Chronist des Lokalgeschehens

Guido Ledergerber war ­Wissenschafter, Naturfreund und jahrelang Chronist der «Brugger Neujahrsblätter». Er ist 74-jährig gestorben.
Guido Ledergerber. (Bild: zVg)

Riniken – Eine grosse Trauergemeinde nahm im bis auf den letzten Platz besetzten Zentrum Lee in Riniken vom früheren Nuklearwissenschafter, Naturfreund und leidenschaftlichen Denker Guido Otto Ledergerber Abschied. Seine Tochter und die beiden Söhne charakterisierten ihn als willensstarke, vielseitig interessierte, dialogbereite und handwerklich begabte Persönlichkeit mit einem unerschütterlichen Urvertrauen. Der Historiker Max Baumann, Stilli, würdigte das jahrzehntelange nebenberufliche Engagement des ehemaligen Verfassers der Jahreschronik in den «Brugger Neujahrsblättern».

Ein freiheitlicher Geist
Den gebürtigen Ostschweizer mit dem Fürstenländer Dialekt verschlug es aus beruflichen Gründen und dank der seit den 60er-Jahren wachsenden Nukleartechnologie in den Aargau. Nach einer Laborantenlehre in der sankt-gallischen Weltfirma Bühler, Uzwil, und einem Chemiestudium am Technikum Winterthur arbeitete er von 1973 bis 1995 als Chemiker HTL, dann als Gruppenleiter Kraftstoffentwicklung im Eidgenössischen Institut für Reaktorforschung in Würenlingen. Von dort trat er als Leiter der Sektion Kernbrennstoff in das Paul-Scherrer-Institut über. Ab 2000 bis zur Pensionierung 2016 war er Ressortleiter Nukleare Betriebsführung des Kernkraftwerks Leibstadt.

Vor einem USA-Aufenthalt heiratete Guido Ledergerber seine Jugendfreundin Silvia Gerber. Das Paar und die drei Kinder bauten später in Riniken ein Haus. Der Hausherr erstellte vieles selbst; von den Handwerkern erwarb er Wissen und Geschick. Beruflich an chemische Präzision gewöhnt, meisterte er auch die privaten Alltagsaufgaben exakt und zielbewusst, hingegen liess er im Garten der Natur freien Lauf. Die Naturverbundenheit konnte er zudem im Familienrefugium auf der kleinen Île du ­Levant, Insel des Sonnenaufgangs, vor der französischen Mittelmeerküste bei Toulon ausleben – über Jahrhunderte ein Zufluchtsort religiöser Orden, später ein Anziehungspunkt der Naturheilkunde und der Sonnenbädertherapie.

Publizistische Knochenarbeit
25 Jahre lang verfasste Guido Ledergerber die Jahreschronik der «Brugger Neujahrsblätter». Sie ist das ­historische Gedächtnis, das zuverlässigste und umfassendste chronologische Nachschlagewerk der Region Brugg. Seit 136 Jahren wird hier über das lokale Geschehen rapportiert. Es ist eine Kunst, in zwei, drei Sätzen denkwürdige Ereignisse so zu beschreiben, dass sie auch in 20, 30 oder 50 Jahren noch nachvollziehbar sind. Dahinter steckt publizistische Knochenarbeit: tägliches Beobachten, Abwägen und Festhalten der Vorgänge.

Der Chronist Guido Ledergerber las deshalb schon am Morgentisch die Lokalzeitungen – abgesehen von seinem Leibblatt, der NZZ – und nahm auf, was ihm sonst noch zu Ohren kam. Manches reflektierte er zunächst mit seiner Familie, bevor er das gesammelte Material in die Ferien mitnahm, es in Lesestoff umwandelte und stets pünktlich zum Drucken ablieferte. Als Redaktionsmitglied setzte sich Guido Ledergerber ausserdem dafür ein, dass naturwissenschaftliche und technische Themen in den «Neujahrsblättern» nicht zu kurz kamen und sämtliche Ausgaben seit 1904 digital abrufbar wurden. Am Herzen lag ihm die publizistische Begleitung des entstehenden Fachhochschulcampus in Brugg-Windisch.

Seine ausdauernde, verdienstvolle Arbeit als Chronist des Lokalgeschehens wurde aber von der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen und dementsprechend ebenso gering wertgeschätzt wie die «Neujahrsblätter».