Mit dem Velo quer durch Afrika

Allein und mit nichts als ihrem Fahrrad, leichtem ­Gepäck und grossem Entdeckergeist ist Aline Heller unterwegs in Afrika.
Wenn man allein reise, entdecke man mehr, sagt Aline Heller (Mitte). (Bild: zVg)

Birmenstorf – Die «Rundschau» hat sich mit der fahrradfahrenden Weltenbummlerin Aline Heller (28) aus Birmenstorf über ihr Abenteuer unterhalten.

Aline Heller, was war Ihre Moti­vation, diese Reise in Angriff zu nehmen?
Schon als Teenager fuhr ich bei Wind und Wetter mit dem Velo zur Schule – ich liebte das Gefühl von Freiheit. Mit 20 Jahren arbeitete ich bei Transa und hörte von Menschen, die mit dem Velo durch Europa oder Asien reisten. Ich wusste: Das will ich auch. Ich kombinierte Velofahren und Campieren und begann mit kleinen Touren in der Schweiz. Im Jahr 2022 fuhr ich drei Monate lang allein nach Kroatien. Es war intensiv, einsam, aber auch stärkend. Ich merkte: Mein Zuhause ist dort, wo mein Zelt steht. Das machte mich glücklich, ich konnte überall sein, überall leben. Und so kam mir der Gedanke: Warum nicht noch weiter fahren? Mit eigener Muskelkraft, fernab vom Massentourismus. Ich will echte Abenteuer, echte Begegnungen. Früher reisten wir als Familie all inclusive, heute erlebe ich Länder wirklich: mit all ihrer Armut, ihrem Dreck, aber ebenso mit ihrer Schönheit und Gastfreundschaft.

Haben Sie sich bewusst dafür ­entschieden, allein zu reisen?

Für mich war immer klar: Diese Reise mache ich allein. Wenn Menschen hinzukommen möchten – gern. Aber ganz ehrlich: Ich hätte es schön gefunden, mit jemandem zu reisen. Nur gibt es kaum Gleichgesinnte und zu wenig «Verrückte», speziell unter Frauen, die so etwas wagen. In den sozialen Medien wirkt alles einfacher, doch in Wahrheit ist es sehr hart. Ausserdem haben Alleinreisende oft mit Vorurteilen zu kämpfen – sie gelten als einsam, egoistisch oder menschenscheu. Das stimmt jedoch nicht. Wer allein reist, ist unabhängiger, lernt mehr Menschen kennen und wächst an den Herausforderungen. Viele Menschen können heute nicht gut allein sein. Dabei würde es ihnen helfen, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen und mehr Vertrauen in sich zu gewinnen. Deshalb wollte ich einfach los – allein oder nicht.

Wie haben Sie sich auf dieses ­Abenteuer vorbereitet? Und kann man sich überhaupt auf so etwas vorbereiten?
Ich habe mit 18 Jahren angefangen zu campieren – wild und auf Campingplätzen. Auch Fahrradreisen kannte ich, nur hatte ich damals noch nicht gemerkt, dass man beides kombinieren kann. Das meiste Equipment hatte ich bereits, ich musste vor der Afrikareise kaum noch etwas organisieren. Natürlich ist etwas mehr Vorbereitung nötig, wenn man Europa verlässt und durch Afrika radelt. In der Schweiz regelte ich noch Dinge wie Impfungen, Kreditkarten und die Krankenkasse. Die grössten Herausforderungen kamen unterwegs: Visa besorgen, Geld über Western Union transferieren, als meine Kreditkarten gesperrt wurden, oder alles neu organisieren, weil mir das iPhone gestohlen wurde. Ich war oft allein, fremd im Land, ohne Agentur und ohne Hilfe.

Hatten Sie schon einmal eine Panne? Gehörte ein Reifenwechsel zur Vorbereitungsphase?
Eigentlich bin ich fast schockiert darüber, dass ich noch nie eine Panne hatte. Natürlich kann ich einen Reifen wechseln, Bremsen justieren sowie Dinge an meinem Rad an- und abschrauben. Jedoch kann ich nicht mehr als das. Ich fahre zum Glück sogenanntes Tubeless – ein Rad ohne Schlauch. In meinem Rad befindet sich eine sogenannte Milch, die Risse verschliesst, sobald diese entstehen. Bis jetzt hatte ich einfach viel Glück, dass ich keine Panne hatte. Vor allem in Gebieten wie der Wüste oder an abgelegenen Orten, wo es keine Mechaniker gibt.

Wieso Afrika? Was für eine ­Verbindung haben Sie zu diesem Kontinent?
Ich hatte keine Verbindung zu diesem Kontinent, sondern nur Vorurteile, wie viele Menschen. Genau das hat mich gereizt, den Kontinent zu erkunden, ohne zu schubladisieren, was mir aber bis heute manchmal noch schwerfällt. Zudem haben mich andere Kontinente nie gereizt, und ich wollte mein Ziel mit dem Fahrrad erreichen, nicht per Flugzeug. Meiner Vorstellung nach sollte Afrika un­berührte Natur und Orte haben, was sich zum Teil bestätigt und zum Teil nicht bestätigt hat. Mein Herz schlägt für die Natur und die Verbindung zur Natur, deswegen bin ich losgefahren.

Aline Heller ist allein mit dem Fahrrad nach Kapstadt unterwegs. (Bild: zVg)


Wann sind Sie gestartet? Wo begann Ihre Reise?
Die Schweiz verliess ich am 4. März 2024, jedoch bin ich erst mit Gepäck und ohne Fahrrad nach Italien. Dort habe ich einen Freund besucht, den ich auf der Fahrradreise in Kroatien kennengelernt habe. Von Italien bin ich nach Valencia zu einem anderen Freund geflogen. Mein Fahrrad ist also ein Spanier, weil ich es dort gekauft habe. Danach habe ich die restlichen Dinge wie Gepäckträger, Fahrradlampen, Schutzbleche, Spiegel, Klingel bestellt und alles selbst montiert.

Welche Länder haben Sie bis jetzt durchquert?

Spanien, Marokko, Mauretanien, Senegal, Gambia, Guinea-Bissau, ­Guinea-Conakry, Elfenbeinküste, Ghana, Togo, Benin, Gabun, Kongo-Brazzaville, und derzeit befinde ich mich in Angola. In Benin habe ich allerdings das Flugzeug genommen und bin nach Gabun geflogen, weil Nigeria beim Thema Sicherheit umstritten ist.
Haben Sie ein GPS, oder radeln Sie einfach drauflos?
Ich halte mich immer auf den Nationalstrassen auf, das aus Gründen der Sicherheit, wegen der Anbindung an die Infrastruktur, der Einfachheit und der möglichen Hilfe. Wenn ich den Nationalstrassen folge, brauche ich kein GPS, weil man ja quasi geradeaus fährt. Sobald ich aber in grösseren Orten bin, wo ich zum Beispiel ein Hotel suche, benutze ich eine App, auf der Offlinekarten aller Länder ­heruntergeladen sind. Ich kenne genügende Radreisende, die mit GPS-Geräten navigieren, einfach weil sie sich und ihre Strecke andauernd kontrollieren wollen. Das will ich nicht und fahre deshalb eher drauflos. Ich habe unterwegs sogar einen Radreisenden kennengelernt, der ohne Smartphone und mit Papierkarten und Kompass unterwegs ist.

Wie organisieren Sie sich bei der Verpflegung? Vor allem wenn Sie wissen, dass Sie eine längere Strecke in der Wüste unterwegs sind.
Zu Beginn der Reise hatte ich meinen Campingkocher dabei, um mich selbst verpflegen zu können. Ab Benin verschickte ich mein Equipment nach Südafrika, um Gewicht und Platz zu sparen. Ich dachte, mit dem Vorurteil über Afrika, dass es in allen Ländern zu wenig zu essen gibt, muss ich mich besser organisieren. In der Wüste Marokkos sowie in Mauretanien war es sehr schwer, Essen und Wasser zu finden. Dort fährt man gut einen Tag 80 bis 120 Kilometer ohne Anbindung an jegliche Infrastruktur. Deshalb muss man Wasser und Essen für ein bis zwei Tage einplanen. Zudem wurde ich in Gabun und Kongo-Brazzaville von den nicht vorhandenen Essensmöglichkeiten überrascht. Dort habe ich mich tagtäglich von trockenem Maniok und Orangen ernährt.

Haben Sie manchmal Heimweh und wenn ja, wonach? Nach frischen Gipfeli oder gar Schoggi?
Heimweh habe ich kaum, aber ich schätze inzwischen sehr, wie sicher, organisiert und stabil das Leben in der Schweiz ist. Was mir besonders fehlt, sind echter Austausch mit Menschen und mein soziales Umfeld. Als allein reisende Frau in Afrika erlebe ich täglich Belästigung durch Blicke, Anmache, Fragen nach Geld oder Heirat. Viele Männer sehen in mir eine Chance für Geld, ein Visum oder Sex. Vor allem im konservativen, patriarchalen Umfeld bin ich oft nur ein Objekt. Ich weiss, dass manche Männer denken, allein reisende westliche Frauen seien Prostituierte, weil wir frei und unabhängig sind. Das triggert viele. Was ich also wirklich vermisse, sind Respekt, Sicherheit und Ruhe – Dinge, die ich als Frau hier selten finde. Gipfeli und Schoggi wären schön, aber wichtiger sind Schutz, Stabilität und Grundrechte. Viele meiner Follower können sich die Realität, die ich hier erlebe, kaum vorstellen.

Treffen Sie andere, die ähnlich unterwegs sind?

Ich habe auf meiner Reise von Spanien bis jetzt nach Angola bisher 16 Menschen getroffen, 11 davon mit dem Fahrrad und 5 zu Fuss. Davon nur zwei allein reisende Frauen, der Rest waren Männer. Wie man sieht, gibt es wenige, die sich nach Afrika trauen, die Community der Fahrradreisenden ist weltweit gesehen äusserst klein. Ich bin jeweils mit zwei Männern gemeinsam für zwei Wochen geradelt, das hat dann aber menschlich nicht mehr gepasst, und wir haben uns getrennt. Das ist ganz normal, weil man so viel Zeit zusammen überall verbringt und es schnell zu Spannungen kommen kann.

Kann man Sie begleiten und dazustossen?
Sehr gern! Es geht für mich nach Angola nach Namibia und dann nach Südafrika. Wer mit will, soll sich beeilen. Dann aber bitte Schweizer Schokolade als kleines Geschenk mitbringen.

Wie halten Sie Ihre Reise fest?
Ich teile fast täglich auf Instagram Fotos und Videos.
Gibt es vielleicht ein Buch, oder ­planen Sie in der Schweiz allenfalls eine Vortragstour?
Ob ein Buch entsteht, ist noch unklar. Ich habe schon ein Buch mit dem Titel «Your Mindfuck» veröffentlicht. Darin geht es um Persönlichkeitsentwicklung und Spiritualität. Es spiegelt das menschliche Wesen und lässt einen selbst in sich hineinblicken. Ansonsten träume ich gross: von einer Vortragstour bis ins Fernsehen. Mir fehlen nur die nötigen Beziehungen.

Wann ungefähr rechnen Sie, in ­Südafrika anzukommen?
Ich will und muss Südafrika vor November erreichen, da ich in Kapstadt meine Eltern und meine Schwester treffen werde.

Gibt es etwas, das Sie unbedingt loswerden möchten, das unsere Leserinnen und Leser wissen sollten?
Die Welt ist nicht so gefährlich, wie viele denken. Was oft fehlt, ist der Mut, Träume umzusetzen. Viele Menschen blockieren sich selbst mit Ausreden. Auch Vorurteile über Länder halten uns davon ab, die Welt wirklich zu entdecken. Ich hoffe, ich kann besonders Frauen Mut machen. Zu Beginn sagten mir viele Männer, ich könne das als Frau nicht allein schaffen: zu gefährlich, zu schwach, zu unselbstständig. Das ist ein weltweites patriarchales Klischee. Ich bin der Beweis, dass es geht. Ich reise allein, bin glücklich und selbstbewusster denn je. Frauen können das, und sie sollten den nötigen Respekt, den Raum und die Würde dafür bekommen. Überraschend oft erfährt man unterwegs Hilfe – gerade als Frau. Allein zu reisen ist eine Herausforderung, aber ebenso eine grosse Chance für die Selbstentfaltung.

Viele, die so ein Abenteuer wagen, tun dies für einen bestimmten Zweck. Trifft das auf Sie zu, oder ist es wirklich nur eine Reise für Sie?
Meine Reise ist eine persönliche Erfahrung. Ich bezahle alle Familien direkt, bei denen ich essen und schlafen darf. Oft kommt gespendetes Geld nicht oder nur teilweise bei den Bedürftigen an. Armut, Ausbeutung und Korruption in Afrika sind auch Folgen westlicher Gier. Wir im globalen Norden müssen unser Konsumverhalten hinterfragen und Verantwortung übernehmen. Afrika ist reich an Ressourcen, und doch leben viele Menschen in Armut. Das zeigt, dass etwas gewaltig schiefläuft. Wer wirklich etwas verändern will, muss bei sich selbst anfangen.