Guter Geschmack ist kein Zufall

Seit über einem Jahrzehnt prüft und bewertet eine Badenerin im Auftrag der ZHAW sensorisch Olivenöle aus aller Welt.
Eva Lehmann Fueter testet eine Olivenölprobe. (Bild: isp)

Baden – Olivenöl spielt eine wichtige Rolle im Leben der Badenerin Eva Lehmann Fueter. Die 56-Jährige betreibt und pflegt mit ihrem Ehemann Lieni und den Kindern David und Leonie seit 30 Jahren einen 10 Hektar grossen Olivenhain in der Toskana.
Aber nicht nur das. Lehmann Fueter ist seit 13 Jahren freiwillige und ehrenamtliche Olivenöl-Sensorikerin des Swiss-Olive-Oil-Panels der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), eines Panels, das international hohe Anerkennung geniesst. Jährlich prüft sie als Mitglied rund 250 Olivenöle aus der ganzen Welt. «Wir sind etwa 35 Personen und treffen uns mehrmals jährlich, prüfen verblindet Olivenöle von Produzenten und Händlern – zum Beispiel für grosse Detailhandelsunternehmen, im Auftrag des kantonalen Labors oder für den ‹Kassensturz›», erklärt Lehmann Fueter.

Olfaktorische und gustatorische Sinne
Für die offizielle Prüfung eines Olivenöls sind mindestens acht bis zwölf geschulte Personen nötig. Jede und jeder prüft und analysiert einzeln für sich in einer duftneutralen Kabine – konzentriert und geräuschlos. Ein starkes Deo, parfümiertes Shampoo, vorab Kaffee, starke Gewürze oder Rauchen und Alkohol sind ein No-Go vor der Arbeit. «Die Resultate werden statistisch ausgewertet. Erst danach erfahren wir, welches Öl wir geprüft haben», ergänzt die Sensorikerin.

Die Resultate werden besprochen, aber nicht mehr korrigiert. Ein Panel hat gut gearbeitet, wenn die Resultate übereinstimmen. Die Prüferinnen und Prüfer erhalten je etwa 20 Milliliter Olivenöl in einem blau eingefärbten Sensorikglas. «Ich halte die Nase tief hinein, schliesse die Augen, schnuppere. Frisches Gras, grüne Mandel, ein Hauch Artischocke: So riecht ein Öl, das lebt», sagt Lehmann Fueter. Es ist ein Moment der Konzentration. Dann folgt der Geschmack: fruchtig, bitter, scharf – drei Dimensionen, die den Unterschied machen. Ein gutes Olivenöl zeigt Charakter.
Es geht darum, Olivenöl mit olfaktorischen und gustatorischen Sinnen zu erfassen. «Als Olivenöl-Sensorikerin erkenne ich jedes Öl, das mir verblindet zur Prüfung überreicht wird, an seiner Sprache», erzählt Lehmann Fueter. Sensorik klingt nach Labor, ist aber eine zutiefst sinnliche Erfahrung. «Mit geschulten Sinnen prüfe ich Frische, Fehlerfreiheit, Klarheit des Geschmacksbilds. Es geht nicht um Vorlieben, sondern um objektive Qualität. Die Farbe zählt übrigens nicht, deshalb ist das Sensorikglas blau.»

Sorgfältige Analyse
Was viele nicht wissen: Schärfe, Kratzen im Hals und Bitterkeit sind keine Fehler – im Gegenteil. Sie zeigen Frische, gesunde Polyphenole und sorgfältige Herstellung. Doch genau das verunsichert viele. «Ist das noch gut?», wird die Badenerin oft gefragt. Ja, und wahrscheinlich ist dieses Öl sogar besser als viele andere. Nach wie vor wird Olivenöl häufig nach Preis oder Etikett gekauft. Dabei sagen weder Farbe noch ein klingender Name etwas über Qualität aus. Ein gutes Olivenöl riecht nach Gras, Gemüse, Früchten, Beeren, Kräutern – nicht ranzig, stichig, modrig, metallisch. Es darf herausfordernd sein, grün und/oder fruchtig schmecken und im Hals kratzen.
Ein hochwertiges Olivenöl ist kein «fettiger Salatbegleiter», sondern ein lebendiges Produkt, geprägt von Klima, Sorte, Erntezeitpunkt und Verarbeitung. Es verliert mit der Zeit an Qualität. Frische ist entscheidend. «Als Produzentin weiss ich, wie viele kritische Schritte ein Olivenöl in der Produktion durchläuft, deshalb ist die sorgfältige Analyse Ehrensache. Jedes Öl erzählt eine Geschichte – von Landschaft, Menschen, Sorgfalt. Und es lohnt sich, genau zu schmecken.»

Schlagwörter, die verwirren
Aber was bedeuten Bezeichnungen wie «extra native», «extra vergine» oder «extra vierge»? Es ist die höchste Qualitätsstufe bei Olivenöl. Sie ist gesetzlich geregelt – auf EU-Ebene und international. Chemische, herstellungstechnische und sensorische Kriterien müssen erfüllt sein. Und was heisst «kalt gepresst/kalt extrahiert»? Hierbei handelt es sich um die Verarbeitung der Oliven zu Olivenöl. Die Temperatur von 27 Grad darf beim Prozess nicht überschritten werden.
Wie erkennt man als Konsumentin oder Konsument, ob es sich um ein gutes Olivenöl handelt? «Vertrauen Sie Ihrer Nase, und idealerweise kennen Sie den Produzenten, die Arbeitsweise, das Anbaugebiet und die Sorte. Riechen Sie das Olivenöl in einer Tasse, und probieren Sie das Olivenöl pur: fruchtig, grasig, Tomaten? Wunderbar! Ranzig, muffig, flach, schwer auf der Zunge? Dann lieber wechseln. Man muss kein Profi sein, um gutes Öl zu erkennen», so Lehmann Fueter. Ausserdem kommt es auf die richtige Lagerung an. Licht, Wärme, Sauerstoff sind die grössten Feinde. Selbst das beste Öl leidet, wenn es offen neben dem Herd steht.

Olive Oil Award
Nicht nur die Olivenöle werden vom Panel beurteilt, ebenso muss sich das Panel Kontrollen unterziehen, unter anderem vom IOC (International Olive Council). «Der IOC prüft uns mit Vergleichsproben. Nur wenn unsere Analysen mit den etwa 100 anderen Panels übereinstimmen, werden wir anerkannt», bestätigt Lehmann Fueter. Für Produzentinnen und Produzenten ist eine Medaille oft von grosser Bedeutung, da Auszeichnungen auf dem Etikett das Vertrauen der Konsumentinnen und Konsumenten stärken können. Allerdings unterscheiden sich die Bewertungsverfahren und die Qualität bei den Panels erheblich.
Jährlich vergibt das Swiss-Olive-Oil-Panel den Olive Oil Award für herausragende Olivenöle. 2025 wurden 110 Öle aus aller Welt eingereicht. Die Prüfungen dauern mehrere Tage, und jedes eingereichte Olivenöl durchläuft mindestens zwei Panel-Sessions. «Auch unser eigenes Olivenöl schickten wir nach einer besonders guten Ernte 2024 in den Wettbewerb. Und tatsächlich: Wir haben eine Bronzemedaille gewonnen. Das macht uns stolz», so Lehmann Fueter. Wer einmal frisches, sorgfältig produziertes Olivenöl geschmeckt hat, vergisst das nicht mehr.