Vom Jungschwinger zum Karatelehrer

Karatelehrer Valentino Di ­Lascia blickt mit seiner Frau Nicole Müri auf ein Vierteljahrhundert seines Familienunternehmens zurück.
Nicole Müri und Valentino Di Lascia präsentieren stolz die Auszeichnung aus Japan. (Bild: sma)

Obersiggenthal – Das «Wa» in Wadō-Ryū-Karatestil steht für Ruhe und Harmonie. Ganz so ruhig war das Vorbild, das den da­maligen Jungschwinger Valentino Di Lascia zum Karate führte, allerdings nicht. Im Kino von Turgi entdeckte er den Kampfkünstler Bruce Lee für sich und dachte: «Wow! So etwas möchte ich auch können.» Es folgte der Wechsel vom Schweizer Nationalsport zum japanischen Kampfsport, verbunden mit schnellen Erfolgen bis zum Aufstieg in die SWKO-Nationalmannschaft. Eine schwere Muskelverletzung beendete Valentino Di Lascias eigene Ambition im Sport allerdings im Alter von 25 Jahren.

«Ich bin ein sehr gläubiger Mensch. Ich habe zum Himmel geschaut und mir gedacht: ‹Anscheinend ist es nicht dein Wille, dass ich Weltmeister werde.› Also wollte ich wenigstens Weltmeistertrainer werden», erzählt der heutige Karatelehrer im Rückblick. Angefangen als Jugendtrainer in Brugg – und ebenfalls erfolgreich –, wagte er im Jahr 2000 den Schritt zur eigenen Karateschule. Und so zele­briert das Kampfsportcenter Siggen­thal (KSC) in diesem Jahr sein 25-Jahr-Jubiläum mit einem Highlight am kommenden Sonntag.

Die grösste Schule
Unten im Gebäude befindet sich die Autogarage seines Bruders, und zu Beginn kümmerte sich seine damalige Ehefrau um die gesamte Administration der Karateschule. Heute steht seine Frau Nicole Müri (45) an seiner Seite und unterrichtet selbst zahlreiche Kurse, während ihre Tochter Yuna Müri (14) um weitere Medaillen und Titel kämpft. «Ich sehe es gar nicht als Job an, das ist unser Familienbetrieb und meine Leidenschaft», erzählt ­Nicole Müri, die im Hauptberuf Lehrerin in Bad Zurzach ist.

Es habe sich allerdings in den letzten 25 Jahren viel verändert, wovon Nicole Müri beinahe die letzten zehn an der Geschichte des KSC mitgeschrieben hat. «Damals starteten wir mit 50 Leuten, heute sind wir knapp 250», berichtet Di Lascia im Vorzimmer der Karateschule. Hier reiht sich Pokal an Pokal. «Es soll zeigen, was man als Sportler erreichen kann.»

Seinen Abschied vom Schwingen hat man Di Lascia damals nicht so leicht verziehen. «Er geht jetzt diesen japanischen Blödsinn machen», berichtet der 62-Jährige mit einem Schmunzeln über eine Reaktion. «Aber ich musste mich als Secondo immer durchbeissen.» Den Gegenwind war er also gewohnt. Und der Blick auf Japan und seine Kultur ist heute sowieso ein ganz anderer.

Das Training der Erwachsenen heute … (Bild: zVg)

Japanische Perfektion
Dabei ist das Kämpfen nur eine Seite der Medaille, und das Wettkampf­kader macht nur einen kleinen Teil der Schüler und Schülerinnen in Obersiggenthal aus. «Karate ist nicht nur Kämpfen, es ist äusserst vielfältig», sagt Nicole Müri und verweist auf die verschiedenen Motivationen der Menschen aus allen Altersstufen, die hier regelmässig auf die Matte treten: Fitness, Gemeinschaft, Ausgleich zur Arbeit, die mentale Komponente und das Aufbauen von Selbstvertrauen. «Man versucht, Perfektion anzustreben, denn man findet immer noch einen Aspekt, den man verbessern kann.»

Seit diesem Jahr ist man beim KSC zudem offiziell dem japanischen Wadō-Ryū unterstellt, wie eine grosse Urkunde belegt. Dafür musste das Sportcenter einen Antrag stellen und nachweisen, dass man im Sinne der japanischen Karatelehre unterrichtet. In einer entsprechenden Sitzung entschied sich der japanische Verband dann für die Angliederung. Während Yuna Müri bereits fleissig Japanisch lernt, ist das Land der aufgehenden Sonne heute auch für Valentino Di Lascia eine Wunschdestination. Die Bezeichnungen und Kommandos sind beim Karate auf Japanisch, einer der Gründe, warum man japanische Sensei für Lehrgänge einladen kann.

Insgesamt gibt es im Karate vier grosse Stile, wovon Wadō-Ryū einen darstellt. «Wir nutzen die Kraft des Angreifers, um uns zu verteidigen», erklärt Nicole Müri. Deshalb eignet sich der Stil ideal zur Selbstverteidigung, da der Gewichtsnachteil bei Kindern und Frauen keine so grosse Rolle spielt. Nicole Müri ist neben Schwarzgurtträgerin diplomierte Selbstverteidigungstrainerin.

… und das Kindertraining damals im Jahr 2000. (Bild: zVg)

Schweiss und Disziplin
«Manchmal bin ich müde, und mir tut alles weh, aber dann erinnert Nicole mich an den Wert unserer Arbeit. Das gibt mir Kraft und Motivation», erzählt Di Lascia über den Alltag im eigenen Unternehmen. Ausserdem sei er vor 20 Jahren längst kein so guter Lehrer gewesen. Heute entdeckt er während der Arbeit problemlos eine falsche Fussstellung aus dem Nebenzimmer, womit die Suche nach der Perfektion angesprochen ist.

Nach fünf Jahren habe man damals als Kampfsportcenter den ersten Schweizer Titel geholt. Das hat den ­Jugendlichen viel Motivation gegeben. «Es ist sehr wichtig, dass wir beides anbieten – Sport und Tradition», sagt Di Lascia. Denn irgendwann sei Schluss mit dem Wettkampf. Das traditionelle Karate sei dagegen etwas, das man bis ins hohe Alter praktizieren könne. «Unser ältestes Mitglied hat mit 70 Jahren angefangen und ist jetzt über 75», erzählt Nicole Müri.

Selbstdisziplin und Wiederholungen spielen beim Karate eine wichtige Rolle. «Damals waren die Kurse härter und strenger», sagt Di Lascia mit Verweis auf die vielen Japaner in der Region. «Meine Trainer haben heute nicht mehr diese extreme Strenge, aber die Philosophie stimmt.» Heute könne die Härte allerdings viele abschrecken, vor allem die jüngeren Anfänger und Anfängerinnen. «Dann heisst es: ‹Ah, ich schwitze. Ist das normal?›», berichtet der erfahrende Lehrer amüsiert.

«Ich sage immer zu den Kindern: ‹Du lernst hier etwas, das man für die Schule und das Leben braucht›», erklärt Di Lascia. So arbeiten heute im KSC auch zwei Trainer, die selbst mit sechs Jahren bei ihm angefangen haben und natürlich berufliche Erfolge feiern konnten. Selbst die Unesco hätte Karate zum besten Kinder- und Jugendsport ernannt. Und manchmal gehört das Durchbeissen, das Am-Ball-Bleiben zur Ausbildung. «Man muss die Kinder motivieren, gerade bei kleinen Durststrecken», ergänzt Nicole Müri.

Gefeiert wurde das Jubiläum bereits das ganze Kalenderjahr über. Neben dem anstehenden Turnier und der Angliederung an Japan hat man im Frühjahr unter anderem einen Lehrgang mit französischer Karateprominenz ausgerichtet. Und sogar für Di Lascia selbst gab es noch eine Überraschung: die Verleihung des 4. Dans – des japanischen Meistergrads. «Für mein Lebenswerk», erzählt der leidenschaftliche Karateka, «aber ich hoffe, es ist noch nicht vorbei.» Die letzten 25 Jahre waren mit Freude und Tränen gepflastert. «So Gott will und meine Gesundheit es zulässt, würde ich gern mit 80 Jahren hier noch stehen – ganz wie in Japan.»