Brugg – Am 29. Mai 2006 stieg Gregor Tomasi nach seiner letzten Fahrt im Bahnhof Brugg aus der Lokomotive. Auf dem Perron empfingen ihn 150 Personen mit Livemusik. 41 Jahre lang hatte er als Lokomotivführer unzählige Züge zu jeder Tages- und Nachtzeit ans Ziel gebracht. Sogar den Milleniumswechsel erlebte er im Führerstand, denn er startete am 1. Januar 2000 um 0.04 Uhr – dem Ereignis entsprechend mit Frack und Krawatte – von Zurzach nach Brugg ins neue Jahrtausend.
Er liebte seinen abwechslungsreichen, verantwortungsvollen Beruf – es war sein Bubentraum. Nach der Maschinenschlosserlehre bei BBC wurde er bereits mit 22 Jahren Lokführeranwärter.
Zwar blieben auch ihm in der langen Berufszeit traurige Momente mit suizidalen Personenunfällen nicht erspart, doch lernte er damit umzugehen. Und den Übergang vom Dienst in den Ruhestand, «von hundert auf null», federte er mit einem neuen Lebenswerk ab: Er gründete mit sieben weiteren Bahnfreunden am 18. April 2006 die Stiftung Bahnpark Region Brugg.
Eine Erfolgsgeschichte
Die Stiftung wollte ausgediente historische Eisenbahnbauten erhalten, vorrangig die Lokomotivstation im ehemaligen Depot des Bahnhofs Brugg – eine der ältesten im Mittelland – mit dem Langhaus aus dem Jahr 1892 sowie dem 1912 erstellten Lokrundschuppen und der Drehbühne. SBB Historic überliess die Immobilien dem Bahnpark unentgeltlich mit einem Gebrauchsleihvertrag. Gregor Tomasi übernahm den Vorsitz des achtköpfigen Stiftungsrats. Er wurde zum «Mr. Bahnpark».
Der Verein Mikado 1244, die Dampfgruppe Zürich und andere Privatbesitzer stationierten ihre historischen Lokomotiven und Schienenfahrzeuge im Bahnpark. So entstand hier die grösste Sammlung betriebsfähiger normalspuriger Dampflokomotiven in der Schweiz, unter anderem mit legendären Loks wie dem «Elefant», dem «Tigerli», dem «Krokodil» und dem Nachbau der «Limmat» der Spanisch-Brötli-Bahn. Viele historische Fahrzeuge werden in Brugg gewartet und immer wieder auf Nostalgiefahrten eingesetzt. So führt der Bahnpark dem Publikum die Anfänge der Mobilität auf Schienen vor Augen. 2018 wurde die Trägerstiftung verdientermassen mit dem Aargauer Heimatschutzpreis ausgezeichnet.
Besonnen und herzlich
Gregor Tomasi engagierte sich ausserdem in der Lokalpolitik. Als besonnener Gewerkschafter gehörte er der SP an. Von 1981 bis 2001 sass er im Einwohnerrat, den er 1998/1999 präsidierte, danach war er acht Jahre lang Stadtrat. Er betreute die Ressorts Gas, Wasser, Abwasser und Zivilschutz. Zu seiner Enttäuschung, die er jedoch mit Fassung trug, wollte der Einwohnerrat nichts von einer grossen Zivilschutzanlage unter dem Neumarkt-Komplex wissen. Erfolgreich ritt er hingegen sein Steckenpferd: behindertengerechte Übergänge von Fussgängerstreifen auf Trottoirs durch Randsteinabsenkungen an städtischen Strassen.
Die klare Haltung und der ausgleichende Charakter Gregor Tomasis habe manche politische Diskussion entspannt, bestätigen frühere Behördenmitglieder. Der frühe Tod seiner ersten Gattin verbitterte ihn nicht, er nahm das Schicksal an, blieb ein geselliger, herzlicher Mensch und fand in der ebenfalls verwitweten Ines Del Conte eine verständnisvolle neue Lebenspartnerin. Das Eigenheim am Wildenrainweg mit Werkstatt und Modelleisenbahnanlage sowie dem Garten bis zum Süssbach hinunter bildete ein Refugium für die Patchworkfamilie. Zum Equipment des eingefleischten Bähnlers gehörten zwei historische Strassenverkehrsmittel, der unverwechselbare grüne Opel Commodore Oldtimer und eine rote Vespa.
Starke Verbundenheit
Was Gregor Tomasi vielen Menschen über Brugg hinaus bedeutete, offenbarte die Trauerfeier in der voll besetzten Stadtkirche. Pfarrer Rolf Zaugg würdigte den Verstorbenen mit einem Vergleich aus dem Lukas-Evangelium über Gleichgültigkeit und Mittelmass. Gregor Tomasi sei genau das Gegenteil gewesen, er habe vorgelebt, was alles möglich sei.
Alt Stadtammann Rolf Alder erinnerte mit Respekt an das Wesen und Wirken seines ehemaligen Stadtratskollegen und Freundes, während die Tochter Marion ihrem Vater Liebe und Dankbarkeit bezeugte. Gregor Tomasi brach nach einer überraschenden, schweren Krankheitsdiagnose Angang Jahr und anschliessendem Aufenthalt im Hospiz zur letzten Reise auf. Drei zu Herzen gehende Sololieder und majestätische Orgelmusik begleiteten die Abdankungsfeier. Die Trauergemeinde sang zum Schluss das Bruggerlied.