Tagelang singen und tanzen

Mit 12 Jahren steht Aurélie Lienert bereits auf der grossen Bühne und stellt im Musical «Billy Elliot» ihr Talent unter Beweis.
Christina Szegedi und Aurélie Lienert verbindet die Leidenschaft für den Tanz. (Bild: ub)

Das Erfolgsmusical «Billy Elliot» basiert auf dem englischen oscarprämierten Film über einen Jungen in einer nordenglischen Stadt zur Zeit des Minenarbeiterstreiks. Darin bahnt sich der Protagonist entgegen aller Widerstände seinen Weg vom Boxring an die Ballettstange. Die Musik dazu schrieb Elton John.
Am 1. November fand die Premiere der ersten deutschsprachigen Adaption des Werks in der Maag-Halle Zürich statt. Auch die Produktion in der Schweiz ist von Erfolg gekrönt. Bisher wurden über 90 000 Tickets verkauft. Dabei in einer der vier Besetzungen ist die 12-jährige Badener Bezirksschülerin Aurélie Lienert. Sie spielt die Rolle der jungen Tänzerin Susan Parks, die in der Geschichte die gleiche Ballettschule wie Billy Elliott besucht und ihre Sache möglichst gut machen will. Aber an das Talent des Protagonisten kommt sie nicht heran.

Im realen Leben tut sie das sehr wohl. Aurélie geht seit ihrem vierten Lebensjahr in den Ballettunterricht, trainiert neben der Schule viermal wöchentlich. Liegt das auch an Mama Christina Szegedi, die in Baden eine Tanzschule leitet? «Tanzen ist für sie sicher vertraut und selbstverständlich, weil ich sie schon als Baby oft im Snuggly herumgetragen habe, während ich eine Choreografie einstudierte», sagt die Tänzerin und Choreografin. Zusätzliche Motivation benötigte ihre Tochter nie. «Aurélie ist ständig in Bewegung und möchte am liebsten den ganzen Tag tanzen und singen. Ruhig ist sie eigentlich nur, wenn sie schläft», meint Szegedi und lacht. Stimmen aus dem Publikum in der Maag-Halle bestätigen: «Sie hat eine tolle Ausstrahlung, und die Freude, mit der sie ihren Part spielt, ist deutlich spürbar.»

Lebenstraum wird wahr
Ein Dutzend Mal stand Aurélie für «Billy Elliot» bereits auf der Bühne. Vier Besetzungen gibt es, weil die mitwirkenden Kinder und Jugendlichen genau wie Aurélie noch zur Schule gehen. Der Unterricht darf nicht zu kurz kommen, und sie sollen in keiner Weise überfordert werden. Doch wie kam die junge Badenerin zum Musicalengagement? «Auf Instagram sah ich Clips der Premiere und erkannte einen der Hauptdarsteller, den ich von einem Zukunftstag in der Tanzkompanie des Luzerner Theaters kannte. Und ich dachte: Dort würde ich gern mittanzen.» Zumindest wollte sie ihn aber einmal live auf der Bühne erleben. Als ihre Mutter die Tickets buchte, entdeckte sie, dass für eine vierte Besetzung noch talentierte Mädchen gesucht werden. «Ich meldete mich mit ein paar Tanz- und Gesangsvideos an und wurde für das erste von insgesamt drei Castings eingeladen», erzählt die Siebtklässlerin weiter. Von etwa 100 Mädchen kamen 16 in die nächste Runde, darunter Aurélie. Als sie im letzten Casting ebenfalls punktete, ging ihr Traum in Erfüllung. «Ich wirkte vorher schon in Schulaufführungen mit, aber vor fast 1000 Menschen pro Abend zu performen, ist eine völlig neue und grossartige Erfahrung für mich.»

Bis zur letzten Show, die voraussichtlich Mitte Juni stattfindet, wird sie weit über 20 Auftritte absolviert haben. Aurélie träumt im Moment von einer Karriere als Tänzerin oder Musicaldarstellerin. Am liebsten würde sie nach der Bezirksschule eine Tanzausbildung machen. Und auch ihre um zwei Jahre ältere Schwester Mélodie scheint das künstlerische Gen der Familie geerbt zu haben. Sie besucht ab dem kommenden Schuljahr das Gymnasium Liceo Artistico in Zürich.

Aurélie Lienert (rechts) tanzt ebenso gern wie ihre Mutter Christina Szegedi. (Bild: zVg)

Tagsüber Kanti, abends Ballett
Christina Szegedi, die Mutter von ­Aurélie und Mélodie, entdeckte ihre Liebe zum Tanz schon früh. Sie war fünf Jahre alt, als sie mit ihrem ungarischen Vater im Nationaltheater von Budapest eine Freundin tanzen sah und sofort Feuer und Flamme war. Das änderte sich auch im Teenageralter nicht. Doch die Eltern fanden, ihre Tochter solle zuerst etwas «Richtiges» lernen und die Kantonsschule abschliessen. Deshalb trainierte sie abends in bekannten Zürcher Tanzschulen und später beim Ballettlehrer Hans-Jürg Forrer in Baden.

Schliesslich konnte sie sich durchsetzen, absolvierte in London den ­Bachelor in Contemporary Dance und später Ausbildungen zur Tanzpädagogin. Es folgten mehrere Engagements in der britischen Metropole. Während eines Jobs in der Schweiz verliebte sie sich und kam deswegen in ihre Heimat zurück. Viele Jahre war sie unter anderem als Tanzlehrerin in Kloten tätig, wo sie ihre erste Tanzschule leitete. 2014 eröffnete sie in Baden ihre zweite Tanzschule, in der sie Schülerinnen und Schüler im Alter von 5 bis 16 Jahren in klassischem Ballett, zeitgenössischem Tanz und Erwachsene in Yoga unterrichtet.

Jede Kritik ist auch ein Lob
Manchmal trainieren Mutter und Tochter zu Hause gemeinsam. «Mama gibt mir dann Tipps, was ich noch besser machen könnte», bekundet Aurélie. Nervt das nicht manchmal? «Nein, ich finde das gut», sagt sie ganz gelassen. Und Christina Szegedi weiss aus eigener Erfahrung: «Jede Korrektur eines Lehrers ist eigentlich ein Lob und zeigt, dass er genau hinschaut und noch mehr Potenzial in seinem Schüler oder seiner Schülerin sieht. Wenn ein Lehrer gar nichts mehr sagt, ist das eher ein schlechtes Zeichen.»