Unterwegs in der Industriegeschichte

Mit viel Herzblut führt Claudio Eckmann durch die Überreste der einst blühenden Gipsindustrie und erzählt von einem altem Handwerk.
Claudio Eckmann interessiert sich sehr für die Geschichte seines Dorfs. Er organisiert leidenschaftlich gern Führungen. (Bild: isp)

Ehrendingen – Claudio Eckmann kennt die Geschichte der Gipsgrube, der Zementfabrik und der damit verbundenen Industrie wie kaum ein anderer. Mit grosser Leidenschaft führt er Interessierte durch die Überreste eines einst bedeutenden Industriezweigs. Was früher harte Arbeit bedeutete, macht er heute zu einem spannenden Erlebnis. Auch am Ehrendinger Dorffest, das vom 4. bis 7. September stattfindet, wird Claudio Eckmann mit einem Informationsstand vor Ort vertreten sein.

Zwischen Steinbruch und ­Museum
Einst wurde im Raum Ehrendingen während 200 Jahren Gips abgebaut. Dieser wurde dann zwecks Düngung auf den Feldern verstreut. Claudio Eckmann hat es sich zur Aufgabe gemacht, dieses Stück Industriegeschichte zu bewahren. In seinen Führungen erzählt er von der mühsamen Arbeit im Gipsbergwerk, vom Brennen des Gesteins und vom Leben der Arbeiter. Dabei hält er sich nicht nur an trockene Fakten. Er lässt die Vergangenheit aufleben – mit alten Werkzeugen, Bildern und Anekdoten. Die Teilnehmenden erfahren, wie aus dem weichen Gestein Baumaterial wurde und welche Bedeutung der Gips für die Region hatte. Der 73-Jährige ist kein Historiker im klassischen Sinn, er ist ein Lokalexperte mit Herzblut. In vielen Stunden Freiwilligenarbeit hat er sich dieses Wissen angeeignet und es in eine spannende Form gebracht. Besonders Schulklassen, Vereine und Familien profitieren von seinem Engagement. Seit Neuestem arbeitet Claudio Eckmann mit der Volkshochschule Wettingen zusammen. «Mittlerweile verfüge ich über 3000 wertvolle Dokumente, und oft werden mir alte Fotos, Briefe oder aufschlussreiche Berichte zur freien Verfügung zugetragen», sagt Claudio Eckmann erfreut.

Überreste eines alten Handwerks. (Bild: isp)

Erst der Aufschwung, dann der Konkurs
Schon seit dem Mittelalter wurde in der Ehrendinger Gipsgrube Gipsstein abgebaut und in den Mühlen im Dorf am Gipsbach und in der Tiefenwaag gemahlen. Ende des 19. Jahrhunderts nahm die Nachfrage nach Baustoffen stark zu. Weil es an der Lägern neben Gips auch reiche Kalk- und Tonmergelvorkommen gab, wurde hier 1892/1893 eine Zementfabrik errichtet. Eine Schienenseilbahn brachte das Material von den Steinbrüchen hinunter zur Fabrik – eine zweite Seilbahn auf Masten verband das Zementwerk mit dem damaligen Bahnhof. Doch aufgrund des unerbittlichen Konkurrenzkampfs in der Zementbranche und der Krise im Baugewerbe kam es 1902 zum dramatischen Konkurs. Heute steht nur noch der unterste Gebäudeflügel, das ehemalige Bürogebäude. Bis zu 400 ausländische Arbeiter waren zeitweise in der Zementfabrik beschäftigt. Gewohnt haben sie grösstenteils bei den Ehrendinger Bauern, und es erstaunt nicht, dass es mitunter die eine oder andere amouröse Verbindung zwischen Einheimischen und den Arbeitern gab.
Claudio Eckmann bietet hauptsächlich zwei Führungen an: eine zur Gipsgrube (aktiv: vom Mittelalter bis 1967), die andere zur Zementfabrik (1892 bis 1902). Beide dauern je etwa 2 ½ Stunden, davon ist eine Stunde reine Wanderzeit. Wer mit ihm unterwegs ist, sieht die Umgebung mit anderen Augen. Ob im alten Gipsloch oder vor historischen Gebäuden – er versteht es, Geschichten zu erzählen. Geschichten von harter Arbeit, technischen Entwicklungen und Menschen, die mit einfachsten Mitteln Grosses geleistet haben. Der Ehrendinger bewahrt nicht nur das Wissen über die Gipsindustrie, er sorgt ausserdem dafür, dass dieses Erbe weiterlebt. «Auf Ehrendingen bin ich stolz», sagt Claudio Eckmann. «Was auf den ersten Blick wie eine durchschnittliche Agglomerationsgemeinde aussieht, zeigt bei näherem Hinsehen eine Fülle an Sehenswürdigkeiten und Überraschungen.» Und so richtig euphorisch wird Claudio Eckmann, wenn er die Geschichte vom «Gipsgrubenheiland» erzählt, denn über ihn gibt es Spannendes zu berichten.