Flamenco – wie man ihn nie gesehen hat

David Coria, einer der führenden Künstler des neuen Flamenco, zeigt seine preisgekrönte Produktion «Los Bailos Robados» in Königsfelden.
David Coria im Kloster Königsfelden. (Bild: ub)

Windisch – Die Handlung von «Los Bailos Robados» mit der Compañía David Coria – Aufführungen am 20. und 21. Juni in der Klosterkirche Königsfelden – basiert auf einer realen Begebenheit, die sich 1518 in Strassburg aus bis heute ungeklärten Umständen zugetragen hat. Laut historischen Quellen begann eine Frau haltlos Tag und Nacht zu tanzen. Daraus entwickelte sich eine Art Massenhysterie. Bald tanzten Hunderte von Menschen bis zur Erschöpfung, die bei manchen sogar zum Tod führte. Eine überzeugende Erklärung gibt es für die damalige «Tanzbesessenheit» nicht. Ursache könnten die Unsicherheiten und Hungersnöte in den Umbruchzeiten des zu Ende gehenden Mittelalters gewesen sein. Tanz war alles, was die unterdrückten Menschen noch hatten, um zu rebellieren und die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Diskutiert wurde als mögliche Erklärung für die tranceartige Tanzwut eine Mutterkornvergiftung, die bei Missernten vorkam. 

Die Lebensumstände des 41-jährigen Tänzers und Choreografen David ­Coria sind zwar mit der damaligen Situation nicht zu vergleichen, aber seine Leidenschaft für den Tanz kommt einer Besessenheit nahe. «Ich könnte nicht leben, ohne zu tanzen, etwas anderes kam für mich nie infrage», sagt er. Mit vier Jahren nahm er Unterricht, ab acht besuchte er verschiedene Tanzschulen und schloss später eine professionelle Tanzausbildung ab. Er wuchs als eines von elf Kindern im kleinen Dorf Coria del Rio in der Nähe von Sevilla auf. Daher stammt sein Künstlername. Der Vater starb früh.

Mit 16 Jahren zog David Coria nach Madrid und nahm Jobs in gut bezahlten Fernsehshows an. Wegen seines enormen Talents wurde er ins Ensemble des Ballet Nacional de España aufgenommen, das sich der Tradition des spanischen Tanzes und dessen Weiterentwicklung widmet. Danach war er laufend in verschiedenen, teilweise weltbekannten freien Tanzensembles engagiert, bevor er sich entschloss, seine eigene Compañía David Coria zu gründen. Für sein Schaffen als Tänzer und Choreograf wurde der 41-Jährige mehrfach ausgezeichnet. 2024 gewann er für «Los Bailos Robados» den «Premio Talia», eine Auszeichnung, die in der Tanzszene mit dem Oscar in der Filmwelt zu vergleichen ist. Umso gespannter darf man sein, wenn er die von ihm choreografierte Produktion, in der er selbst mittanzt, jetzt im Rahmen von Tanz und Kunst Königsfelden dem Schweizer Publikum zeigt. 

Ausdruck und Leidenschaft: David Coria auf der Bühne. (Bild: zVg)

Einzigartige Kunst
Auf der Bühne der Klosterkirche Königsfelden werden am 20. und 21. Juni fünf Künstlerinnen und Künstler der Extraklasse stehen, die sich mit ihrem Tanzschaffen alle bereits einen Namen gemacht haben. So wie David Coria, der die Klischees und Stereotypen der Flamencokunst längst verlassen hat, immer neue Ausdrucksformen sucht und es liebt, sich auf tänzerische Experimente und Herausforderungen einzulassen. In der diesjährigen Produktion «Carmen» von Tanz und Kunst Königsfelden unter der künstlerischen Leitung von Filipe Portugal hatte er beispielsweise die männliche Hauptrolle des Don José inne und begeisterte das Publikum restlos. Begleitet werden er und seine Compañía von grossartigen Musikerinnen und Musikern, wie dem andalusischen Sänger David Lagos, der seinerseits als einer der kreativsten Köpfe in der zeitgenössischen ­Flamencoszene gilt. Statt den klassischen Gitarren kommen Saxofon und verschiedene andere Blasinstrumente sowie Celli zum Einsatz. Eine Cellistin, die in Königsfelden auftritt, stammt aus Chile, ihre Zwillingsschwester wird zu ihren Klängen tanzen.

Die beiden sind mit eigenen Programmen international erfolgreich. «David hat eine ganz eigene Sprache im Flamenco entwickelt, die es sonst nirgends gibt. Er ist einzigartig», bekundet Brigitta Luisa Merki, die Fachexpertin für spanischen Tanz ist. Und Filipe Portugal meint: «Als ich David tanzen sah, wusste ich sofort, dass er mein Don José in ‹Carmen› ist, und war gespannt, wie seine Flamencowurzeln sich mit meiner zeitgenössischen Tanzsprache vereinen lassen. Die Zusammenarbeit mit ihm war unglaublich bereichernd.»

Weltweit unterwegs
Über die Anerkennung, die ihm in Form von zahlreichen Auszeichnungen zuteilwird, freut sich David Coria natürlich enorm. «Noch wichtiger ist mir aber die Gewissheit, dass ich von meiner Tanzleidenschaft leben und mich ständig weiterentwickeln kann. Dafür bin ich sehr dankbar.» Gleich nach den Auftritten in der Schweiz geht es für ihn und die anderen Mitwirkenden von «Los Bailes Robados» nach Albuquerque (USA), danach stehen Shows in Kanada an. Die Welt steht ihm offen.