Carmen ist tot – und lebt weiter

Bald 20 Jahre sind verstrichen, seit die Oper Schenkenberg Bizets «Carmen» inszenierte. Nun wird die Geschichte weitergesponnen.
Die Schweizer Sängerin Sarina Weber verkörpert die Protagonistin Carmen. (Bild: Ingo Hoehn)

Baden | Schenkenbergertal – In rasender Eifersucht hatte Don José die Zigeunerin Carmen umgebracht. Unfähig zu akzeptieren, dass ihre Liebe für ihn erloschen war und nun dem Torero Escamillo galt, hatte er ihr – völlig ausser sich – das Messer in die Brust gerammt. Carmen starb in seinen Armen. Don José zerfiel in tiefster Verzweiflung. Widerstandslos liess er sich festnehmen und abführen. Sein Dasein hatte jeden Sinn, jede Berechtigung verloren.

Doch die Protagonisten jener Tragödie leben weiter. Don José schmachtet seit 20 Jahren im Kerker. In seinen Tagträumen, im tiefsten Innern seines Unterbewusstseins, begegnet er noch immer jener Frau, die ihn mit ihrer erotischen Ausstrahlung vollkommen in ihren Bann gezogen hatte: Carmen. Sie lebt in seiner Fantasie, hat nichts von ihrer ebenso jugendlichen wie ungestümen Faszination eingebüsst. Unfähig, sich von diesem Wunschbild zu befreien, ist sich José seiner Schuld bewusst. Der Mord an Carmen steht ihm in seiner ganzen Sinnlosigkeit vor Augen. Dieser inneren Zerrissenheit entspricht die aussichtslose Lage, in der sich Don José in der Gefangenschaft befindet.

Prosper Mérimée will es wissen
Doch unvermittelt tauchen die wichtigsten Protagonisten jenes Geschehens noch einmal auf: Escamillo, der Torero, und Micaëla, die umsonst versucht hatte, José von seinem Liebesrausch zu befreien und in ein gutbürgerlich-geordnetes Dasein zurückzuführen. Prosper Mérimée höchst-
persönlich, dessen Novelle «Carmen» als Vorlage für die Oper des französischen Komponisten Georges Bizet diente, sucht im Gespräch ins Innerste seiner Figuren vorzudringen: Was ist aus ihnen geworden? Was haben jene Ereignisse aus ihnen gemacht? – Eine Annäherung an ihre Psyche, hier, in der räumlichen Enge der Gefängniszelle: Es gibt kein Ausweichen, kein Weglaufen. Was bleibt, ist einzig die Erkenntnis, die Wahrheit.

Der Boxopera-Inszenierung liegt die Überzeugung zugrunde, dass gute, spannend erzählte Geschichten etwas zutiefst Menschliches sind, das uns von früher Kindheit an zu fesseln vermag. In vielen Kulturen geniessen fesselnde Geschichtenerzähler hohes Ansehen. Dieser Tradition fühlt sich das Zürcher Opernensemble Box­opera verpflichtet. Carmen feiert so etwas wie eine Auferstehung. Bizets eingängige Musik klingt an, wird erweitert, fortgesetzt, verdichtet, neu gewichtet und mit traditionellen spanischen Klangelementen intensiviert. Die Produktion will dem Publikum nicht einfach ein Opernerlebnis bieten. Vielmehr soll in diesem erzählenden Musiktheater die Erkenntnis reifen: Oper ist gar nicht so schlimm! Sie greift in emotionaler Weise Bereiche des Daseins auf, von denen uns viele nur allzu bekannt sind, kleidet sie in eine Geschichte und macht sie so miterlebbar.

Qualität um jeden Preis
Peter Bernhard aus Schinznach nimmt als Tenor die Rolle des Don José ein. Schon in seinen früheren Produktionen ist er als Boxopera-Gesamtleiter niemals Kompromisse in qualitativer Hinsicht eingegangen. Diesem Grundsatz ist er treu geblieben. Auch für dieses neue Projekt greift er auf bewährte, ihm vertraute Persönlichkeiten zurück, etwa auf die Regisseurin Anette Leistenschneider oder die Kostümbildnerin Ulli Kremer. Auch die Orchestermusiker aus den Sinfonieorchestern Luzern, Bern und Biel-Solothurn sowie die Solisten üben ihr Fach in herausragender Weise aus. Die musikalische Leitung liegt in den Händen von Andrea Del Bianco vom Opernhaus Zürich, der sowohl in der Funktion als Dirigent sowie als Pianist am Flügel zu erleben sein wird.

Die Premiere findet am 1. November im Kurtheater Baden statt. Tickets und Informationen, auch zu weiteren Spielorten, sind unter boxopera.net erhältlich.