Baden – Die Affiche war bereits Tage vor der Einwohnerratssitzung bekannt. Die FDP durfte für ihre Forderung nach einer Senkung des Steuerfusses von 92 auf 89 Prozent auf die Unterstützung von SVP, Mitte und GLP zählen. Addiert verfügen die vier Parteien im 58-köpfigen Gemeindeparlament über 29 Stimmen – also genau die Hälfte. Käme es in der Abstimmung zum Patt, hätte das Ratspräsidium den Stichentscheid. Da dieses Sarah Wiederkehr von der Mitte innehat, konnte man davon ausgehen, dass der Präsidialentscheid für die Steuersenkung ausfällt. Die grosse Unbekannte in dieser Rechnung waren Abwesenheiten. Und siehe da: Ein Mitglied der GLP musste sich für die Sitzung entschuldigen, aber auch ein Parlamentarier der Grünen, womit sich wiederum Gleichstand ergab.
Präsidentin muss sich outen
Markus Rausch (SP) versuchte, das bürgerliche Bollwerk mit einem Antrag auf geheime Abstimmung aufzubrechen. Sein Kalkül: Wird per Stimmzettel entschieden, könnten sich Abweichlerinnen und Abweichler aus den Reihen von FDP, Mitte, SVP und GLP der Stimme enthalten oder gar den bisherigen Steuerfuss unterstützen, ohne sich outen zu müssen. Die Hürde eines Viertels der anwesenden Einwohnerrätinnen und -räte nahm Rauschs Antrag locker – aber die Auszählung ergab das erwartete Resultat: 28 zu 28 Stimmen. Die Konsequenz: Sarah Wiederkehr wurde zum einzigen Parlamentsmitglied, das öffentlich abstimmen musste. Sie sprach sich für die Steuersenkung aus und nahm die ihr auferzwungene Transparenz mit Humor.
Gesetzeslücke entdeckt
Nimmt man das Geschäftsreglement des Einwohnerrats zur Hand, stösst man in Paragraf 48 auf den Passus «Ergibt sich bei geheimen Abstimmungen Stimmengleichheit, gilt der Antrag als abgelehnt». Weshalb kam dieser Paragraf nicht zur Anwendung? Antwort gibt Marco Sandmeier, Badener Stadtschreiber und Jurist: «Diese Bestimmung ist für einen geheimen Ausmehrungsentscheid nicht tauglich. Es wäre unklar, welcher der beiden Anträge – die gleichwertig sind – als abgelehnt gelten würde. Ebenso wenig geben Literatur und Rechtsprechung Aufschluss über das korrekte Vorgehen.» Man habe es mit einer Gesetzeslücke zu tun.
Seit 1966 kennen verschiedene Aargauer Gemeinden, unter ihnen Wettingen, die «ausserordentliche Gemeindeorganisation», den Einwohnerrat – seit 1972 auch Baden. Eine Regelung für den Fall eines geheimen Ausmehrungsentscheids hat keine von ihnen. Es scheint zudem noch nie zu einer Situation wie der vorliegenden in Baden gekommen zu sein. Allerdings: Weil sich niemand der Stimme enthalten hat und alle ihren Fraktionsbeschlüssen gefolgt sind, lässt sich jedes Einwohnerratsmitglied einem der beiden Steuerfüsse zuordnen. Das letzte Wort zu Budget und Steuerfuss haben die Stimmberechtigten am 30. November an der Urne.
Hoher Investitionsbedarf
Auslöser für die Steuersenkung war, dass im Budget für 2026 mit einem erneuten Einnahmenüberschuss – diesmal in Höhe von 4,132 Millionen Franken – gerechnet wird. 3 Prozent weniger Steuereinnahmen schmälern den Gewinn um 2,4 Millionen Franken. Die Stadt Baden verwendet ihre Überschüsse derzeit für die Vorfinanzierung von Schulbauten. Deshalb wollte der Stadtrat den Steuerfuss derzeit nicht senken.
An seiner Sitzung hatte der Einwohnerrat auch über eine Reihe anderer Geschäfte zu befinden, darunter der Studienauftrag zur Neugestaltung des Unteren Bahnhofplatzes. Der Rat sprach sich für den Planungskredit in Höhe von 392 000 Franken aus, der teilweise von der reformierten Kirchgemeinde getragen wird. Genauso wurde für die Ausarbeitung einer Vorstudie zur Neugestaltung des Theaterplatzes ein Planungskredit in Höhe von 272 000 Franken bewilligt. Weiter hatte er über einen Projektierungskredit in Höhe von 850 000 Franken für die Sanierung und die Erweiterung der Turnhalle Kappelerhof zu entscheiden. In Bezug auf die Erneuerung der gesamten Schulanlage kristallisiert sich heraus, dass diese nicht 40, sondern 45 Millionen Franken kosten wird. Die SVP reagierte mit einem Rückweisungsantrag für das Projekt Turnhalle, der allerdings keine Mehrheit fand.