen, bevor wir auf der Tournee im Duo im Vorprogramm von Element Of Crime auf eine andere Idee kamen.
Nora Steiner: Die Konzerte erinnerten uns an unsere Anfänge, als wir noch jung waren und ohne Band auftraten. Die Herausforderung lag darin, unsere Lieder so auszuwählen oder zu reduzieren, dass wir sie allein spielen konnten. Dabei bekamen wir Lust, ein Album mit Duosongs zu machen.
Pollina: Da wir die vorher entstandenen tanzbaren Indie-Pop-Songs nicht bis zur Tournee mit Band, die im Sommer beginnt, auf Eis legen wollten, beschlossen wir, sie auf einer EP zu veröffentlichen.
Steiner: Es ist kompliziert, aber die Leute bekommen jetzt vor allem Lieder vom kommenden, jedoch noch nicht ganz fertigen Album zu hören.

Sie geben viele Konzerte. Was ­mögen Sie daran besonders?
Steiner: Es ist faszinierend, dass sich die Lieder jeden Abend von einer anderen Seite zeigen, je nach Publikum.
Pollina: Konzerte sind der schönste und ehrlichste Austausch mit dem Publikum. Deshalb haben wir passende kleine Clubs ausgesucht, in denen 100 oder höchstens 300 Leute Platz haben. Das Feedback, das wir dort bekommen, sagt viel mehr aus als nur Daumen rauf oder Daumen runter.

Sind Sie deshalb auf Social Media wenig aktiv?
Pollina: Wir lassen es manchmal schleifen, weil es so viel Arbeit ist und uns keinen Spass macht. Wenn man sich zu Sachen zwingt, merken es die Fans sowieso. Wir nehmen uns lieber Zeit für unseren Auftritt im Internet.

Kennen Sie die Einsamkeit in ­anony­men Hotelzimmern nach
dem Rausch auf der Bühne?

Steiner: Nein, mit gefällt es immer noch, in Hotels zu schlafen. Ausserdem haben wir viele Freunde in unserer Road-Crew. Wir müssen eher aufpassen, dass wir es mit ihnen nach den Konzerten nicht zu lustig haben und rechtzeitig ins Bett kommen.

Auf dem Cover Ihrer EP sieht man ausser Ihnen einen Aschenbecher und ein Weinglas. Wie wichtig sind diese Dinge für Sie?
Pollina: Ich höre in diesem Jahr auf zu rauchen. Das habe ich mir versprochen und will mich nicht enttäuschen. Ich rauche schon viel weniger.
Steiner: Wir lieben diese Art von Genussmittel, aber es geht auch ohne sie. Das ist das Wichtigste. Aber zur Party im Hochsommer, bei der das Foto entstanden ist, haben sie gepasst.
Pollina: Ich hatte meine Liebsten für vier Tage in eine Villa in Italien eingeladen, um meinen 30. Geburtstag zu feiern. Das klingt dekadent, und ich werde es mir auch so schnell nicht mehr leisten können. Ich kam mir damals vor, als würde ich heiraten, wir haben aber vor allem viel ­gesungen und gelacht.

Sie singen viel über die Liebe, aber nicht nur von Schmerz und Glück wie andere, sondern ebenfalls über humoristische Aspekte.
Steiner: Wir würzen unsere Songs gern mit einer Prise Ironie und freuen uns, wenn es zwischendurch wahrgenommen wird.

Ihre Songs beschäftigen sich ausserdem mit gesellschaftlichen Themen. Sind Sie, Madlaina Pollina, speziell von Ihrem Vater, Cant­autore Pippo Pollina, beeinflusst?
Pollina: Was ich sicher von ihm gelernt habe, ist, dass es wichtig ist, sie in der Musik zu verarbeiten. Meine ­Eltern wollten von mir und meinem Bruder Julian – besser bekannt als ­Faber – schon sehr früh wissen, wie wir darüber denken, was auf der Welt passiert.
Steiner: Da meine Mutter Griechin ist und nicht gut Deutsch konnte, als sie aus Liebe zu meinem Vater in die Schweiz kam, sprachen wir über gewisse Formen von Rassismus, mit denen sie konfrontiert war. Ich weiss nicht, wie das bei dir war.
Pollina: Mein Vater ist Italiener, das ist akzeptiert.

Sie singen praktisch nur auf Hochdeutsch, selten in Mundart und gar nicht mehr auf Englisch. Weshalb?
Steiner: Wir haben immer hauptsächlich auf Hochdeutsch geschrieben, weil wir das von Vorbildern wie Element Of Crime oder Sophie Hunger kannten und bei uns fast nur auf Hochdeutsch gelesen wird.
Pollina: Mundartpoesie kenne ich, abgesehen von Pedro Lenz, nicht und bin zudem in den Textnachrichten nicht jugendsprachlich auf Schweizerdeutsch unterwegs. Ein ganzes Album in Mundart zu machen, wäre für uns schwierig, aber einen Song gibt es dieses Mal wieder.

Nora Steiner und Madlaina Pollina machen seit über zehn Jahren gemeinsam Musik. (Bild: Crisost Koch)


Schreiben Sie Ihre Texte nach wie vor separat?
Steiner: Anfangs ja, den Feinschliff geben wir ihnen gemeinsam.

Früher haben Sie in einer WG ­gelebt. Wie ist es heute?
Pollina: Nora lebt in Zürich, ich habe mich in Wien verliebt und bin dortgeblieben, komme aber ihret- und der Band wegen immer wieder in die Schweiz.

Unterscheidet sich das Lebens­gefühl in diesen Städten?

Pollina: Kürzlich las ich in einem Ranking, dass das die beiden lebenswertesten Städte der Welt wären, wobei man sich die Lebensqualität in Wien auch leisten kann. (Lacht.) Als ich eine Wohnung suchte, habe ich ­sogar eine abgelehnt. Das würde in Zürich niemand tun.

Fällt es Ihnen schwer, der Freundschaft neben der Musik genügend Platz einzuräumen, wo Sie nun ­geografisch getrennt sind?

Steiner: Wenn wir so beschäftigt sind wie im Moment, kommt sie manchmal zu kurz. Dann braucht es einen Effort, damit wir die Arbeit auf die Seite legen.
Pollina: Wenn mich Nora in Wien besucht, fällt es leichter. Das Erste, was wir dann tun, ist, ein Schnitzel essen zu gehen. Immer. Als Allererstes! (Lacht.)

Wie erleben Sie die gegenwärtig unruhigen Zeiten?
Pollina: Kürzlich unterhielt ich mich mit einer Freundin meiner Mutter. Sie sagte, ich sei erst 30 und hätte alles noch vor mir. Was für ein Glück! Ich schaute sie an und antwortete: «Wenn ich die Zeitung aufschlage, erzeugt es in mir eher Beklemmung.»
Steiner: Speziell weckt es in mir Angst und Wut, wenn ich beobachte, wie Politiker die Freiheiten beschneiden, die unsere Mütter und frühere Generationen hart erkämpfen mussten.
Pollina: Es ist krass, wie Trump und Co. in den USA das Recht auf Abtreibung auszuradieren versuchen.

Wie gehen Sie mit der Weltlage um?
Steiner: Wir haben darüber Songs geschrieben, was ein wenig hilft. Aber es ist uns aufgefallen, dass wir im kommenden Album resignierter klingen als auch schon.

Gibt es etwas, das Ihnen trotz allem Hoffnung macht?
Pollina: Ich schöpfe aus schönen ­alltäglichen Begegnungen, positiven sozialen Kontakten, am meisten Kraft.
Steiner: Bei allem, war gerade passiert, weiss ich auf diese Frage keine Antwort.