Es gibt immer einen Plan B

Deborah Schenker übergibt nach fünf Jahren die Leitung des christlichen Sozialwerks Hope in Baden ihrem Nachfolger Christian Obrist.
Christian Obrist löst Deborah Schenker als Geschäftsführer des Badener ­Sozialwerks Hope ab. (Bild: ub)

Baden – «Jeder Mensch ist wertvoll, selbst wenn er einen Lebensstil hat, der nicht mit unserer Gesellschaft konform ist», bekundet Deborah Schenker. Unter dieser Prämisse leitete sie mit ihrem 20-köpfigen Kernteam und über 80 Mitarbeitenden im Stundenlohn und in Freiwilligenarbeit fünf Jahre lang das christliche Sozialwerk Hope in Baden. Dieses verfügt von der Gassenarbeit bis zum Wohnexternat über verschiedene niederschwellige Angebote für Notleidende. In erster Linie geht es bei Hope darum, dass niemand Hunger leidet oder ohne ein Dach über dem Kopf lebt.

Nach fünf Jahren tritt Deborah Schenker eine neue Stelle im Sozialunternehmen WG Treffpunkt in Olten an, das mit verschiedenen Wohnformen und Tagesstrukturen Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen betreut. «Ich bin jetzt 48 Jahre alt und wollte nochmal etwas Neues anfangen. Es ist mir zwar schwergefallen, meinen Job bei Hope aufzugeben, aber manchmal muss man etwas loslassen, wenn es am besten ist», meint sie.

Zudem ist sie überzeugt, mit dem 55-jährigen Christian Obrist, der in der Nähe von Winterthur wohnt und zwei Kinder hat, den perfekten Nachfolger gefunden zu haben. «Hier wird den Gästen, die teilweise vor dem absoluten Nichts stehen, ein Stück Menschenwürde zurückgegeben. Hoffnungslose Fälle gibt es nicht. Diese lebensbejahende Einstellung beeindruckt mich sehr, und ich möchte im gleichen Sinne weitermachen», sagt Christian Obrist. Zuletzt war er administrativer Leiter einer Kita mit Plätzen für 57 Kinder und in beratender Querschnittsfunktion des sozialen Winterthurer Notwohnprojekts Unterschlupf.

Baden hat Vorbildcharakter
«Komplexe psychische Probleme und Suchterkrankungen haben zugenommen. Zudem wird Einsamkeit mehr und mehr zum Problem», weiss Deborah Schenker aus ihrer Erfahrung. «Jeder Mensch braucht einen Ort, an dem er sich sicher fühlt und spürt, dass er nicht allein ist. Sei es ein Zimmer, eine WG oder eine kleine Wohnung. Und es wird immer schwerer, bezahlbaren Wohnraum zu finden», ist sich Christian Obrist bewusst.

Das christliche Sozialwerk in Baden betreibt am Standort an der Stadtturmstrasse Zimmer für bis zu 18 Personen, ein Wohnexternat mit 14 Plätzen und eine Notpension in der Halde mit 8 Schlafplätzen für Obdachlose. «In der Zusammenarbeit mit Behörden, anderen Institutionen und Kliniken habe ich gelernt, dass es stets eine Möglichkeit gibt, etwas zum Guten zu verändern. Egal wie aussichtslos die Situation eines Menschen im Moment aussieht», findet Deborah Schenker. Sie führte zusätzlich zu den zahlreichen Beschäftigungsangeboten im Hope Kunstprojekte mit einer Therapeutin und ­tiergestützte Interventionen ein. ­«Solche Aktivitäten, die Kontakte, Selbstwert und Fähigkeiten der Betroffenen fördern, sind enorm wichtig», betont sie.

Christian Obrist ist froh über die professionelle Aufbauarbeit seiner Vorgängerin und könnte sich vorstellen, dass Badens Herangehensweise in diesem Bereich auch in anderen kleinen oder mittelgrossen Städten funktionieren würde. Deshalb möchte er das hier gewonnene Know-how künftig anderen Aargauer Institutionen weitergeben und sie beratend begleiten.

Projektleiter in der Mongolei 
Nach seiner Ausbildung als Chemie­laborant und der Erwachsenenmatur studierte Christian Obrist an der HSG «International Affairs and Governance». Die Stellensuche danach gestaltete sich für den damals 35-Jährigen allerdings schwierig. Er war einige Jahre im technischen Verkauf tätig und baute schliesslich ein Unternehmungsberatungsprojekt für Entwicklungszusammenarbeit in der Mongolei auf. «Wir waren das unabhängige ausländische Non-Bank-Financing-Institut im Land, das kleinen und mittleren Unternehmen Kredite gab», erklärt er. Der Start sei zäh gewesen. «Aber ich habe dort zwei wesentliche Dinge gelernt. Erstens: Es gibt immer einen Plan B, wenn Plan A nicht klappt. Und zweitens, dass etwas auch realisierbar ist, wenn alle anderen nicht daran glauben.»

Jahrelang war Christian Obrist zudem Turniertänzer Standard, wurde in der C-Klasse sogar Schweizer Meister und arbeitete als Tanzlehrer in der renommierten Tanzschule Kaiser in Zürich. Er nahm am Opernball teil, lernte die High Society kennen und bezeichnet es als eine seiner Stärken, einen Draht zu allen Gesellschaftsschichten zu haben: «Berührungsängste kenne ich nicht. Mir ist es egal, ob ein Mensch arm oder reich ist. Jedes Individuum ist für mich wertvoll, und ich wehre mich gegen Verurteilungen, Vorurteile und Polarisierung.» Der Glaube gab ihm schon immer Halt und Kraft, um mit unterschiedlichsten Situationen im Leben umzugehen. Zum Ausgleich ist er oft mit seiner Familie unterwegs und gibt mit seiner Gitarre regelmässig Konzerte in einer Kirche in Winterthur.

«Für diesen Job braucht es ein grosses Herz und viel Flexibilität, aber auch einen starken Willen und den nötigen Pragmatismus», meint Deborah Schenker zum Schluss. Christian Obrist scheint diese Qualitäten dank seiner facettenreichen Lebenserfahrung mitzubringen. «Mein beruflicher Weg war zwar speziell, aber ich habe dabei viel gelernt, was mir jetzt in meiner neuen Funktion zugutekommt. Vor allem ein gesamtheitliches Denken, wie man Menschen in Krisensituationen auf ihrem weiteren Lebensweg unterstützen kann.»