Baden – Die Szene mit dem Brausepulver aus der «Blechtrommel» machte Katharina Thalbach weltbekannt.
Katharina Thalbach, was reizt Sie an der Literatur der schwarzen Romantik?
Sie verfolgt mich schon seit meiner Kindheit. Ich fand sie immer unheimlich. So unheimlich, dass ich nicht von ihr lassen konnte. Ich mag vor allem die Art, wie «die» Engländer einen gruseln lassen, aber auch ihre gigantisch schöne Sprache.
Sie haben die Texte teilweise in der Originalsprache gelesen?
Nein, das könnt ihr Schweizer, aber mir ist das nicht gegeben! (Lacht.)
Gibt es Gruselromane, die Sie als Kind unter der Bettdecke lasen?
Das war nicht nötig. Meine Mutter und meine Oma hatten einen guten Geschmack und überhaupt keine Hemmungen, mich früh mit ihnen zu konfrontieren. Grimms Märchen sind ja für Kinder nicht gerade leichte Kost.
Zählten «Dracula» und «Frankenstein» zu Ihrer Lieblingslektüre?
Na ja, die beiden habe ich durch die Filme kennengelernt. «Dracula» hat mich später auch beim Lesen fasziniert. «Frankenstein» ist gar nicht mal eine so gruselige Geschichte, sondern vor allem grosse Philosophie. Für die Verfilmungen hat man sich jedoch die «Knallerszenen» herausgepickt.
Sie spielen meistens emanzipierte, kämpferische Frauen. Fühlen Sie sich ihnen besonders verbunden?
Es hat damit begonnen, dass ich, obwohl ich nie eine sehr grosse Person war, immer Täter, nie Opfer spielen wollte. Wenn man mir Rollen anbot, wo klein und zart gefordert waren, zum Beispiel für Lessing oder Schiller, habe ich sie abgelehnt.
Lernten Sie früh, auf eigenen Beinen zu stehen, weil Sie Ihre Mutter schon mit 12 Jahren verloren und Ihr Vater vor allem fürs Theater lebte?
Wahrscheinlich. Ich weiss es nicht. Aber es liegt durchaus nahe.
Sie sagten einmal, Sie würden sich immer über Auszeichnungen freuen, speziell wenn sie mit Preisgeld verbunden seien. Zeugt das nicht nur von Humor, sondern auch von einer gewissen Existenzangst, selbst bei der grossen Katharina Thalbach?
Natürlich, ich lebe im Kapitalismus! Die Leute denken natürlich, man würde gut verdienen, wenn man viel zu sehen ist, aber das sind die Ausnahmen. Meine Leidenschaft ausleben zu können, ist mir wichtiger, weshalb ich viel Theater spiele, obwohl man dort viel schlechter bezahlt wird.
Wie war das zu DDR-Zeiten?
Über Geld musste ich mir überhaupt keine Sorgen machen. Ich bezahlte 17 DDR-Mark Miete. Das muss man sich mal vorstellen. Für eine 2-Zimmer-Wohnung in Berlin Mitte! Allerdings mit Aussenklo, aber trotzdem.
Gab es noch andere Dinge, die Sie nach Ihrer Ausreise 1976 in der BRD vermissten?
Ja, alles, was Frauen betrifft. Wir hatten in der DDR Kinderkrippen und waren stets mit Ärzten versorgt. Als Mutter war ich krankgeschrieben, wenn die Kinder krank waren, ohne in irgendeiner Weise um meinen Arbeitsplatz fürchten zu müssen.
Sie haben 1984 und 1998 unter der Regie Ihres Vaters Benno Besson am Zürcher Schauspielhaus gespielt. Es hatte für Sie aber schon vorher eine geradezu schicksalhafte Bedeutung.
Oh, ja! An der Tramhaltstelle vor dem Pfauen hat Bert Brecht Benno gefragt, ob er mit ihm nach Ostberlin kommen und ein neues deutsches Theater aufbauen möchte. So entstand 1949 das Berliner Ensemble und letztlich ich, da er sich dort in meine Mutter verliebte.
Stimmt es, dass Ihr Vater einen Teil seiner Gage in Züri Geschnetzeltes investierte?
Ja, die Kronenhalle war damals unsere «Kantine». Ich würde sagen, es waren drei Viertel der Gage, weil er seine Kinder und Enkel immer einlud. Er hatte ja nicht wenig Familie …
Ist es typisch für Künstler, dass sie das, was sie verdienen, mit vollen Händen ausgeben?
Es ist schön, wenn man es sich leisten und damit andere Menschen beglücken kann. Ich finde, Grosszügigkeit macht glücklicher als Geiz. Ich unterstütze sehr gern die Familie und Freunde, die weniger haben als ich. Das ist für mich selbstverständlich.
Wie verwöhnen Sie sich selbst?
Ich gebe gern Geld fürs Reisen und gutes Essen aus. Und ich liebe schöne Hotels.
Wo gefällt es Ihnen in Zürich besonders?
Ach, Mensch, wie heisst es denn? Da gibt es doch dieses eine wunderbare kleine Hotel, nicht auf der Grossmünsterseite … «Baur au Lac»! Das mag ich sehr, sehr gern.
1979 lernten Sie durch «Die Blechtrommel» Volker Schlöndorff, Günter Grass und Oscar kennen. Wie wichtig waren diese Begegnungen für Sie?
Für mich als Schauspielerin war es ein Meilenstein, in einem der ersten deutschen Filme mitgewirkt zu haben, die einen Oscar bekamen. Danach konnte ich sagen, ich war die Maria in der «Blechtrommel». Die Frau mit dem Brausepulver. Die Szene kannte jeder. Da mein langjähriger Lebensgefährte Thomas Brasch mit Grass befreundet war und wir regelmässig zusammen Karten spielten, waren wir bereits vor dem Dreh Skatbrüder. Mit Volker verbindet mich seit diesem Film eine lebenslange Freundschaft.
Gab es trotzdem Auseinandersetzungen über die Interpretation des Stoffs?
Krach bekamen wir nur, als Grass Thomas bat, mich so zu beeinflussen, dass ich mich nackig mache. Ich sagte ihm, das käme gar nicht infrage – ausser wenn er und Schlöndorff sich nackt verbeugen, falls ichs trotzdem tue. Schliesslich klebte ich alles schwarz ab, was nicht sichtbar sein durfte. Dadurch sah ich zwar nackt aus, war es aber nicht.
Wie hat der Film Ihre Karriere beeinflusst?
Hollywood zeigte grosses Interesse und machte mir Angebote, ich merkte aber, dass ich keine echte Chance haben würde und dort nicht hinpasse. Ich wollte in meiner Sprache bleiben und mich nicht verbiegen müssen.
Mit «Ich war noch niemals in New York» hatten Sie 40 Jahre später einen weiteren grossen Kinoerfolg. Lebten Sie darin aus, was Sie sonst nur im Theater können?
Ja, es war ein Traum, singen und tanzen zu dürften. Ich liebe Musikfilme, ob es nun die alten Ufa-Filme sind, die grossen amerikanischen Schinken oder französische wie «Les parapluies de Cherbourg».
Haben Sie «Mord im Orientexpress» aus diesem Grund als Revue inszeniert, in der Sie als Hercule Poirot alle Register ziehen konnten?
Es war mir zu wenig, diesen Stoff als reines Krimikammerspiel auf die grosse Bühne des Theaters am Potsdamer Platz zu bringen. Ich hoffe, es ist mir gelungen, daraus eine Show im feineren Sinn zu machen. Die Vorstellungen waren mit 1500 Leuten immer ausverkauft. Leider hatten wir kürzlich unsere letzte Vorstellung, da der Cirque du Soleil fest eingeplant war. Wir sind nun sehr traurig, hoffen aber, wieder ein grosses Haus für unsere Produktion zu finden – vielleicht in Zürich?
Wie kommt es, dass Sie so munter zwischen Ernst und Unterhaltung, Regie und Hauptrolle, Bühne und Film hin und her wechseln wie sonst kaum jemand?
Das habe ich von Peter Ustinov gelernt, der einmal sagte, er finde es lächerlich, dass in Deutschland zwischen ernster und unterhaltender Kultur unterschieden werde. Entscheidend sei, dass man seine Sache gut mache.
Das breite Fernsehpublikum erreichen Sie aktuell mit der RTL-Krimikomödie «Miss Merkel». Was für eine Beziehung haben Sie zur Titelfigur?
Ich mag, dass die Reihe sozusagen ein Märchen über Angela Merkel ist, die als Pensionierte Kriminalfälle löst. Das lässt mir beim Spielen viele Freiheiten. Wir haben gerade den dritten Teil gedreht, der im September ausgestrahlt wird. Ich hoffe, dass er eine so gute Quote hat, dass RTL Kohle für eine Fortsetzung herausrückt.
Sie und Ihr Ehemann waren 18 Jahre zusammen, bevor sie sich 2020 trauten. Zögerten Sie so lang, weil Ihre erste Ehe nur ein Jahr gehalten hatte?
Ja, ich gebe es zu. Aber als mir Uwe dann einen so schönen Heiratsantrag mit lauter Sonnenblumen machte, konnte ich gar nicht anders als Ja sagen.
Da ich hörte, dass Sie nicht nur auf der Bühne gern spielen, habe ich möglicherweise einen Tipp für Sie: Gleich neben dem Kurtheater in Baden gibt es ein Grand Casino …
Oh, das klingt verflucht spannend, aber ich muss nach der Vorstellung gleich zum Dreh meines neuen Films «Agnes und Amir» reisen.
Wovon handelt er?
Ich verkörpere eine 102-Jährige, die auf keinen Fall ins Heim will und zufällig einen jungen Mann aus dem Iran trifft, der geflüchtet war, weil er schwul ist. Er zieht bei Agnes ein, und es entwickelt sich eine rührende Geschichte.
Musikalisch Bühnenlesung
Samstag, 14. Juni, 19.30 Uhr,
Kurtheater in Baden.