Wettingen – Nach sieben Jahren Arbeit endlich der grosse Tag: Die neue Allgemeine Nutzungsplanung (Anup) stand letzte Woche zur abschliessenden Beschlussfassung auf der Traktandenliste des Einwohnerrats. Eine Anup besteht aus der Bau- und Nutzungsordnung (BNO) sowie aus dem Bauzonen- und Kulturlandplan. Letztmals hatte Wettingen den Kraftakt einer Anup-Totalrevision 2002 unternommen. Wie aufwendig eine solche ist, illustrierte Manuela Ernst (GLP) als Sprecherin der Geschäftsprüfungskommission in Form von Kilos. «Das Gewicht der Akten, die wir studiert und geprüft haben, betrug 5,1 Kilogramm.»
Manuela Ernst und ihre Kommission attestierten dem Gemeinderat eine sorgfältige Arbeit. Eine Arbeit, in welche die Bevölkerung einbezogen wurde und deren Rückmeldungen zu Retuschen geführt haben. Eine grosse Änderung gab der Gemeinderat diesen November bekannt: Er verzichtet darauf, beim Weinkreisel Hochhäuser zu ermöglichen, die über 50 Meter in den Himmel ragen.
Eigeninteressen zurückstellen
Dass Wettingen auch in den nächsten Jahren weiter massiv wächst, stand im Hufeisen des Ratsplenums ausser Frage. Um dieses Wachstum auffangen zu können, sei eine zeitgemässe BNO nötig, sagte Stephan Willax (FDP): «Die vorliegende BNO enthält viele sinnvolle Elemente, wie eine städtebauliche Verdichtung und Massnahmen zum Erhalt des Gartenstadtcharakters von Wettingen.» Die FDP hätte durchaus den einen oder anderen Punkt liberaler gestaltet. «Aber eine BNO ist kein Wunschkonzert, und die FDP verzichtet auf Änderungsanträge», sagte Stephan Willax. Andreas Leuppi freute sich als Sprecher der Fraktion SP/Wettigrüen, dass es für den gemeinnützigen Wohnungsbau einen Bonus bei der Ausnützungsziffer geben soll. Obwohl 29 Eingaben von SP/Wettigrüen keine Berücksichtigung gefunden haben, wollte seine Fraktion keine Änderungsanträge stellen. Auch die Mitte und die EVP erklärten, auf solche zu verzichten.
Bäume nahe der Grenze wagen
Anders die GLP. Für sie trat Rechtsanwalt Hannes Streif ans Rednerpult und verwehrte sich gegen die neue Bestimmung, Bäume künftig bis zwei Meter an die Grundstücksgrenze pflanzen zu dürfen. «Ich bin Spezialist für Nachbarschaftsrecht und habe in meiner Karriere schon viele Bäume auf dem Prozessweg entfernt.» Mit einem Schmunzeln fuhr er fort: «Wenn es eine Grünen-Hölle gibt, dann gehört mir dort ein Platz.» Grenzabstände zu definieren, sei Sache des Kantons und nicht der Kommunen. Gemeindeammann Roland Kuster wiederum verwies auf das Gutachten eines Baujuristen, der im Rahmen der kantonalen Prüfung durchaus Chancen für den 2-Meter-Abstand sieht. Markus Zoller (Mitte) wollte keine juristische, sondern eine politische Diskussion. «Mit dem geringeren Abstand setzt Wettingen ein Zeichen.» Egal, wie der Regierungsrat anschliessend entscheidet, versuchen sollte man es. Das sah auch eine grosse Mehrheit des Einwohnerrats so.
Und die SVP? Deren Fraktionspräsident Martin Fricker stellte Goethes Gretchen-Frage: «Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?» Derzeit gehe es im Einwohnerrat um eine neue «grüne, öko, woke Religion», der man sich mit der Anup unterordne und Ablass für das Klima bezahle, meinte er. Die Anup verteure das Bauen und nütze letztlich nur jenen, die Land besässen. Für alle anderen – insbesondere Mieterinnen und Mieter – bringe das «vom links-grünem Zeitgeist geprägte Regelwerk» nichts. Die SVP verweigerte in der Folge ihre Zustimmung. So wurde die neue Anup mit «nur» 36 zu 8 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) angenommen.
Kein obligatorischer Urnengang
«Ein so wichtiges Thema gehört zwingend vor das Volk», sagte Daniel Brülimann (SVP) zum Schluss der Debatte und forderte den Rat namens seiner Fraktion auf, das Geschäft der Volksabstimmung zu unterstellen. Dagegen sprach sich Jürg Meier (Wettigrüen) aus. Die Bevölkerung sei mit einer ausgebauten Mitwirkung bereits in das Geschäft einbezogen gewesen. Die Materie sei nicht nur komplex – im Rahmen einer Volksabstimmung dürften zudem vor allem Partikularinteressen zum Tragen kommen.
Der Einwohnerrat entschied in der Folge klar gegen eine Volksabstimmung. Den Stimmberechtigten steht es – wie bei anderen Einwohnerratsbeschlüssen – offen, das fakultative Referendum zu ergreifen und so dennoch eine Volksabstimmung zu erzwingen.