Zwischen Spiel und Geschichtsstunde

Inspiriert von Augusta Raurica beschliesst ein Aargauer, selbst ein Computerspiel über seine Lieblingszeit der Römer zu entwickeln.
Der Aargauer Spieleentwickler Roger Gassmann lässt Rom wieder aufleben. (Bild: zVg)

«Jetzt muss er wieder an der Arena arbeiten», hiess es in der Kommentarspalte. Gemeint ist das Amphitheater von Windisch, unweit des Legions­lagers Vindonissa. Doch um Archäo­logie geht es bei der Arbeit nur
am Rand. Im Computerspiel «Pax ­Augusta» erstrahlt die Arena mit ihren Tausenden von Plätzen in vollem Glanz. Sie ist eines der historischen Gebäude, die im Städtebauspiel «Pax Augusta» zum Leben erweckt werden. Ganze sieben Jahre lang beschäftigte sich der Aargauer Roger Gassmann mit der Geschichte Roms und dabei konkret mit dem Einfluss, den sie auf die Region hatte.

Erinnerungen an Augusta ­Raurica
Schon als Kind hat Gassmann ein Schulausflug nach Augusta Raurica begeistert. Die mächtigen Römer, schwer bewaffnet im Einsatz für ihr ewiges Reich. Neben der Geschichte vor der Haustür lockten ihn die Strategie- und Aufbauspiele der 1990er-Jahre vor den PC. Produktionsstätten bauen, Lieferketten erschliessen, neue Städte planen – was man eben so macht als junger Mann.
«Vor zehn Jahren fuhr ich mit meinem Auto zufällig an Augusta Raurica vorbei und dachte mir: Da sollte man doch mal wieder ein Computerspiel zu machen», erzählt Gassmann im Interview. Denn anders als damals in seiner aktiven Spielerzeit gibt es heute deutlich weniger Spiele, sie sich mit dem Imperium Romanum befassen. «Ich habe naiverweise gesagt: Ich mache jetzt mein eigenes Spiel», so der Spieleentwickler über seinen damaligen Tatendrang.

Roger Gassmann (42) (Bild: zVg)


Es braucht ein Dorf
Rom wurde bekanntlich nicht an einem Tag erbaut, und so zog sich die Entwicklung von «Pax Augusta». Soloentwickler Gassmann berichtet von Tausenden von Stunden, die allein in die Recherche flossen: Besuche in Vindonissa mit Aufnahmen und Vermessungen, wissenschaftliche Artikel, der Besuch von Museen, der Dialog mit Archäologen und der Austausch mit seiner Internetgemeinschaft (Community), welche die Entwicklung über Social-Media-Kanäle jahrelang begleitet hat. «In dem Spiel stecken Details, an die man gar nicht denkt», erzählt Gassmann, dem es wichtig war, möglichst historisch akkurat zu arbeiten.
Neben den eingekauften Arbeiten für die Musik und das Design der Menschen, die in «Pax Augusta» über die Strassen der römischen Siedlung und später Stadt wuseln, war es seine Community, die das noch nicht fertige Spiel testete. Ein wichtiger Teil der Entwicklung, denn hier werden Fehler und Ungereimtheiten aufgedeckt, die man als Entwickler gern übersieht. «Ohne sie hätte ich es nicht geschafft», sagt Gassmann, für den die jahrelange Entwicklung immer mehr zur persönlichen Belastung wurde. Keine Freizeit, kein Urlaub, nur das alte Rom – und das alles neben seinem regulären Job als Wirtschaftsdozent.

So sieht die römische Siedlung in der ersten Spielstunde aus: Einfache Strassen, schlichte Häuser mit Gärten und ein Friedhof. (Bilder: zVg)


Marmorstein und Planwirtschaft
«Man baut eine eigene römische Stadt und versucht, dass diese wächst, indem man die Einwohner zufriedenstellt», fasst Gassmann das Spielprinzip in einem Satz zusammen. «Die Schwierigkeit liegt darin, dass die Stadt überlebt», fügt er hinzu. Je mehr Einwohner man hat, desto mehr Nahrung wird benötigt. Es braucht ein Gleichgewicht zwischen dem Wachstum der Bevölkerung und demjenigen der Stadt. Wer im Winter nicht genug Holz zum Heizen hat oder beim Bauen zu früh zu gross gedacht hat, findet sich schnell ohne Einwohnerinnen und Einwohner sowie Geld wieder. Der andere Reiz ist für Gassmann, dass man eine optisch schöne Stadt erschafft, auf die man aus der gottähnlichen Vogelperspektive zufrieden blicken kann.
Während in modernen Filmen wie «Gladiator II» (2025) ganz Rom aus prächtigen Strassen und Marmorgebäuden besteht, geht «Pax Augusta» einen anderen Weg. «Das Spiel soll nach dem heutigen Wissensstand zeigen, wie es ausgesehen haben könnte. Die meisten Menschen haben ein komplett falsches Bild über die Römer», erklärt Gassmann. Die Städte waren schmutzig, und auf die wenigen Reichen folgte die Masse an Armen.

Vor allem die Region, mit der sich «Pax Augusta» inhaltlich beschäftigt, also die Schweiz, Deutschland und Nordfrankreich, unterschied sich vom Süden des Reiches. «Wir haben fast keine Ahnung, wie die Häuser hier über dem Boden ausgesehen haben. Wir haben nur die Grundrisse», erzählt Gassmann.
Holzbauten überdauern die Zeit sowieso nicht, und in Nordeuropa soll es nur ganz wenige Funde geben, bei denen eine Hauswand umgekippt ist und so der Nachwelt erhalten blieb. «Dadurch weiss man, wie hoch das Haus war, wie das Tor aussah. Aus diesen wenigen Informationen leiten wir alles ab – aber eigentlich wissen wir es nicht», gibt der Spieleentwickler zu bedenken. Schliesslich ist auch sein äusserst arbeitsintensiver Nachbau der Arena in Windisch nur eine Hypothese, wie es ausgesehen haben könnte.
Die jahrelange Recherche hat dann auch dafür gesorgt, dass es klassische Stadtgebäude wie das Krankenhaus und die Polizeistation nicht ins fertige Spiel geschafft haben. Und das, obwohl Gassmann das Legionärslazarett aus Vindonissa aufwendig nachgebaut hatte. Aber es war letztlich nur für die Soldaten und nicht für die Bevölkerung, die ebenfalls in «Pax ­Augusta» durch die Strassen wuselt.

Augusta Raurica

Die Arena in Windisch. (Bilder:| zVg)

Augusta Raurica

Das Theater in Lenzburg. (Bilder:| zVg)

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Unter Genrefreunden
Die Zielgruppe für das Aufbauspiel beschreibt Gassmann als Deutsch sprechende Männer zwischen 30 und 50 Jahren, die sich schon in ihrer ­Jugend mit den Genreklassikern befasst haben. Dabei erlebt das Genre des Städtebaus in den letzten Jahren ein Revival, das zudem eine grosse ­Vielfalt mit sich bringt. Von bunter Cartoongrafik und feuerspeienden Drachen bis zur detailgetreuen Si­-
mu­lation von Franken im späten 14. Jahrhundert.
Mit der Veröffentlichung des Spiels im April fiel eine grosse Last von Gassmann. Hinzu kamen zahlreiche positive Reaktionen, sowohl von der deutschsprachigen Spielepresse als auch von begeisterten Spielern und Spielerinnen. Nach einer kleinen Auszeit von den Römern will sich Gassmann nun noch die nächsten fünf Jahre um das Spiel kümmern. Ausser der Behebung kleinerer Fehler und der Reaktion auf Feedback gibt es ­einige Inhalte, die es zum Start nicht in das fertige Spiel geschafft haben, aber bereits in Entwicklung waren. Darunter fällt zum Beispiel der Bau einer eigenen Villa mit Badehaus und zusätzlichen Erweiterungen.

Einen Wunsch, den der Aargauer Entwickler den Spielerinnen und Spielern nicht erfüllen kann, ist derjenige nach dem Militär. Zu aufwendig, zu kompliziert und technisch für Gassmann schlicht nicht umsetzbar: «Deshalb ist es ein friedliches Spiel.»
Neben dem medialen Echo und der Liebe seiner Community hat sich das Spiel in den ersten 48 Stunden deutlich besser verkauft als erwartet. Gassmann, der während der Entwicklung einen hohen fünfstelligen Betrag an Eigenkapital in das Spiel gesteckt hat, freut es. Selbst wenn er betont, dass er es nie wegen des Geldes gemacht habe.
Und für den Fall, dass er sich doch wieder intensiver mit der Spieleentwicklung befassen möchte, hat Gassmann bereits ein neues Konzept im Kopf. Aber dann nicht als Soloentwickler.