Das 80-Meter-Rennen auf der Eierbahn

Seit 1890 bewegt der Eieraufleset das Dorf. Mit Masken, Velos, rohen Eiern und Humor wird der Winter vertrieben und der Frühling begrüsst.
«Winter» und «Frühling» traten gegeneinander an. (Bild: isp)

Auenstein – Am vergangenen Sonntag fand es wieder pünktlich um 14.01 Uhr statt: das traditionelle Auensteiner Eierauflesen. Seit 125 Jahren wird dieser witzige und amüsante Event im Zwei­jahresrhythmus durchgeführt. Die eigentlichen Vorbereitungen für den Eieraufleset beginnen aber viel früher.
Zwei Wochen vorher werden die Soiblotere aufgeblasen. Diese spielen eine zentrale Rolle beim Anlass. Soiblotere sind Schweineblasen, die mit Druckluft gefüllt werden. Sie werden zum Trocknen aufgehängt und dienen als traditionelle Luftballons. Bei der Veranstaltung werden sie von maskierten Figuren genutzt, um die Eierleser zu behindern. Wenn die Soi­blotere auf den Boden treffen, platzen sie mit einem lauten Knall, was für zusätzliche Unterhaltung sorgt.
Eine Woche vor dem Grossanlass gehen die Organisierenden auf Tour. In einem Schreiben, das an die Dorfbewohnerinnen und -bewohner vorab verschickt wird, steht Folgendes: «Wir erlauben uns, am Dienstag und Mittwoch ab 18 Uhr an Ihre Tür zu klopfen. Mit Ihrer Spende von rohen Eiern und/oder Geld helfen Sie uns, die notwendigen Masken, Kostüme und Eier zu beschaffen. Haben Sie alte Velos oder Scooter – wir können diese gut gebrauchen, sprechen Sie die Sammler darauf an.»

Erstmals an der Aarauerstrasse
Aber worum geht es bei dem Eieraufleset? «Bis anhin wurde der Event an der Dorfstrasse und auf dem Dorfplatz durchgeführt. Erstmals fand er nun aufgrund des grossen Interesses an der Aarauerstrasse statt. Die Festwirtschaft zog auf das Werkhofareal», verrät Cyril Schwammberger, verantwortlich für die Medien und die Werbung beim Eieraufleset.
Das Eierauflesen ist ein alter heidnischer Brauch, um symbolisch den Winter zu vertreiben und den Frühling zu begrüssen. In der Schweiz gehen erste schriftliche Überlieferungen dieses Brauchs auf das Jahr 1556 aus der Stadt Basel zurück. Das Eierauflesen hat in Auenstein eine sehr lange und alte Tradition. Seit den 1980er-Jahren wird es wieder regelmässig durchgeführt.
Im Kanton ­Aargau gibt es weitere Eieraufleset in Dintikon, Oeschgen und Effingen. Die Art und die Figuren bei dem Eieraufleset sind aber von Dorf zu Dorf sehr unterschiedlich.
Zwei Teams treten gegeneinander an: die Frühlingsläufer und die Winterläufer. Auf einer 80 Meter langen Strecke werden auf beiden Seiten je 80 Eier auf Sägemehlhäufchen im ­Abstand von einem Meter platziert. Zwei Läufer des Frühlings müssen nun diese Eier auflesen und am Ende der Strecke in ein 20 Meter entferntes Tuch werfen. Pro Ei legen sie die Strecke zweimal zurück, insgesamt also 160 Meter.
Fehlwürfe, bei denen die Eier nicht im Tuch landen, erfordern zusätzliche Läufe. Gleichzeitig laufen zwei Vertreter des Winters eine festgelegte Strecke von Auenstein nach Bözenegg (Gemeinde Schinznach) und zurück.​ Während des Wettkampfs erschweren verschiedene Figuren wie Strohmänner, Feuerwehrmänner, Chnorriger, Bajassen sowie der «Alte» und die «Alte» den Läufern die Aufgabe, was für Unterhaltung bei den Zuschauerinnen und Zuschauern sorgt. Wer die Aufgabe am schnellsten absolviert, hat gewonnen.
«Nach dem Wettkampf findet das traditionelle Spiegeleieressen statt, bei dem die tagsüber verwendeten Eier gekocht und verzehrt werden. Durch die lebhafte Teilnahme und das wachsende Interesse stärkt dieses ­Ereignis das Gemeinschaftsgefühl und fördert die Identifikation der Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner. Zudem zieht es zahlreiche Besuchende an, und Auenstein kann sich als lebendige und traditionsbewusste Gemeinde präsentieren», sagt Cyril Schwammberger abschliessend.​