Baden – Philipp Fankhauser, nach Ihrer Stammzellentransplantation sagten Sie, Sie würden sich wie neugeboren fühlen. Wie fühlen Sie sich nun – als Zweieinhalbjähriger?
Es ist schon sehr speziell. Wenn ich bei einigen meiner neuen Songs Mühe habe, mir die Texte einzuprägen, merke ich, dass ich nicht mehr der Jüngste bin. Gleichzeitig findet mein Coiffeur, dass ich jedes Mal, wenn ich zu ihm komme, weniger graue Haare hätte. Darüber mache ich mir jedoch keine grossen Gedanken, sondern bin diesem «Jack», wie ich den Spender nenne, einfach wahnsinnig dankbar. Ich weiss nicht, wer er ist und wo er lebt, aber dass ich ohne ihn nicht mehr hier wäre.
Kennen Sie das diffuse Gefühl nach manchen Organtransplantationen, als würde noch ein anderer Mensch in Ihrem Körper wohnen?
Überhaupt nicht. Als ich im Juli 2023 zum ersten Mal ins Spital einrückte, empfand ich die Vorstellung, das Blut von jemand anderem zu erhalten, als total strange, sogar etwas gruselig. Damit habe ich jetzt kein Problem mehr, aber zwei verschiedene DNA und neu die Blutgruppe A positiv statt 0. Zudem kann ich wieder mein Ziel erreichen, 80 Jahre alt zu werden. Und dann schauen wir weiter. (Lacht.)
Geht es Ihnen sogar besser als vor der Entdeckung Ihrer Thrombozythämie?
Viel besser, da mit der Bluttransfusion auch alle anderen Krankheiten verschwunden sind, so Morbus Bechterew, eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung, die meine Beweglichkeit seit meiner Kindheit einschränkt. Der einzige Wermutstropfen war, dass ich alle Impfungen nochmals machen musste, was mir, bei meiner Angst vor Spritzen, nicht leichtfiel.
Nehmen Sie seither mehr Rücksicht auf Ihre Gesundheit?
Nein, ich habe mein ganzes Leben geraucht und es noch nicht geschafft, damit aufzuhören. Ich will es auch gar nicht, da ich gern rauche. Mein Hausarzt versucht jedes Mal, mir ins Gewissen zu reden, predigt mir, mich mehr zu bewegen und keinen Alkohol zu trinken. Hin und wieder trinke ich nach den Konzerten ein Cüpli oder zum Nachtessen ein Glas Rotwein, aber meistens Wasser. Die Lust darauf hat deutlich abgenommen. Falls mich mein Umfeld deswegen als Stimmungskiller bezeichne, solle ich einfach ein Bitter Lemon mit Eis bestellen, riet mir meine Managerin. Da merkt niemand, ob Alkohol drin ist.
Hat Ihr Blues seit dieser schwierigen Zeit mehr Tiefe?
Ich glaube, die letzten Erfahrungen haben meine Musik nicht verändert. Ich hatte schon vorher kein einfaches Leben. Ich war bereits als Kind handicapiert, aber die Diagnose Morbus Bechterew folgte erst vor 20 Jahren. Seither nahm die Mobilität weiter ab und liegt nun bei etwa 80 Prozent. Die Wirbelsäule ist steif, das Sockenanziehen und das Kopfdrehen fallen mir schwer, aber nun dürfte die Verschlechterung ein Ende haben.
Und das dank einer lebensgefährlichen Erkrankung.
Es ist verrückt! Ein paar Wochen zuvor war ich noch am Boden, weil es aussah, als entwickelte sich die Myelofibrose, die 2019 erkannt wurde, zur Leukämie mit einer Lebenserwartung von etwa zwei Jahren. Ich wollte es nicht einmal mit einer Stammzellentherapie versuchen, bevor mein Hausarzt zu mir sagte: «Ich habe dich 20 Jahre lang immer wieder aufgepäppelt, und jetzt willst du den Blinden nehmen?»
Gönnen Sie sich selbst nun mehr, oder verschieben Sie Schönes nicht
auf morgen?
Nein, ich lebe nicht bewusster oder habe das Gefühl, ich müsste meine Zeit mehr geniessen. Schliesslich lebe ich meinen Jugendtraum seit bald 40 Jahren, obwohl sich meine Mutter an die Stirn tippte, als ich ihr mit zwölf Jahren eröffnete, dass ich Bluessänger werden wolle.
Da Sie sich bei den Aufnahmen des aktuellen Albums «Ain’t That Something» noch nicht ganz fit fühlten, überliessen Sie das Gitarrespiel Ihrem neuen Bandmitglied Flo Bauer. Wie machen Sie es bei den kommenden Konzerten?
Bei den ersten und letzten Songs spiele ich wieder Gitarre, dazwischen konzentriere ich mich aufs Singen. Das ergibt Sinn, da Flo Bauer sehr versiert ist, während ich mich als Autodidakt vor allem innerhalb der Bluesakkorde bewege.
Sie geben auf Ihrer Tournee auch Unplugged-Konzerte. Unterscheiden sich diese inhaltlich und personell?
Nein, die Band und die Songs sind die gleichen. Unplugged ist eigentlich – wie fast überall – eine Mogelpackung, da Stimme und Musik verstärkt werden müssen, damit die Leute sie hören. Eigentlich müsste es «Acoustic» heissen. Es handelt sich um viel weniger gespielte und weniger laute Töne. Das lässt mehr Raum, um zu variieren, und klingt lieblicher.
Sie treten im März an Albi’s Country Festival im Hallenstadion auf. Wer hat Ihr Herz für diese Musik entflammt?
Patsy Cline mit ihrem Hit «Crazy», natürlich Merle Haggard, Johnny Cash und Willie Nelson, mein absoluter Favorit. Countrymusiker erzählen in ihren Songs schöne Geschichten, Bluesmusiker manchmal weniger schöne …
Was suchen Sie, wenn Sie Songs in der Countrymetropole Nashville in den Vereinigten Staaten aufnehmen?
Es gibt dort wahnsinnig gute Studiomusiker, die einfach alles spielen können, egal ob Rock, Country oder Blues, und sich selbst passend zum Projekt organisieren. Als ich den Hank-Williams-Klassiker «I’m So Lonsome I Could Cry» aufnehmen wollte, bekam ich den Tipp, die drei Backgroundsängerinnen von Dolly Parton hätten gerade nichts zu tun, ob ich sie nicht engagieren wolle. Eine Stunde später waren sie da und sangen wunderschön, sogar mit synchronem Vibrato. Das war unglaublich. Mir kamen die Tränen. Vielleicht auch, weil ich realisierte, wie falsch ich sang. (Lacht.) Entsprechend verblüfft war ich, als nachher eine dieser Legenden auf mich zukam, meine Hand nahm und sagte: «Das war die soulvollste Version dieses Lieds, die ich je gehört habe.»
Was verbindet Sie mit dem Country-Musiker Albi Matter?
Albi Matter hat nach dem Erscheinen des Albums «Watching From The Safe Side», mit dem ich den Durchbruch geschafft hatte, meinen damaligen Manager angerufen, um mich für sein Bluesfestival zu engagieren. Roger Guntern nannte ihm einfach eine ziemlich optimistische Zahl, worauf Albi Matter in seiner authentischen Art wie ein Wald voll Affen auszurufen begann. «Was meint de Halbschue? De het doch en Schuss! Für das Geld bechum ich drü Amerikaner!» Zwei, drei Jahre später erfüllte er diese Gagenforderung. Seither sind wir ein Herz und eine Seele und können über diesen ersten Kontakt lachen.
Wie kommt es, dass Sie nun an seinem Countryfestival auftreten?
Er wusste um meinen Bezug zu dieser Musik und fragte mich, ob ich im Sonntagsprogramm direkt vor den Bellamy Brothers auftreten möchte. Er würde die Mehrkosten für eine zwölfköpfige Countryband übernehmen. Ich ergänzte meine Blueser um einen Pedalsteel-Player, eine Geigerin, einen Hammond-Orgel-Spieler und drei Backing-Vokalistinnen. Mit meinen Nashville Roots werde ich ein ziemlich mutiges Programm aus eigenen Songs, Countrynummern von Elvis Presley bis Highwaymen und einer Prise Dolly Parton auf die Bühne bringen.
Werden Sie einen Stetson tragen?
Nein, vielleicht ein besticktes Tool-Jacket. Ein Cowboyhut stünde mir zu sehr für die erzkonservativen Countryfans, die einst die Dixie Chicks diskriminierten und jetzt hinter Trump stehen. Aber was will ich als gottloser schwuler Bluesmusiker aus der liberalen Schweiz mit einem religiösen Fanatiker aus einem Kaff in Westtexas streiten?
Nun geben Sie zwei Konzerte im Kurtheater. Welche Erinnerungen haben Sie an frühere Auftritte in Baden?
Ich habe schon fast in jeder Badener Lokalität gespielt, aber besonders plastisch vor Augen sind mir die Konzerte bei Rolf Gerspach im «Inox». Dort war alles so eng. Bis wir nur unser Material auf seiner Kellerbühne hatten! Und bei einem späteren Auftritt in der ABB-Halle 36 traf unser damaliger Pianist, der unvergessene Hanery Ammann, so verspätet ein, dass wir bereits am Einpacken waren. (Lacht.) Und ich bin schon mehrfach an Susanne Slaviceks Bluesfestival aufgetreten. Ich komme immer gern nach Baden.