Annäherung an ein emotionales Thema

In den letzten 30 Jahren ist die Zahl der Menschen mit Demenz stark gestiegen. Eine Ausstellung in Gebenstorf will für das Thema sensibilisieren.
Demenz verstehen mit Marianne Candreia. (Bilder: sma)

Gebenstorf – Drei Tage lang lud die Fachkommission für Altersfragen Gebenstorf zu einer interaktiven Demenzausstellung in den Gemeindesaal. Mit drei Fachvorträgen und einem Demenzsimulator mit 13 Stationen hielt die Ausstellung ein umfangreiches Programm bereit und fand zugleich grossen Anklang bei der Bevölkerung.

Den Auftakt machte am 20. November Marianne Candreia, Geschäftsleiterin von Alzheimer Aargau. Sie sprach über ihren Arbeitsalltag, persönliche Einblicke und Demenz im Allgemeinen. Etwa 30 Menschen folgten der Einladung zum Eröffnungsvortrag, der selbst wertvolle Sensibilisierungsarbeit leistete.

Marianne Candreia stellte sich selbst als Quereinsteigerin vor, deren Schwiegermutter vor 16 Jahren erkrankte und sie so direkt mit dem Thema konfrontierte. Seit zehn Jahren hilft sie bei Alzheimer Aargau nun selbst jenen, die sich neu mit diesem Thema beschäftigen und inhaltliche Unterstützung benötigen.

Die Expertin räumte mit ein paar Vorurteilen und Mythen auf, zeigte mit persönlichen Geschichten Beispiele auf und hielt zugleich fest: «Jede Alzheimer-Erkrankung ist eine Demenz.» Während Vergesslichkeit allein noch längst kein Grund zur Besorgnis sei.

«Manchmal bin ich nicht ich»
Die Geschichten handelten von Alltagssituationen, in denen Demenzerkrankte nicht mehr ernst genommen wurden oder nicht die notwendige Unterstützung erhielten. Marianne Candreia verwies darauf, dass Demenzerkrankte noch sehr lang vieles sehr genau mitbekämen, auch wenn sie sich selbst nicht mehr mit den üblichen Mitteln ausdrücken könnten.

Mit der Abnahme der geistigen Leistungsfähigkeit, mit Einschränkungen bei alltagspraktischen Handlungen sowie bei Wahrnehmungs-, Persönlichkeits- und Verhaltensänderungen gebe es zwar klare Kriterien für eine Demenz, der Verlauf der Krankheit sowie die Symptomatik seien aber sehr individuell.

Neben weiteren Hinweisen für eine demenzielle Entwicklung wurden im Vortrag praktische Tipps für den Umgang mit Erkrankten im Alltag vermittelt. Dazu zählen das konkrete Ansprechen mit dem Namen, das Halten des Blickkontakts, die Einbindung des Gesprächspartners und das Angebot, einfache Sätze und positive Wörter zu verwenden, ein niedriges Sprechtempo und ganz wichtig: nicht testen und nicht diskutieren.

Es waren fast alles Punkte, die denjenigen sehr vertraut vorkommen dürften, die einen Menschen mit Demenz in ihrem Umfeld haben. Im Kanton Aargau sind das derzeit 11 960 Menschen. Dabei kommen auf eine ­erkrankte Person eine bis drei Angehörige, die direkt betroffen sind. Zu beachten sind ausserdem die schweizweit insgesamt 7000 Menschen, die jünger als 60 Jahre und bereits an ­Demenz erkrankt sind.

Fast schon entschuldigend musste Beatrice Zinniker, Fachkommission für Altersfragen, den Vortrag früher beenden, weil die geplante Stunde längst vorbei war und draussen weitere Besuchende auf die Eröffnung des Demenzsimulators warteten.

Alltagsbewältigung an 13 Stationen. (Bild: sma)

Undenkbare Herausforderungen
Die 13 Stationen des Simulators ­waren kein Test oder Nachweis für nachlassende kognitive Fähigkeiten. Vielmehr sollten sie die Überforderungen simulieren, mit denen Menschen mit Demenz jeden einzelnen Tag konfrontiert sind. An der ersten Station sollte man sich mit dicken Gartenhandschuhen anziehen – und wer dabei zuschaute, konnte sich vorstellen, wie viel Geduld es bei Angehörigen braucht. Denn die feinen Knöpfe der Arbeitsschürze waren eine grosse Herausforderung.

Andere Stationen befassten sich mit dem Frühstück, dem Weg durch die Stadt oder mit dem Autofahren. Nur durch einen Spiegel betrachtet, musste man so zum Beispiel ein Spielzeugauto an zwei zufällige Orte in der Stadt lenken. Hier war ein kognitives Umdenken nötig, um irgendwie ans Ziel zu kommen, denn auf die bisherigen Erfahrungen, dass rechts ja schon rechts ist, kann man sich nicht verlassen.

Die Stationen wurden neugierig von den zahlreichen Besuchenden ausprobiert und beobachtet – Scheitern inklusive. Die Aufgaben luden aber auch zum Gespräch mit den Ins­truktoren und anderen Besuchenden ein. Denn fast alle hier haben in der ein oder anderen Form ihre Erfahrung mit der Krankheit Demenz gemacht. Es waren Berichte, die einen schnell emotional werden liessen.

Sensibles Herzensprojekt
«Schon die Frage ‹Wie geht es dir?› ist eine Herausforderung», sagte Bea­trice Zinniker noch einmal im Gespräch nach dem Vortrag. Für sie ist die Ausstellung ein Herzensprojekt. Ingesamt zwei Jahre lang hat sie sich mit dem Thema intensiv auseinandergesetzt, wovon sechs Monate der Vorbereitung der Ausstellung gehörten. «Es sind sehr viele Angehörige hier. Es soll sensibilisieren, ich will diese Sensibilisierung für das Thema», sagte Beatrice Zinniker. «Man kann zwischen 40 und 60 Jahren sehr viel tun, um die Demenz hinauszuzögern», ergänzte das Gründungsmitglied der Fachkommission für Altersfragen.

Beatrice Zinniker erzählte ebenfalls persönliche Geschichten über Menschen, die sich Hilfe im Alltag holten. Gerade im ländlichen Raum sei sowohl mit der Krankheit als auch mit der Pflege ein gewisses Stigma verbunden. Wer sich im Alter nicht mehr rund um die Uhr um seinen erkrankten Ehepartner kümmern kann, wird schnell zum Gegenstand des Dorftratschs.

Beim Thema Demenz würde es in Gebenstorf immer mehr Angebote geben, die der Entlastung der Angehörigen und Pflegenden dienen würden. Unternehmungen vor die Tür für die Demenzkranken sind zudem hilfreich, weil man wieder unter Menschen kommt. Demenz ist stets auch mit Vereinsamung und mit Depression verbunden.

«Das Feedback zu der Ausstellung ist, dass es sehr eindrücklich ist», sagte Beatrice Zinniker. Ihr war es besonders wichtig, dass die Stationen des Demenzsimulators funktionieren und dass vor allem allen Beteiligten klar war, dass es kein Test ist. Am zweiten Tag der Ausstellung beleuchtete Klinikleiter und Chefarzt Rafael Meyer den medizinischen Aspekt der Demenz, während es am letzten Tag um die Ernährung ging.