Wettingen – Wettingens Ortsbürger geben rund 100 000 Quadratmeter Land ab, damit sich ein internationaler Konzern dort einrichten kann. An der ausserordentlichen Ortsbürgergemeindeversammlung vom 22. April wurde durch den Gemeinderat, die Finanzkommission (Fiko) der Ortsbürger sowie die Ortsbürgerkommission beantragt, die an der Tägerhardstrasse und an der Gemeindegrenze zu Würenlos liegenden Parzellen 798 und 3271, die sich im Besitz der Ortsbürgergemeinde befinden, im Baurecht für die Ansiedelung einer internationalen Industrieunternehmung abzugeben.
Dass es sich dabei um ein schwerwiegendes Ansinnen handelt, zeigte sich darin, dass Gemeindeammann Roland Kuster im Lägernsaal des Tägi 180 der 649 eingetragenen Stimmberechtigten begrüssen durfte. In seinen Ausführungen hielt Kuster fest, dass die Unternehmung, die den Schweizer Hauptsitz und damit den Steuersitz nach Wettingen verlegen würde, nicht in den Sparten Chemie und Pharma, sondern im Bereich Hightech tätig sei. «Das Unternehmen evaluiert auch an anderen Standorten, und die Mitarbeitenden wurden noch nicht informiert», so Kuster. Das sei mit ein Grund, weshalb der Firmenname nicht genannt werden dürfe. «Gleichwohl sollen Voraussetzungen geschaffen werden, dass die Ansiedelung in Wettingen gelingt. In einem Letter of Intent wurden die Rahmenbedingungen zwischen Regierungsrat, Gemeinderat und Unternehmung festgehalten», fuhr er fort.
Auf dem etwa 100 000 Quadratmeter grossen Areal sollen durch ein Investitionsvolumen von 400 Millionen Franken in einem mehrstufigen Entwicklungsschritt zwischen 2030 und 2040 2000 bis 3000 Arbeitsplätze entstehen. Die Erreichbarkeit wäre durch die Nähe zur Autobahn und zum öffentlichen Verkehr gesichert, wobei eine S-Bahn-Haltstelle im Tägerhard unabdingbar wäre – kein unmögliches, aber auch kein leichtes Unterfangen.
Chance beim Schopf packen
Kuster bemerkte zudem, dass Wettingen kein grosses Arbeitsplatzangebot verzeichnen könne, was sich in Form von geringen Unternehmenssteuereinnahmen zeige. Mit diesem Projekt eröffne sich laut Kuster die Chance, jährlich 10 Millionen Franken an Unternehmenssteuern zu generieren, was etwa 20 Prozent der heutigen Steuereinnahmen Wettingens entspreche.
Kuster kam auch auf den Verlust von 10 Hektaren Fruchtfolgeflächen zu sprechen, die fünf betroffene Landwirte durch das Projekt verlieren. Das sei bedauerlich, zumal diese Flächen wohl nicht in nächster Nähe kompensiert werden könnten. Von der Ansiedelung der Unternehmung wäre weiter die Tägerhard Kies AG betroffen, mit der auf diesen Flächen seit 2015 eine Dienstbarkeit bestehe. «Diesbezüglich hat zwischen dem Gemeindeammann, dem Regierungsrat und der Tägerhard Kies AG schon ein Gespräch stattgefunden», erklärte Josef Meier. In seinem Votum versicherte der Fiko-Präsident der Ortsbürgergemeinde, dass man gewillt sei, für die Dienstbarkeit eine saubere Lösung zu finden.
Urs Meier, Verwaltungsratspräsident der Tägerhard Kies AG, bezeichnete die Situation als belastend, zumal man bereits Entschädigungen ausgerichtet habe und die Auswirkungen des Projekts noch nicht absehbar seien. Er zeigte sich jedoch offen für Gespräche, um das gute Verhältnis nicht zu gefährden. Auch Martin Egloff, Gemeinderat und Ortsbürgerkommissionspräsident, erklärte, dass man sich der sich bietenden Chance grossmehrheitlich nicht in den Weg stellen wolle. Das ist insofern wichtig, als eine Ansiedelung die Einzonung der betroffenen Flächen als Arbeitszone bedingt. Diese soll jedoch nur vollzogen werden, wenn der Baurechtsvertrag zustande kommt.
Kritik an Berechnung
Dass die beantragte Landabgabe im Baurecht nicht nur Freude hervorruft, ging aus den Wortmeldungen einzelner Teilnehmender hervor. So vermutete ein Ortsbürger, dass der Gemeinderat einen Goldesel gefunden habe, und bezeichnete die in den Unterlagen aufgeführten Mehrwertabgaben von 9 Millionen Franken als zu niedrig. Seine Berechnungen hätten ergeben, dass es zusammen mit den Planungskosten von 15 Millionen Franken bei einem Baurechtszins von jährlich 500 000 Franken 25 bis 30 Jahre dauere, um diese Ausgaben wieder zu generieren. Demgegenüber hielt Kuster fest, dass die Kosten für die Einzonung von der Einwohnergemeinde zu tragen seien.
Bekanntgabe bis im Winter
Obwohl Kuster einleitend auf die Gründe für die Geheimhaltung des Firmennamens hingewiesen hatte, rief dieser Umstand bei einzelnen Votanten Unmut hervor. In der Folge wurde einem Antrag auf geheime Abstimmung zugestimmt, und der Vorsitzende gab den Abstimmungsmodus bekannt. Durch die geltende Ausstandsregelung wurden 14 Personen von der Stimmabgabe ausgeschlossen. Mit 116 zu 50 stimmten die anwesenden Ortsbürgerinnen und Ortsbürger für die Landabgabe im Baurecht. Obwohl das Quorum der erforderlichen 130 Stimmen nicht erreicht wurde und der Entscheid der Versammlung dem fakultativen Referendum untersteht, können nun Verhandlungen mit der Unternehmung aufgenommen werden.
Roland Kuster bedankte sich für die aktive Mitwirkung und das mit dem Resultat bekundete Vertrauen. Er stellte in Aussicht, das Geheimnis um den Namen des Unternehmens bis spätestens zur Ortsbürgergemeindeversammlung am 8. Dezember zu lüften.