«Plötzlich gewann ich alles»

Vanessa Keller ist schon als kleines Mädchen im Ringsport eingestiegen. Heute präsidiert die 32-Jährige die Ringerriege Thalheim.
Vanessa Keller, Präsidentin der Ringerriege Thalheim. (Bild: pbe)

Thalheim – Thalheim als kleine, aber feine Ringerhochburg zu bezeichnen, ist keineswegs übertrieben. Seit Jahrzehnten sorgt der Verein NRC Thalheim für Schlagzeilen. Er stellt einen hochklassigen Trainingsbetrieb und machte es sich immer zur Aufgabe, auch Kindern und Jugendlichen eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung zu bieten: polysportiv, fordernd, aber auch von Spass und Kameradschaft geprägt. Vanessa Nussberger – so hiess sie vor ihrer Ehe – ist seit früher Kindheit dabei, ist dabei zur Spitzensportlerin gereift und leitet als 32-Jährige und Mutter eines Kleinkindes die Geschicke des Vereins: Sie ist Vorstandspräsidentin des NRC Thalheim.

Vanessa Keller, auf welchem Weg und in welchem Alter kamen Sie zum Ringen?
Mein Götti war in Thalheim als einer der Trainer tätig. Er holte mich in Seon ab, wo ich aufgewachsen bin, und nahm mich einfach mit ins Kindertraining. Ihm habe ich den Zugang zu diesem Sport zu verdanken.

Erinnern Sie sich an Ihre ersten ­Eindrücke?
Anfangs war es nicht so einfach für mich. Ich verlor immer. Mir fehlte die Härte, der Biss. So kam es, dass ich ein halbes Jahr lang aussetzte. Doch als ich etwa acht Jahre alt war, ging mir der Knopf auf. Ich nahm die Sache richtig ernst, und plötzlich gewann ich alles. Damit gewann ich auch erheblich an mentaler Stärke – mein Selbstvertrauen wuchs.

Hatte es damals noch andere ­Mädchen im Verein?
Nein, lange Zeit war ich das einzige. Da fühlte ich mich zuweilen schon etwas allein.

Was hat Sie motiviert, dem Ringen treu zu bleiben?
Ich entwickelte schon in jungen Jahren einen gesunden Ehrgeiz. Ich wollte unbedingt vorwärts und auf die Siegesstrasse kommen. Ausserdem fühlte ich mich wohl und von den Vereinsmitgliedern akzeptiert und getragen. Bis heute spielt die Kameradschaft unter uns allen eine zentrale Rolle. Wir sind tatsächlich so etwas wie eine Familie, und wir akzeptieren jeden und jede in seiner oder ihrer Eigenheit.

Im Wettkampf mussten Sie also gegen Buben antreten.
Ja, aber das war mir vollkommen egal. Im Gegenteil: Als Mädchen hast du da rein gar nichts zu verlieren. Ich wollte zeigen, dass Mädchen auch stark sind. In den tieferen Gewichtsklassen stehen wir unseren männlichen Kontrahenten durchaus nicht nach. Ausserdem können weibliche Eigenschaften im Kampf sogar von Vorteil sein.

Wie meinen Sie das?
Buben und Jünglinge stürzen sich oft kopfvoran in den Kampf, ganz nach der Hauruck-Methode. Ich habe den Eindruck, dass Mädchen bedachter, überlegter vorgehen und eher in der Lage sind, die Anweisungen des Trainers während des Kampfs zu registrieren und umzusetzen.

Wie ist es mit den Frauen in anderen Ringer-Riegen?
Zahlenmässig ist eine leichte Zunahme festzustellen, es dürften aber durchaus noch mehr sein. Wir Ringerinnen stehen in regelmässigem Austausch miteinander, und es gibt unter uns auch langjährige Freundschaften. Bemerkenswert ist zudem, dass der schweizerische Ringerverband Swiss Wrestling von einer Frau geleitet wird.

Wie lang waren Sie aktive ­Ringerin?
Bis 2023, dann wurde ich schwanger. Aber in absehbarer Zeit würde ich gern wieder einsteigen.

Was hat Ihnen dieser Sport ­gegeben?
Selbstbewusstsein, Ehrgeiz, Disziplin, Biss, Durchhaltewillen. Ich erlebte, dass mit Fleiss sehr viel zu erreichen ist und dass man aus Niederlagen lernen kann. Ausserdem habe ich durch die schon erwähnte Kameradschaft in unserem Verein Halt gewonnen. Ich habe den Wert von Freundschaften erlebt. Dieser Sport hat mich in meinem Leben sehr viel weitergebracht. (Anmerkung der Redaktion: Vanessa Keller war als mehrfache Schweizer Meisterin nicht nur im Sport sehr erfolgreich – auch beruflich hat sie viel erreicht: Sie ist gelernte Kauffrau EFZ bei der UBS und hat im Jahr 2018 den Bachelor in International Management FH mit der besten Thesis abgeschlossen. Zwischenzeitlich war Vanessa Keller bei der international tätigen Technologiefirma GFT Schweiz AG als Associate Consultant angestellt.)

Warum sollen sich Kinder und Jugendliche fürs Ringen entscheiden?
Ringen ist tatsächlich eine Lebensschule. Kinder entwickeln hier ein Gefühl für ihren eigenen Körper. Und sie erleben Kameradschaft, die im Ringen sehr wichtig ist.

Ab welchem Alter ist es sinnvoll?
Am besten sehr früh, schon so ab vier oder fünf Jahren. In jungen Jahren gelingt es viel leichter als später, sich gewisse Bewegungsabläufe anzueignen. Zudem trainieren wir wie gesagt polysportiv, so macht das Training noch mehr Spass.

Und weshalb sollen sie in Thalheim eintreten?
Weil wir eine super coole Truppe sind mit einem guten Mix an unterschiedlichen Persönlichkeiten. Wir sind offen und sehen es als unsere Aufgabe an, Neuzugänge herzlich aufzunehmen und zu integrieren. Bei uns sind alle willkommen, egal, ob es ihnen einzig um Fitness geht oder ob sie höhere sportliche Ambitionen haben. Übrigens können wir 2026 unser 50-Jahr-Jubiläum feiern.