«Sie zog hinter den Kulissen die Fäden»

Bruno Meier hat eine Bio­grafie von Agnes von Ungarn geschrieben – jener einflussreichen Frau, die in Königs­felden residierte.
Agnes von Ungarn lebte Jahrzehnte im Kloster Königsfelden. (Bild: zVg)

Windisch – Die Klosterkirche Königsfelden steht derzeit im Fokus der Öffentlichkeit. Die aufwendige Restaurierung des historischen Baus mit seinen bedeutenden Glasmalereien wurde kürzlich abgeschlossen. Nun wird darin das Ballett «Carmen» aufgeführt. Und vor einer Woche ist die Biografie einer Frau erschienen, deren Geschichte eng mit dem Kloster Königsfelden verbunden ist. Sie heisst «Agnes von Ungarn 1280–1364: Die einflussreichste Habsburgerin des Mittelalters».

Bruno Meier, Sie setzen sich in einer neuen Biografie mit Agnes von Ungarn auseinander. Wer war sie?
Agnes von Ungarn war die Tochter von König Albrecht I., der von seinem Neffen in Windisch ermordet wurde und zu dessen Gedenken das Kloster Königsfelden gebaut wurde. Die Habsburgerin wurde als junges Mädchen im Jahr 1296 mit dem ungarischen König verheiratet, der fünf Jahre später starb und Agnes zur Witwe machte. Einige Jahre nach dem Tod ihres Mannes kehrte sie nach Windisch zurück und lebte bis an ihr Lebensende im Kloster Königsfelden. Sie wurde 84 Jahre alt, was für damalige Verhältnisse sehr alt war.

Spielt Agnes von Ungarn in der ­Geschichte Habsburgs eine ­bedeutende Rolle?
In ihrer Zeit war sie die wichtigste Frauenfigur der Habsburger. Sie erlebte vier Generationen ihrer Familie mit und war die älteste Schwester der regierenden Brüder. Obwohl sie als Frau offiziell nichts zu sagen hatte – schliesslich waren ihre Brüder die Herzöge –, zog sie in der Familie hinter den Kulissen die Fäden. Sie scheint für die Herzöge sogar eine Art Mutterersatz gewesen zu sein. Immerhin war sie mehr als 20 Jahre älter als ihr jüngster Bruder. Ausserdem regierten die Brüder von Wien oder Graz aus, während Agnes von Windisch aus im Westen eine bedeutende Rolle spielte.

Wie gut ist die Geschichte von ­Agnes von Ungarn erforscht?
Zu Agnes wurde schon sehr früh intensiv geforscht. Es gibt viele Quellen aus ihrem direkten Umfeld, Quellen zu Habsburg und Königsfelden, und mehrere ältere Biografien, beginnend mit der unmittelbar nach ihrem Tod verfassten Königsfelder Chronik. In der habsburgischen Geschichtsschreibung wurde sie immer als sehr gläubige, fast heilige Frau stilisiert, geprägt natürlich von ihrer Rolle in Bezug auf das Kloster. In der Schweizer Geschichtsschreibung, zum Beispiel bei Aegidius Tschudi im 16. Jahrhundert, wurde Agnes früher dagegen negativ beurteilt. Sie galt hier als Familienpolitikerin, die in späteren Jahren ihres Lebens im Interesse der Machterhaltung der Habsburger zur Friedensstifterin wurde, unter anderem in Konflikten zwischen Bern und Freiburg oder Zürich und Rapperswil. Agnes kommt sogar in Schillers «Willhelm Tell» vor – in einer negativen Rolle. Dieses schlechte Bild von ihr wurde erst im 19. Jahrhundert korrigiert.

War sie eine für damalige Verhältnisse emanzipierte Frau?
Bemerkenswert ist, dass Agnes sich einer Wiederverheiratung verweigern konnte. Nachdem ihr Mann gestorben war, war Agnes als verwitwete Königin von Ungarn mit 21 Jahren eine der besten Heiratspartien Europas. Aber sie konnte sich offenbar gegen eine zweite Heirat wehren, was damals sehr aussergewöhnlich war.

Wie Sie sagen, gibt es zahlreiche Biografien zu Agnes von Ungarn. Was trieb Sie an, eine weitere zu schreiben?
Zum einen sind die Biografien zum Teil sehr alt. Zum anderen wurde vor 15 Jahren ein Forschungsprojekt zu Königsfelden durchgeführt, wozu es ein Buch und eine online zugängliche Quellensammlung gibt. Das heisst, die Voraussetzungen waren gut, die Biografie neu zu schreiben und Agnes neu einzuordnen.
Die Schriftstellerin Dorothe Zürcher hat vor wenigen Monaten einen ­Roman zum Leben von Agnes veröffentlicht. Es heisst «Ein geschwind listig Wib». Ein zeitlicher Zufall?
Wir wussten vom jeweils anderen Projekt. Im Herbst wird es auch gemeinsame Anlässe zu dem Thema geben. Die Gleichzeitigkeit der Projekte war aber nicht bewusst so geplant. Es ist übrigens interessant, dass wir in unseren Büchern beide ein ähnliches Bild von Agnes zeichnen. Dorothe Zürcher hatte als Schriftstellerin einfach den Vorteil, die zahlreichen Lücken in der Geschichte der Hauptfigur mit Fiktion füllen zu können und zusätzliche Figuren zur Geschichte zu erfinden. So wurde ihr Roman zu einer Mischung aus Biografie und Fiktion. Als Historiker konnte ich das natürlich nicht. Ich musste mich an die reinen Fakten halten.

Wie lang arbeiteten Sie an Ihrem Buch?
Ich schrieb es relativ zügig im letzten Herbst. Aber ich bin schon lang an der Habsburger Geschichte und kannte das Thema sehr gut.

Stiessen Sie bei Ihren Recherchen zu Agnes auf neue Erkenntnisse?
Die Haupterkenntnis war, dass ­Agnes von Ungarn aus dem lokalen und nationalen Zusammenhang allein nicht verstanden werden kann. Sie ist ein Teil der europäischen Geschichte, und Königsfelden ist nur ein Baustein des Ganzen. Diese Erkenntnis ging in der schweizerischen Perspektive bisher immer ein wenig verloren. Zu wenig beachtet wurden in der Schweizer Geschichtsschreibung zudem die ­Spiritualität und die Religiosität von Agnes. Das habe ich nun stärker gewichtet.