Ökologische Aufwertung des Sagemülitälis

Das Sagemülitäli ist ein Landschaftsjuwel. Es wurde 1987 vor dem Autobahnbau gerettet. Jetzt wird es zur Naturschutzperle umgestaltet.
Das Sagemülitäli auf dem Bözberg ist ein Landschaftsjuwel. (Bild: hpw)

Linn – Das Sagemülitäli auf dem Bözberg zwischen Linn und Effingen wurde vor 40 Jahren landesweit bekannt, weil durch diese Landschaftskammer die Linienführung der Autobahn N3 Birrfeld–Fricktal geplant war. Das hätte die Zerstörung der idyllischen Gegend bedeutet. Sie wurde im letzten Moment verhindert, indem die Aargauer Regierung und der Bundesrat das baureife Projekt fallen liessen und auf die Autobahn-Tunnelvariante durch den Bözberg umschwenkten.  

Den Ausschlag für die Rettung des Tälis gaben aber weniger ökologische Kriterien – von Biodiversität war damals noch kaum die Rede –, sondern es dominierte vielmehr das ungute Gefühl, das unbewohnte, naturbelassene und etwas geheimnisvolle Gebiet zuzubetonieren. Erst durch die Aus­einandersetzung mit dem Autobahnprojekt wurde man sich der vorhandenen Naturwerte richtig bewusst: der Quellfluren, der lichten Föhrenwälder, Magerwiesen und Orchideen­vorkommen, des zum Teil in Röhren versenkten Sagemülibachs, des höchsten Wasserfalls im Aargau und des stillgelegten Steinbruchs. 

Das Wahrzeichen ist weg
Endgültig verloren ging allerdings das Wahrzeichen des Tals, die 400 Jahre alte Sagemüli. Sie war am Anfang tatsächlich eine von einem Mühlrad angetriebene Säge zur Holzbearbeitung; aber ab dem 16. Jahrhundert diente sie als Getreidemühle. Im Laufe der Zeit wechselte sie vielfach die Besitzer. Unter anderem war sie das Geburtshaus des ehemaligen Brugger Gerichtspräsidenten Emil Wildi.

Der Mühlebetrieb wurde 1951 eingestellt. Vorsorglich kaufte der Kanton zwei Jahre später den gesamten Komplex, bestehend aus Wohnhaus und Mühle, einem weiteren Wohnhaus mit Scheune, noch einer Scheune mit zwei Anbauten plus 11 Hektaren Land. Eine neue Verwendung war nicht in Sicht, die Liegenschaft ver­lotterte. Deshalb und weil die Pläne für die A3-Linienführung durch das Sagemülitäli konkret wurden, liess der Kanton die Bauten 1975 abbrechen. Niemand wehrte sich dagegen.  

Immerhin hinterliess das nicht ­realisierte Autobahnprojekt eine Landreserve, die der Kanton aber nicht mehr für den Strassenbau benötigte. Sie dient nun als hilfreicher Realersatz für ökologische Massnahmen mit Feuchtgebieten. So wird das Landschaftsjuwel Sagemülitäli zusätzlich zu einer Naturschutzperle aus Menschenhand aufgewertet. Die Renaturierung des Mülibachs ist fertig. Jetzt sind im mittleren und unteren Talbereich weitere Erdbewegungen mit schwerem Gerät im Gang.

Arsen im Boden
Die kantonale Abteilung Landschaft und Gewässer lancierte die Projekte. Der Projektleiter Noah Meier von der Pro-Natura-Tochter Crea Natira und Norina Andres aus der Sektion Wasserbau des Kantons Aargau informierten einen Gönnerkreis von Naturschutzfreunden am Herbstanlass von Pro Natura Aargau bei einem Abendrundgang über den Stand der Massnahmen. Unter den Gästen weilte der ehemalige Regierungsrat und Bau­direktor Ueli Siegrist, dessen Hart­näckigkeit es zu verdanken ist, dass das Sagemülitäli von der Autobahn verschont blieb.

Früher mäandrierte der Sagemülibach frei durch den Talboden. Er wurde in den 1880er-Jahren seitlich an den Hang verlegt und später im oberen Talbereich noch kanalisiert, um Kulturland zu gewinnen. Jetzt hat man ihn streckenweise ausgegraben und im offenen Bachbett revitalisiert. Sein Plätschern ist wieder zu hören. Eine sparsame Bepflanzung mit ­Büschen hält den Blick vom nahen Wanderweg auf das Gewässer offen. Der schön in die Landschaft eingebettete Bachlauf verrät das Geschick des Baggerführers. 

Bei den Erdbewegungsarbeiten für den Bach sowie die neuen Flutmulden und Tümpelketten tauchte ein Pro­blem auf, mit dem schon etliche Bauwillige auf dem Bözberg konfrontiert waren: Zum Vorschein kam an sich ­natürliches Bodenmaterial, aber mit geogener Belastung – mit angereichertem Arsen und Chrom. Es musste zum Teil mit Mehrkosten in einer besonderen Deponie entsorgt werden. 

Im oberen Teil des Sagemülitälis wurde der streckenweise kanalisierte Mülibach wieder ausgegraben und im offenen Bachbett revitalisiert. (Bild: hpw)

Ein wegweisender Entschluss 
Unterhalb des bestehenden Wasserfalls wird in Zukunft bei hohem Wasserstand des Mülibachs Wasser über die Wiese in bestehende und neue Feuchtgebiete geleitet. Ergänzt durch Kleinstrukturen wie Ast- und Steinhaufen sowie Sandlinsen entstehen Laichplätze und Lebensräume für gefährdete Pionierarten wie die Geburtshelferkröte, die Kreuzkröte, die Gelbbauchunke und die Sumpf-Heidelibelle.  

Damit leisten der Kanton und Pro Natura gemäss den Vorstandsmitgliedern Johannes Jenny und Peter Stadler einen Beitrag an den vom Grossen Rat beschlossenen Auftrag, im Aar­gau 1000 Hektaren feuchte Lebensräume zu schaffen. Für die in Gang gesetzte ökologische Aufwertung des Sage­mülitälis wird mit Gesamtkosten von rund 1,4 Millionen Franken gerechnet.  

Die Massnahmen sind dank des 1987 getroffenen wegweisenden Autobahnentscheids möglich. An der Be­gehung schilderte der damalige Baudirektor Ueli Siegrist eindrücklich, wie er zu der Überzeugung gelangt sei, dass es besser sei, von der nach jahrelangen Diskussionen und Beschwerdeverfahren bereinigten A3-Linienführung durch das Sagemülitäli – dem nunmehr baureifen Projekt, wohlgemerkt – abzurücken und den Regierungsrat von der Tunnelvariante zu überzeugen. 

Bundesrätliche Wanderung
Als der regierungsrätliche Entschluss gefasst war, lud das Baudepartement an einem Montag um 13 Uhr telefonisch die betroffenen Gemeinden und weitere involvierte Kreise gleichentags auf 17 Uhr zur Information nach Aarau ein. Die Aussprache ergab eine klare Unterstützung für die Tunnel­lösung. Diese Erkenntnis wurde am Dienstagmorgen schliesslich nach Bern übermittelt. Und bereits am darauffolgenden ­Donnerstag empfing der eidgenössische Verkehrsminister Leon Schlumpf Regierungsrat Ueli Siegrist zur Begründung der neuen Ausgangslage.  

Bundesrat Schlumpf beschaffte sich danach eine Karte im Massstab 1 : 25 000, machte an einem Samstag auf der Fahrt von Bern nach Grau­bünden in den Wochenendurlaub im Aargau halt und wanderte inkognito von Effingen nach Linn, um sich vom landschaftlichen Charme des Sagi­mülitälis ein persönliches Bild zu ­machen.

Der Rest ist Geschichte. Die Bewilligung des neuen Projekts mit letzten wichtigen Korrekturen wie der Verlängerung des Bözbergtunnels, der Untertunnelung des Schinznacherfelds und dem Verzicht auf den Halbanschluss Schinznacherfeld ging im Vergleich zum vorherigen «Autobahnkrieg» zügig über die Bühne. 1988 ­begannen die Bauarbeiten, und 1996 wurde die N3 dem Verkehr übergeben. Ein gediegener Gedenkplatz am Rand des Sagemülitälis erinnert an etwas, das zum Glück nicht gebaut wurde. Bei jener Gelegenheit sagte der jetzige Aargauer Baudirektor ­Stephan Attiger: «Mensch und Natur sind froh, dass die Pläne für die N3 nicht so umgesetzt wurden, wie ursprünglich vorgesehen.»