Die ESA wirkt nun auch von Villigen aus

Eine Aufwertung des ­Forschungsstandorts Aargau: die erste Präsenz der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) in der Schweiz.
Das neue Center der ESA steht in Villigen. (Bilder: ESDI)

Villigen – Es ist ein Meilenstein in der Entwicklung des Paul-Scherrer-Instituts (PSI) und der ihm angegliederten Institutionen: Am 27. Mai wurde mit der Einweihung des European Space Deep-Tech Innovation Centre (ESDI) ein Kompetenzzentrum vorgestellt, das höchstrangige Technologie der Nutzung im Weltraum zuführen will. Von Villigen ins Universum – faszinierend! Der «General-Anzeiger» informierte sich beim Leiter des ESDI, ­Johann Richard, über den Hintergrund dieser Entwicklung.

Johann Richard, bitte stellen Sie sich kurz vor.
Ich bin 1976 geboren. Seit früher Kindheit übte der Weltraum und dessen Erforschung eine grosse Faszination auf mich aus. Nach dem Studium der Physik und der Mikroelektronik sowie verschiedenen Stellen in der Privatwirtschaft gehörte ich während über zehn Jahren der Schweizer Delegation bei der ESA an. In dieser Funktion habe ich dort unter anderem die Umsetzung von technischen Programmen begleitet. Seit 2024 bin ich fest bei der ESA angestellt und leite in ­deren Auftrag das ESDI.

Was muss man sich unter Deep Tech vorstellen?
Unter diesem Titel sollen die Grenzen des technologisch Möglichen immer weiter hinausgeschoben werden. Was in der Wissenschaft und in der Technik gestern noch als undenkbar galt, macht die Forschung heute möglich, und morgen wird es selbstverständlich. Als Beispiel nenne ich die Präzision von Messgeräten. Gerade im Weltraum können geringste Abweichungen zum Misslingen ganzer Forschungsprojekte führen. Je präziser ein Messgerät funktioniert, desto ergiebiger und relevanter werden die Resultate. Deep Tech ermöglicht das und noch viel mehr.

Welche Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem ESDI zu?
Es nimmt gewissermassen die Scharnierstelle, eine Vermittlerfunktion zwischen der ESA und der Schweiz ein. In engstem Austausch mit dem ETH-Bereich, dem PSI und der Privatwirtschaft sollen dessen Forschungserkenntnisse für den Weltraum nutzbar gemacht werden.

Also Forschung um der Forschung willen? Oder dienen diese Anstrengungen auch der Allgemeinheit?
Alle in Europa lebenden Menschen können von dieser Entwicklung profitieren. Stichworte sind zum Beispiel die Wettervorhersage, die Genauigkeit der in den Autos eingebauten Navigationsgeräte oder die Erkenntnisse, die aus einer immer differenzierteren Erdbeobachtung gewonnen werden. Dabei ist zu erwähnen, dass die dafür eingesetzten Satelliten und deren Messgeräte den Anforderungen des Weltraums genügen müssen. Dazu gehören die Kälteresistenz, die Wartungsfreiheit und eine lange Lebensdauer. Von den Fortschritten, welche die Technologie hier erzielt, profitieren demnach auch andere Forschungszweige.

Wer steht hinter dem ESDI?
Die ESA und die Schweiz. In den technischen Hochschulen der Schweiz besteht gleich wie im PSI eine ausserordentlich hohe Kompetenz in den erwähnten Wissens- und Forschungs­feldern. Der interdisziplinäre Austausch ist hier leicht möglich und deshalb gängige Praxis.

Wer übernimmt die Finanzierung des ESDI?
Der Bund hat eine Anschubfinanzierung geleistet. Die ESA und der ETH-Bereich sichern nun gemeinsam den Betrieb vorerst für vier Jahre. Weitere Quellen dürften sich aus der Nutzbarmachung unserer Erkenntnisse und Arbeiten ergeben. Wir wollen uns kommerziell relevant und wissenschaftlich exzellent präsentieren.

Warum hat die ESA ausgerechnet Villigen für ihre erste feste Präsenz in der Schweiz ausgewählt?
Das PSI in Villigen erscheint – wie oben erwähnt – für die Ziele und Absichten der ESA als idealer Standort. Hier steht eine hoch entwickelte Forschungsinfrastruktur zur Verfügung. Diese wird von Spezialisten aus aller Welt genutzt. Dadurch ist die Voraussetzung gegeben, die eine niederschwellige Zusammenarbeit, einen Dialog zwischen unterschiedlichsten Exponenten verschiedener Fachgebiete ermöglicht. Hinzu kommt, dass sich in der Schweiz gut ausgebildetes Fachpersonal finden lässt, das die «handwerklichen» Fähigkeiten besitzt, die nötig sind, um die theoretischen Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen, zum Beispiel mit dem Bau von neuen Computergenerationen, im Bereich der Robotik oder der künstlichen Intelligenz.

Die Einweihung des ESDI ist also tatsächlich ein Meilenstein.
Die Bedeutung des Anlasses wurde unterstrichen durch die Anwesenheit verschiedener wichtiger Persönlichkeiten. Unter ihnen sind der ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher, die Schweizer Staatssekretärin für Bildung, Forschung und Innovation, Martina Hirayama, und Joanne Sieber, CEO der Stiftung Deep Tech Nation Switzerland, zu nennen. Ausserdem Christian Rüegg, Direktor des PSI, Thomas Zurbuchen, früherer Wissenschaftsdirektor der Nasa, und der Arzt und Astronaut Marco Sieber.