Wettingen – Die zartgliedrige Ukrainerin Olga Krasnopolska ist zäher, als es auf den ersten Blick scheint. In ihrer Jugend betrieb sie zehn Jahre lang Spitzensport im Bereich Rhythmische Gymnastik. Sie wechselte dann zum klassischen Ballett und liess sich zur Tänzerin ausbilden. Ihr Talent und ihre eiserne Disziplin zahlten sich aus. Sie wurde für eine grosse, moderne Zirkusshow engagiert, wo sie ihren heutigen Mann Anatoli Salveski kennenlernte.
Der Akrobat und Equilibrist gewann am Zirkusfestival von Monte Carlo den Goldenen Clown und zahlreiche weitere Preise, war monatelang mit dem Cirque du Soleil unterwegs. Das Paar mit drei Kindern gründete in der ukrainischen Heimat mit anderen Artisten das Ensemble «Rizoma» und machte mit seiner ganz speziellen Synthese aus Artistik und Tanz weltweit von sich reden. Zudem eröffnete es eine Zirkusschule, die stetig grösser wurde. Die regelmässig im Sommer stattfindenden Tanz-, Gymnastik- und Artistik-Camps für Jugendliche waren im ganzen Land bekannt und begehrt. Das sind Tempi passati.
Flucht in die Schweiz
Vor dreieinhalb Jahren floh Olga Krasnopolska wegen des Krieges mit ihren beiden Söhnen Illia und Matvii sowie ihrer Tochter Mariia in die Schweiz und fand in Wettingen eine vorübergehende Unterkunft. «Das Schwierigste war zu Beginn vor allem die Sprache», erzählt sie in einem Mix aus Deutsch, Englisch und Russisch. Mit einem zusätzlichen Translator auf ihrem Mobiltelefon klappt die Verständigung aber gut. «Ich musste auch verstehen lernen, nach welchen Regeln und mit welchen Einschränkungen wir hier leben müssen», bekundet die Artistin weiter. Dass sie jeweils nur für 14 Tage in ihr Heimatland reisen darf, empfindet sie als schwierig. Die ganze Familie lebt dort, und sie vermisst ihre Lieben enorm. Tochter Mariia hatte gar derart Heimweh, dass sie zurück in die Ukraine ging und blieb.
Erschwerend kommt hinzu, dass ihr Mann Anatoli nach einer Tournee durch die Türkei wegen der Arbeitsmöglichkeiten dortgeblieben ist und zurzeit auf seine Papiere warten muss. «Mir wurde von offizieller Seite mitgeteilt, dass mein Mann mich nicht in der Schweiz besuchen darf», sagt sie. Obwohl sie zurzeit auf sich alleine gestellt ist, versucht sie, ruhig zu bleiben. Vor allem ihren beiden Söhnen zuliebe.
Leben von Tag zu Tag
Kraft gibt Olga ihr stundenweises Engagement beim Kinder- und Jugendtheater «Lampefieber» in Baden. Leiterin Simona Hofmann hat mit ihr das Kurssegment «Circomania» eingeführt. Die beiden bühnenerfahrenen Frauen unterrichten den Nachwuchs in den Proberäumen des Theaters im Kornhaus in einem Mix aus Artistik, Tanz und Showelementen, der bis zur Bühnenreife führen kann.
Im Rahmen der 2026 stattfindenden Jubiläumsfeierlichkeiten unter dem Motto «Disput(N)ation», zum Gedenken an die Badener Disputation von vor 500 Jahren, wird mit rund 90 jungen «Lampefieber»-Teilnehmenden zwischen 6 und 16 Jahren zurzeit die Talkshow «Disputissima» erarbeitet. In der theatralischen Performance, die voraussichtlich im März 2026 zur Aufführung kommen soll, nehmen die Kids und Jugendlichen die Kunst des Streitens, Debattierens und Zuhörens unter die Lupe.
Doch das ist nicht das einzige Projekt, in das Olga Krasnopolska involviert ist. Für die «Moonlight»-Ballettschule in Wettingen, wo sie Erwachsene stundenweise in klassischem Ballett unterrichtet, bereitet sie bis Ende Januar kommenden Jahres 14 verschiedene Tanznummern für die Aufführung von «Cinderella» vor. Last but not least gibt sie in Brugg Unterricht in Contemporary Dance. Die Artistin hat aufgehört, im Voraus zu planen. «Wir leben mit einem S-Status, der jederzeit wieder aufgehoben werden kann», ist sie sich bewusst und fügt hinzu, «ich versuche jeden Tag mein Bestes zu geben. Was morgen ist, weiss ich nicht.»
Unterschätztes Land
Olga Krasnopolska bezeichnet die Ukraine als oftmals unterschätztes Land. «Viele meinen, es sei unterentwickelt. Dabei sind wir in vielen Bereichen moderner als manche EU-Staaten», sagt sie. Lustig findet sie, dass in der Schweiz noch Post in Papierform in den Briefkasten kommt. «Bei uns gibt es das längst nicht mehr. Alles funktioniert digital», erzählt sie. Für ihre Zukunft wünscht sie sich nur eins: «Das wir endlich wieder wie früher als Familie zusammenleben können; in einer Welt, in der es keinen Krieg mehr gibt.»