Die Lage in Deutschland ist ernst

Sinkende Verkaufszahlen, herbe Gewinneinbrüche, Werkschliessungen: Die deutschen Autohersteller stecken tief in der Krise. Eine Besserung ist derzeit nicht in Sicht – doch es besteht Hoffnung.
Die deutschen Autohersteller stecken in der Krise. Die grössten Probleme haben einen politischen Ursprung. (Bilder: zvg)

Die dramatischen Schlagzeilen reissen nicht ab. Umsatzeinbussen, Gewinnwarnungen, Werkschliessungen und Entlassungen: Die deutsche Autoindustrie steckt tief in der Krise. Die Gründe dafür sind vielfältig. Miss­management, Abgasskandale, neue Konkurrenz aus China und Produkte, die bei den Kunden nicht ankommen, sind nur einige davon. In erster Linie sind es politische Irrfahrten, die dem einst so einträglichen Industriezweig stark zugesetzt haben. Bürokratiemonster wie das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder die vergleichbare «Corporate Sustainability Due Diligence Directive» aus Brüssel, immer strengere Sicherheits- und Abgasvorschriften, ambitionierte CO2-Grenzwerte und letztlich das beschlossene Verbot des Verbrennungsmotors ab 2035 schnüren den deutschen Herstellern die Luft ab.

«Es ist eine toxische Mischung aus Berlin und Brüssel, die langfristig dem Autostandort Deutschland grossen Schaden zufügt», bestätigt Autoforscher Ferdinand Dudenhöffer. Auch Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management an der Fachhochschule Bergisch Gladbach, schätzt die Lage als bedrohlich ein: «Die deutsche Autoindustrie hat enorme konjunkturelle Probleme, sie verzeichnet Absatzrückgänge und Rückgänge in der Produktion.» Stefan Bratzel zeichnet ein düsteres Bild: «Die Zeit rennt uns davon. Wir müssen jetzt handeln. Es brennt lichterloh in Deutschland.»

Produkte kommen nicht an
Mit strengeren CO2-Richtlinien und dem für 2035 angekündigten Verbot des Verbrennungsmotors wurden die europäischen Autohersteller gezwungen, den Wandel zur Elektromobilität zu vollziehen. Dafür mussten die Konzerne gewaltige Investitionen tätigen: in die Entwicklung neuer Plattformen, in den Aufbau von Batteriefabriken, in den Umbau bestehender Werke. Doch nach einem ersten Elektroboom stagnieren oder sinken die Verkaufszahlen für E-Fahrzeuge in vielen Ländern wieder. In der EU sanken die Neuzulassungen von Elektroautos 2024 um 6 Prozent auf 1,45 Millionen Einheiten. In Deutschland, dem grössten europäischen Automarkt, brachen die Verkaufszahlen um 27 Prozent ein.

Doch nicht nur die deutschen Elektroautos verkaufen sich derzeit schlecht – insgesamt verzeichnen alle deutschen Marken im Jahr 2024 einen Rückgang der globalen Verkäufe, und das im Vergleich zu einem ohnehin schon schwachen Jahr davor. VW: minus 1,4 Prozent. Audi: minus 11,8 Prozent. Opel: minus 9,5 Prozent. Porsche: minus 3 Prozent. Auch BMW und Mercedes konnten im vergangenen Jahr weniger Autos verkaufen als im Jahr davor, beide verzeichneten einen Rückgang um 4 Prozent. Bei Mercedes brachen aber die Verkäufe der Elektroautos dramatisch um 23 Prozent ein.

Auch bei Porsche sinkt der Absatz weiter.

Ungleicher Wettbewerb
Die Hauptursache dieser Verkaufsrückgänge liegt in China. Im grössten Automarkt der Welt haben die deutschen Hersteller über viele Jahre die höchsten Umsätze erzielt – doch den Preis dafür mussten sie in Form von Joint Ventures mit chinesischen Unternehmen bezahlen. Denn um im Reich der Mitte Fahrzeuge verkaufen zu können, müssen die westlichen Hersteller in China produzieren, und dafür müssen sie Kooperationen mit einheimischen Herstellern eingehen. Dass damit ein Teil des Know-hows in chinesische Hand übergeben wurde, nahmen die Autohersteller zähneknirschend hin – zu gross waren damals die Verlockungen des sich öffnenden Riesenmarkts.

Die Chinesen haben schnell dazugelernt. Schlüsselpositionen wurden mit Ingenieuren und Managern besetzt, die in erster Linie von deutschen Marken abgeworben wurden. Der entscheidende Schritt gelang der chinesischen Autoindustrie dann dank der Elektrifizierung: Der grosse technische Vorsprung, den die deutschen Hersteller beim Verbrennungsmotor zweifellos haben, ist beim E-Auto nicht mehr relevant. Zudem stellen die chinesischen Marken die digitale Vernetzung ins Zentrum ihrer Autos – genau das wollen die chinesischen Kunden. Das wirkt sich frappant aus: Die einst so schicken Importautos sind in China nur noch wenig zu sehen. Die Strassen in den Metropolen werden von einheimischen Elektroautos dominiert.
Die neuesten Zahlen belegen das eindrücklich: Der Marktanteil in China von Audi, BMW, Mercedes, Porsche und VW lag im vergangenen Jahr bei noch rund 5 Prozent, und zwar zusammengerechnet. «Der Einbruch der Fahrzeugverkäufe in China zeigt, dass BMW, Mercedes und VW ein riesiges Problem haben», kommentiert Autoforscher Ferdinand Dudenhöffer. Eine Besserung der Lage ist gemäss Ökonom Dirk Dohse vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) nicht in Sicht: «Der chinesische Markt für E-Autos ist der grösste der Welt und derjenige, der sich am dynamischsten entwickelt. Das spricht eher dafür, dass China noch weiter enteilt.»

Ein düsteres Bild
Hinzu kommen politische Faktoren. Grosse chinesische Player wie BYD erhalten Subventionen in Milliardenhöhe, was deren Entwicklungstempo massiv beschleunigt. In Deutschland hingegen müssen die Hersteller die gewaltigen Investitionen für den Mobilitätswandel selbst berappen. Obendrauf kommt die grosse Bürde der Regulierungswut aus Brüssel. Rechnet man dann noch die deutlich geringeren Produktionskosten in China hinzu, wird klar, wer in diesem Rennen den Kürzeren zieht.
Eine politische Wende in Europa könnte die verfahrene Situation allenfalls auf den hiesigen Märkten ver­bessern, doch an der Absatzflaute in China würde das nichts ändern. ­Gemäss Autoforscher Stefan Bratzel werden die nächsten zwei, drei Jahre «eine grosse Herausforderung, in denen man viele Strukturprobleme gleichzeitig anpacken muss». Immerhin habe inzwischen sogar die Politik die deutsche Polykrise erkannt, meint der Experte. IfW-Ökonom Dirk Dohse sieht es ähnlich: «Ich denke, das wird ein sehr schwieriges Jahr für die deutsche Autoindustrie. Es wird aber auch ein Jahr, in dem die Weichen für die Zukunft richtig gestellt werden ­müssen.»