Stundenlohn für helfende Hände

Private Spitex, die pflegende Angehörige anstellen, boomen – und sind zum Teil umstritten. Besuch bei einer Firma mit Familiengeschichte.
Die Pflege von Angehörigen ist oft ein einsames Geschäft. (Bild: Pixel-Shot)

Eine schwere Erkrankung stellte das Leben des Ehepaars Kumar auf den Kopf (Name geändert). Er arbeitete als Manager, sie im IT-Bereich – bis er an Parkinson erkrankte und bei fortschreitendem Verlauf seinen Beruf aufgeben musste. Frau Kumar reduzierte ihr Arbeitspensum, um sich um ihn zu kümmern, und gab ihren Job schliesslich ganz auf, als der Pflegebedarf umfassend wurde. Sie beantragte für ihren Mann Hilflosenentschädigung bei der Invalidenversicherung (IV), die Menschen zusteht, die Hilfe bei alltäglichen Lebensverrichtungen benötigen. Die IV lehnte die Anträge während vier Jahren ab. Frau Kumar pflegte ihren Mann gratis, die beiden lebten vom Ersparten.

«Für solche Menschen möchten wir da sein», sagt Martin Alberts im Büro von Asfam im Dättwiler Täfern-Quartier. Alberts ist Pflegeleiter und Geschäftsleitungsmitglied von Asfam Aargau, einer privaten Spitex-Organisation, die pflegende Angehörige anstellt und entlöhnt. Auch Frau Kumar, deren Mann inzwischen verstorben ist, fand schliesslich zu Asfam. Neben dem Lohn erhielt sie fachliche Begleitung durch eine Pflegefachperson. «Nach der Zeit, in der sie alles allein gestemmt hatte, tat ihr die Anbindung an andere Menschen und eine unterstützende Organisation gut», sagt ­Alberts. Denn die Pflege von Angehörigen ist oft ein einsames Geschäft.

Wer die hochbetagte Mutter, den schwerkranken Bruder oder das beeinträchtigte Kind regelmässig beim Anziehen, beim Essen und bei der Körperhygiene unterstützt, kann sich bei ­Asfam melden. «Bei einem Bera­tungsgespräch zu Hause wird der Pflegebedarf ermittelt», erklärt Alberts, der 16 Jahre Berufserfahrung als Pflegefachmann mitbringt. Dieser sei klar definiert. «Aufgaben mit Betreuungscharakter wie die Begleitung zu Arztterminen gehören zum Beispiel nicht dazu.» Die angestellten ­Angehörigen haben Anspruch auf die zweiwöchentliche Unterstützung durch eine Fachperson: mindestens einmal im Monat ein Hausbesuch, dazwischen ein Telefonat – bei Bedarf beides häufiger. Diese «Aufsicht» durch Pflegefachpersonal macht es möglich, die von Privaten erbrachten Leistungen über die Krankenkasse abzurechnen. Weil die Anstellung von pflegenden Angehörigen lukrativ ist, sind private Spitex in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen. Manche stehen im Ruf, das teure Gesundheitssystem für ihren Profit noch mehr zu melken. «Solche Kritik trifft uns sehr», sagt Kenny Kunz, der das Unternehmen mit seinem Vater aufgebaut hat und ebenfalls nach Dättwil gekommen ist. Er betont: «Wir sind keine Kapitalisten, sondern eine Firma, die von pflegenden Angehörigen für pflegende Angehörige gegründet wurde. Das unterscheidet uns diametral von anderen Mitbewerbern.» Die Vorgeschichte von Asfam ist denn vor allem eine Familiengeschichte.

Der heute 34-jährige Kenny Kunz war ein Jahr alt, als sein Opa einen Schlaganfall erlitt, das Sprechvermögen verlor und im Rollstuhl landete. Kunz’ Mutter und seine Grossmutter pflegten den Opa gemeinsam bis zu seinem Tod – während fast 20 Jahren. Mutter Kunz hatte dafür ihre Arbeitsstelle aufgegeben. Später nahm sie wieder einen Job an, doch auch diesen musste sie an den Nagel hängen: Kenny Kunz hatte sich im Militär eine Hüftverletzung zugezogen und war wegen Komplikationen und insgesamt acht Operationen während 18 Monaten bettlägerig. «Meine Mutter kümmerte sich hingebungsvoll um mich, ohne sie hätte ich das psychisch nicht überlebt», sagt Kenny Kunz. «Mein Vater arbeitete derweil 18 Stunden am Tag, damit es finanziell reichte.»

Als das Bundesgericht 2019 zum zweiten Mal entschieden hatte, dass pflegende Angehörige von einer Spitex angestellt und bezahlt werden können, beschlossen Vater und Sohn Kunz, eine solche zu gründen, um anderen Familien die selbst erlebte ­Prekarität zu ersparen. Die soziale Absicherung der pflegenden Angehörigen stehe im Zentrum. «Ab dem ersten Franken Lohn sind sie PK-versichert, zudem übernehmen wir als Arbeitgeber 60 Prozent der PK-Beiträge», erklärt Martin Alberts.

Inzwischen ist Asfam in 16 Kantonen aktiv, als eine von gerade mal zwei Privatspitex zudem in der Romandie. «Dort gibt es im Gegensatz zur Deutschschweiz keine Gemeindebeiträge bei der Vergütung der Pflegestunden, das drückt die Marge und hält profitgetriebene Anbieter fern», sagt Kenny Kunz. Sie aber wollten den Angehörigen überall Unterstützung bieten, selbst wenn das in der Romandie zurzeit ein Verlustgeschäft sei. Inzwischen bieten auch «öffentliche» Spitex in der Region Anstellungsmodelle an, wobei sie an einem Tag pro Woche die Pflege selbst übernehmen. Ansonsten sind Bedingungen und Finanzierung vergleichbar mit dem Asfam-Angebot, die Stundenlöhne tendenziell etwas höher, wie eine Umfrage zeigt.