Baden – «Ich habe schon als Jugendliche sehr viele Filme geschaut», erzählt Ivana Kvesić im Gespräch. Früher habe die gebürtige Winterthurerin in der Stadtbibliothek VHS-Kassetten ausgeliehen und zusammen mit ihrem Vater alte Western und Schwarz-Weiss-Filme gesehen. Die Leidenschaft für das Medium war immer schon da.
Seit November 2021 leitet sie das Animationsfilmfestival Fantoche in Baden und steht nun vor ihrer vierten Ausgabe. «Meine ersten Lebensjahre habe ich in Windisch verbracht. In dieser Hinsicht ist die Nähe zur Region gegeben. Seit ich hier arbeite, hat sich die Beziehung natürlich vertieft», sagt Kvesić, die zuvor vor allem das One-Of-A-Million-Musikfestival in der Stadt kannte. «Baden ist Winterthur als Stadt gar nicht so unähnlich», so die Kulturschaffende weiter.
Fantastische Welten
Für das «Fantoche» ist es bereits die 23. Ausgabe. Es sei international anerkannt und national eines von drei Animationsfilmfestivals, betont Kvesić die Alleinstellungsmerkmale: «Wir zeigen eher experimentelle sowie neue Stimmen und versuchen, Länder zu inkludieren, die eine kleine oder gar keine eigene Animationsfilmindustrie haben.» Zudem laufen Studentenfilme ganz normal im Wettbewerb, anstatt in eine eigene Kategorie ausgelagert zu werden. Einer der grossen Unterschiede zum Realfilm ist für Kvesić der künstliche Ton und die Animationstechnik. Man könnte einen Animationsfilm komplett allein gestalten – ganz ohne Filmcrew, wenn man denn die nötige Zeit aufbrächte. Denn die Produktion eines Kurzfilms (laut Definition bis zu 40 Minuten) dauert schnell einmal drei bis vier Jahre, während es bei einem Langfilm sogar sieben bis zehn Jahre sein können.
«Animation kann einen Menschen oder einen Gegenstand in Welten bringen, die im Realfilm sehr schwer realisierbar wären. Würde man ein Drehbuch zehn verschiedenen Animatorinnen und Animatoren geben, hätte man am Ende zehn komplett verschiedene Versionen auf der Leinwand», erzählt Kvesić über die kreative Vielfalt des Mediums.
Melancholisches Baltikum
Die Arbeiten für die kommende Fantoche-Ausgabe begannen für die Festivaldirektorin vor über einem Jahr. Frühzeitig werden Themen wie das Fokusland – in diesem Jahr Estland – festgelegt, damit Zusammenarbeiten, die Suche nach Fördergeldern und die Filmrecherche langsam beginnen können. Offiziell startet die Arbeit dann aber erst im Oktober. Dazu gehört der Besuch von anderen Festivals. «Ich schätze, ich komme auf knapp 1000 Filme im Jahr», sagt Kvesić über ihren Filmkonsum, der natürlich zahlreiche Kurzfilme beinhaltet.
Die Positionierung der Kulturveranstaltung Anfang September ist ideal – die Sommerferien sind vorbei, die Studentenferien dauern allerdings noch an. «Nach uns kommen allerdings zwei nationale Festivals mit Premierenstatus: das Zurich-Film-Festival und die Internationalen Kurzfilmtage Winterthur», erzählt Kvesić. Das mache die Akquirierung von neuen und interessanten Filmen nicht unbedingt leichter.
Kurzfilme werden länger
Mit Kooperationen wie zum Beispiel mit den Schweizer Jugendfilmtagen, der Hochschule Luzern und der Zürcher Hochschule der Künste sucht das Festival aktiv nach dem Nachwuchs, sowohl was die Filmschaffenden als auch das Publikum betrifft. «Wir haben ein sehr junges Publikum, was sich viele Festivals wünschen würden», erzählt die Festivalleiterin.
Neben einem spannenden Wettbewerb versucht man, mit dem Programm auch die Schweizer Filmszene möglichst breit abzubilden. Und vor allem Filme zu zeigen, die man sonst selten oder nie auf der grossen Leinwand sehen wird. Dazu zählt der Eröffnungsfilm «Amélie et la métaphysique des tubes», bei dem die französische Regisseurin Mailys Vallade im Kino Trafo anwesend sein wird. Der Film wurde in der Westschweiz gezeigt, eine Austrahlung in der Deutschschweiz ist bis jetzt nicht geplant. «Animation ist nicht nur etwas für Kinder – Erwachsene sollen ins Medium eintauchen können», nennt Kvesić eines der Ziele.
Am Eröffnungsabend wird es eine Übersetzung in Gebärdensprache sowie eine Audiodeskription auf Deutsch beim Film selbst geben. Der Einsatz für Menschen mit Seh- und Hörbehinderungen stand in diesem Jahr besonders im Fokus bei der Festivalplanung – soweit es das Budget zulässt. Während auf der inhaltlichen Seite hauptsächlich die Themen Neue Medien, KI und sogar Games eine Rolle spielen. Ein weiterer Trend, den das Selektionsteam beschäftigt, ist, dass Kurzfilme immer länger werden – also über 10 oder sogar 15 Minuten – was bedeutet, dass weniger Filme einen Platz am Festival finden.
«Es ist diverser und inklusiver geworden. Wen lade ich als Kuratorin und Jurymitglied ein, wie schaffe ich einen Raum, in dem sich alle sicherer und wohler fühlen? Das beschäftigt uns hinter den Kulissen», sagt Ivana Kvesić abschliessend auf die Frage, wie sie das «Fantoche» in den letzten vier Jahren geprägt hat.
Internationales Festival für Animationsfilm Baden, 2. bis 7. September