Wenn die Melodie links beginnt

Jetzt gibt es den ersten Flügel für Linkshänder auf dem Markt – ein Klavier, das es an der Musikschule Brugg so wohl nicht geben wird.
Stephan Langenbach von der Musikschule Brugg. (Bild: zVg)

Brugg – In Leipzig befindet sich der Hauptsitz der bereits in fünfter Generation geführten Klaviermanufaktur Julius ­Blüthner. Der Familienbetrieb hat in Zusammenarbeit mit dem ungarischen Pianisten Geza Loso nun das erste Klavier für Linkshänder, das Modell 4/210, entwickelt. Und Geza Loso hat ausserdem Noten speziell für diese Klaviere erstellt.
Bei dem Instrument ist die Tastatur spiegelverkehrt. Die hohen Töne sind auf der linken, die tiefen auf der rechten Seite. So spielt die linke Hand also die Melodie, die rechte die Begleitung. Diese Variante ist jedoch nicht serienmässig erhältlich und wird nur auf individuelle Anfrage gefertigt. Die Produktion erfolgt in sehr begrenzter Stückzahl.

Konflikte beim Klavierspielen
Linkshänder haben eine andere Gehirnorganisation, denn die rechte Gehirnhälfte, die für Musik zuständig ist, ist bei ihnen oft aktiver. Das kann beim normalen Klavierspiel zu Konflikten führen. Manche Linkshänder fühlen sich beim Spielen auf einem herkömmlichen Klavier «verkehrt ­herum», wie gewisse Fachleute befinden, und sie wollen instinktiv die ­Musik mit der linken Hand führen, dürfen aber oft nur begleiten, was ein seltsames Körpergefühl hinterlässt.

An der Musikschule Brugg wird es dennoch kein solches Klavier geben. Denn Musikschulleiter Stephan Langenbach betrachtet das Klavier höchst skeptisch. Er sieht in der Linkshänder-Pianogeschichte schlichtweg Marketingzwecke. «Ich bin nicht gegen den Linkshänderflügel. Es besteht einfach schlicht kein Bedürfnis dafür», sagt er. «In meinen über 40 Jahren als Pianist und bald 30 Jahren als Klavierpädagoge war ein Linkshänderklavier noch kein einziges Mal ein Thema. Keine Musikschule, kein Konzerthaus und kein Tonstudio weltweit verfügt wohl über so ein Klavier.»

Verkehrte Bewegungsabläufe
Die Noten, die Geza Loso spiegelverkehrt erfunden habe, ergäben ebenfalls wenig Sinn, so Stephan Langenbach. Wenn es nämlich für Rechts- und Linkshänder verschiedene Noten benötigte, warum sei es dann bei allen anderen Instrumenten nicht auch so, ergänzt der anerkannte und erfolgreiche Klavierpädagoge weiter. Hinzu käme, dass niemand, der normal Klavierspielen gelernt habe, gleich auf einem Linkshänderklavier spielen könne. Selbst Profis müssten erst viele Bewegungsabläufe neu trainieren, nämlich spiegelverkehrt. Aus all diesen Gründen ist für Stephan Langenbach klar: «Wir werden weder ein solches Klavier haben noch eines in Auftrag geben.»

Es wird übrigens gemunkelt, dass Wolfgang Amadeus Mozart ebenfalls linkshändig unterwegs gewesen sei. Allein die Tatsache, dass er übers Kreuz Klavier gespielt habe, lasse darauf schliessen, heisst es. Doch Stephan Langenbach relativiert: «Mozart hat natürlich nicht deshalb über Kreuz gespielt, weil es für ihn als linkshändige Person eine Qual war, normal zu spielen – sondern weil er als Kind damit in halb Europa vor Adligen seine brillanten Zirkusstückchen zeigte. Das Überkreuzspielen haben auch schon Schüler von mir versucht, einfach aus Spass. Ausserdem gibt es viele Klavierstücke, bei denen man ganz selbstverständlich über Kreuz spielt. Das ist nichts Besonderes. Es war ein Geschäftsmodell von Vater Leopold Mozart, an diversen Königshöfen seine zwei höchstbegabten ­Kinder zu präsentieren.»
Links ist nicht falsch – nur andersherum gedacht. Vielleicht braucht die Welt wirklich kein Linkshänderklavier, aber es erinnert uns daran, dass Gleichberechtigung nicht immer laut, sondern manchmal leise und in Moll beginnt.