Unterstützung für die Wodaabe

Ein Stammesfürst zu Gast in Lengnau: Der Verein 2x Hoffnung unterstützt die Nomaden im Niger – trotz zahlreicher Herausforderungen.
Auch nach dem Vortrag wurde bei Tee noch eifrig diskutiert. (Bbild: René Alfeld)

Lengnau – Das Mehrgenerationenhaus Laubenhof in Lengnau steht für die Begegnung von Menschen und Kulturen. Alle unter einem Dach – so war es auch Mitte Juli als der Verein 2x Hoffnung zum Vortrag mit gemütlichem Beisammensein und Znacht einlud.
Bei bestem Sommerwetter und selbst gekochtem Tajine mit Couscous erzählte Claudio Kohler, Vereinspräsident von «2x Hoffnung», ausgiebig von seinem Herzensprojekt und dem heutigen Ehrengast. Seit der Gründung 2021 setzt sich der Familienvater für die Wodaabe-Nomaden im westafrikanischen Niger ein. Das Interesse des Publikums an der ihnen unbekannten Kultur war gross, wie nicht nur die zahlreichen Fragen während des Vortrags zeigten. Wann hat man schon die Chance, einen echten Stammesführer direkt über sein Land, seine Kultur und sein Leben auszufragen!
Der Anwesende Maigari Boyi ist fast im gleichen Alter wie Claudio Kohler (36). Mit seiner Position als Stammesfürst ist er zugleich Stellvertreter des Sultans. Kennengelernt haben sich die beiden bereits vor acht Jahren in Zürich. Boyi reiste nach Europa, um handgearbeiteten Schmuck für seinen Stamm zu verkaufen. «Ich habe ihn als visionären, fleissigen und ehrlichen Menschen kennengelernt», erzählt Kohler. Seitdem besuchte Boyi ihn mehrmals als Gast der Familie.

Kulturgräben
Die zunehmenden Dürreperioden – der Niger liegt zum Teil in der Sahelzone und lebt von seiner zweimonatigen Regenzeit –, geopolitische Konflikte der Nachbarstaaten, islamische Terrormilizen und letztendlich die Coronapandemie machten das Überleben der Nomadenstämme fast unmöglich.
2021 gründete Kohler zur Unterstützung seines Freundes und der Wodaabe den Verein 2x Hoffnung. Der Name bezieht sich darauf, dass man sofortige Hilfe durch Nahrung und Wasser bietet sowie Unterstützung bei der Ausübung und Vertiefung des Glaubens. Denn die von Maigari Boyi geführten Wodaabe sind zum Grossteil Christen – und das in einem muslimischen Land, in den zum Teil wieder die Scharia eingeführt worden ist.
Boyis Onkel konvertierte bereits vor 45 Jahren zum Christentum. Der gemeinsame Glaube half ihm und Kohler auch dabei, Gräben aller Art zu überwinden – Bibelgeschichten als universelle Sprache. Dementsprechend ist der Glaube auch ein wichtiger Bestandteil des Vortrags. Begeistert erzählt Boyi, wie er mit anderen Menschen über ihre jeweiligen Propheten diskutiert. Und in Sachen Wunder weiss Jesus Christus durchaus zu überzeugen. Die Geschichten zeigen vor allem, was Kohler auch im Vortrag betont: Der Glauben ist im Niger keine Privatsache, sondern wichtiges Gesprächsthema.
Boyi erzählte auch vom Festival, bei dem die Wodaabe-Männer sich zu einer Art Brautschau parat machen. Die unverheirateten Frauen dürfen sich dann den schönsten Partner aussuchen, wobei Männer auch mehr als nur eine Ehefrau nehmen können. Erleichtert berichtete Boyi, dass er seine jetzige Partnerin aber auf anderen Wegen kennengelernt und sich so die Show mit viel Make-up und traditioneller Kleidung erspart hat.

Hilfe zur Selbsthilfe
Seit der Gründung hat der Verein die rund 350 Menschen mit über einer Million Mahlzeiten versorgt. Heruntergerechnet ergibt sich daraus ein Preis von 22 Rappen pro Mahlzeit. Die Grundnahrungsmittel sind dabei Hirse, Öl, Zucker und Salz. Oder wie Boyi sagt: «Mit Milch und Hirse sind wir glücklich.» Gewürze gelten dagegen als Luxus in der Region, in der der nächste Brunnen mindestens fünf Kilometer entfernt ist. Die Priorität bei der Versorgung gilt zunächst den Alten, Waisen und Witwen.
Normalerweise sind die Wodaabe bekannt für ihre Rinderzucht. Aber die Konflikte und Einschränkungen im Niger sorgten dafür, dass sie auch diese Grundlage verloren haben. Dabei gelten Kühe als laufende Bank, bei der es die Dividende in Kalbform gibt.
Nach einigen Rückschlägen und immer neuen Herausforderungen möchte man beim Verein 2x Hoffnung in den nächsten drei Jahren dafür sorgen, dass sich die Wodaabe langfristig selbst versorgen können. Inzwischen konnten mit den Spenden zwei 8-Tonner-Lastwagen gekauft werden. Mit dem Transport von Menschen, Tieren und Waren lässt sich im Niger gutes Geld verdienen. Und die schweren Fahrzeuge locken zudem keine Schmuggler an, weil sie zu gross und auf reguläre Strassen angewiesen sind.
Dazu erzählte Kohler noch die Geschichte, wie ein Autokauf im westafrikanischen Land verläuft: Der Verkäufer fährt zwei Wochen lang das Fahrzeug, und der Käufer fährt solange mit, bis er vom Produkt überzeugt ist. Aktuell sammelt man zusätzliches Geld für einen dritten Lastwagen («Am liebsten einen 12-Tonner») und für Kühe. Ein Kalb kostet im Niger 300 Franken.

Seelenstärke
Am Ende des umfangreichen Vortrags dankte der teils schüchtern wirkende Maigari Boyi den 20 Anwesenden für ihr Interesse und ihre Unterstützung. Er werde ihnen ihre Hilfe «tausendfach vergelten». Und auch Kohler betonte noch einmal, wie wertvoll die Zusammenarbeit mit Boyi für ihn ist. Vom Verhaltenskodex der Wodaabe, welcher die Grundlage des Zusammenlebens bildet und aus den Werten Zurückhaltung/Bescheidenheit, Geduld/Seelenstärke, Sorge/Voraussicht und Loyalität besteht, habe er vor allem die Geduld («munyal») als Leitmotiv übernommen.
Anschliessend wurde noch der traditionelle schwarze Tee der Wodaabe verköstigt. Nach einer Kochzeit von über eine Stunde schmeckte dieser ungewohnt bitter. Boyi zog sich währenddessen wieder an seinen Schmuckstand zurück.
Der Verein 2x Hoffnung bittet weiterhin um Spenden. Alle weiteren Informationen findet man auf der offiziellen Website: kohler64.wixsite.com/2xhoffnung/spenden.