Ehrendingen – Joya Imhof (24) lebt seit ihrer Kind-heit in Ehrendingen. Ihre Eltern und Grosseltern lebten ebenfalls immer dort. Sie selbst wohnt in der ehemaligen Wohnung ihrer Urgrossmutter. «Als ich mit elf Jahren in die Bezirksschule in Baden ging, veränderte sich mein Lebensmittelpunkt. Ich war in den kommenden Jahren weniger in Ehrendingen», erzählt die Theaterpädagogikstudentin. Von Baden ging es nach Wettingen an die Fachmittelschule, dann nach Aarau, wo sie das gestalterische Propädeutikum an der Schule für Gestaltung Aargau absolvierte.
«Seit 2021 studiere ich in Zürich. Eigentlich bin ich nur noch zum Schlafen in Ehrendingen», sagt sie. Weil sie sich plötzlich allein im eigenen Dorf vorkam, wollte sie wissen, ob es anderen Einwohnerinnen und Einwohnern Ehrendingens genauso geht.
Ein Zukunftstag für alle
«Ehrendingen war lang mein Nest, mein Rückzugsort, wenn ich aus den grösseren Städten abends nach Hause kam. Meine ‹Primarschulkollegli› sind meines Wissens alle schon weggezogen», erzählt Joya Imhof. Im Alltag habe sie mit anderen Leuten zu tun, und beim Heimkommen treffe man kaum jemanden an.
Sie überlegte sich, auch aufgrund ihres Studiums, wie es wäre, wenn jeder Mensch einmal im Jahr einen anderen Menschen bei einer Tätigkeit begleiten würde. «Sozusagen ein Zukunftstag für Erwachsene und Kinder, nicht nur auf das Berufliche bezogen, sondern auch auf das Privatleben. Ich glaube, dass das jeden und jede von uns verändern würde.» Man bekomme ein anderes Verständnis, eine neue Perspektive und empfinde Empathie für sein begleitetes Gegenüber.
Joya Imhof druckte 250 Flyer mit der Information, dass sie das Gemeinschaftsprojekt «Ehrendingen 0815» auf die Beine stellen wolle und dafür Interessierte suche.
Zettel an den Haltestellen
«Ich hängte die Zettel an den Bushaltestellen im Dorf auf und verteilte sie in alle Briefkästen, sprach bei Frau Gemeindeammann Dorothea Frei und dem Ehrendinger Kulturoriginal Claudio Eckmann vor. Sie gaben mir gute Tipps und vermittelten Kontakte», erläutert die 24-Jährige. Bei einem Apéro stellte sie ihr Projekt vor einem Jahr etwa zehn Leuten vor. Schliesslich trafen sich ab Juli dieses Jahres fünf Ehrendingerinnen und Ehrendinger zwischen 12 und 73 Jahren mit der Studentin. «Wir sahen uns alle zwei Wochen, dazwischen besuchten wir uns gegenseitig in unserem Alltag. So lernten wir einen Stricktreff und das Holzschnitzen kennen, waren beim Kampftanz Capoeira und beim Mountainbiken dabei, erhielten beim Besuch eines dementen Freundes Einblicke ins Home-Schooling und nahmen an einem Hundespaziergang teil.»
Im Stall und beim Dorforiginal
Nachdem die Sechsergruppe so Zugang zu anderen Alltagen bekommen hatte, schwärmte sie im Dorf aus und interviewte 14 Einwohnende, die sie interessierten. «Der zwölfjährige Nael war zum Beispiel beim Dorfmetzger und lernte, wie man Fleischkäse zu-bereitet, eine Teilnehmerin besuchte einen Hühnerstall, eine weitere ein Dorforiginal», so Joya Imhof. Dabei entstanden Tonaufnahmen, die bei den beiden Abschlussevents von «Ehrendingen 0815» Ende November verwendet wurden.
Für Imhof war klar, dass sie das Projekt nicht nur für sich selbst und zum Spass macht, sondern auch als Teil ihrer Abschlussarbeit als Theaterpädagogin. «Wir überlegten, wie wir aus unseren Erlebnissen und Erkenntnissen einen Abschlussanlass organisieren könnten, der einen Funken der Begeisterung für neue Begegnungen im Dorf legt», erklärt die Studentin.
Als Ort für das Vorhaben war rasch die Bühne Heimat in Ehrendingen gefunden. Es entstand ein halbstündiger Rundgang mit Kopfhörern und Originaltönen zu den besuchten Orten im Dorf. «Beim Hühnerstall hörten die Gäste zum Beispiel das Gackern der Hühner, bei der Apotheke die Erklärungen der Apothekerin. Wir sechs erzählten dazu live von unseren Erlebnissen», erläutert Imhof.
Zu beiden Anlässen kamen je ungefähr 45 Menschen jeden Alters. Nach der halben Stunde im Dorf ging es wieder zur Bühne Heimat zurück, wo die Gäste bei Kaffee und Kuchen selbst kreativ wurden und ihr Wunschdorf bauten. Rasch wurde klar, dass ein regelmässiger Stammtisch zum Plaudern vermisst wird. «Wenn durch ‹Ehrendingen 0815› Begegnungen ins Rollen kommen, Kontakte geknüpft werden und geredet, gelacht und diskutiert wird, dann haben wir unser Ziel erreicht», so Joya Imhof stellvertretend für die Macherinnen und Macher von «Ehrendingen 0815». Nachahmen sei unbedingt gewünscht.