«Musik soll keine didaktische Strafe sein»

Die dritte Ausgabe des Brugg-Festivals steht vor der Tür. Ein wichtiger Bestandteil des Anlasses ist die Vermittlung der klassischen Musik an Kinder.
Der Violinist Sebastian Bohren leitet das Brugg-Fesival. (Bild: zVg | Marco Borggreve)

Brugg – Sebastian Bohren und sein Team wollen die Jugend an die klassische Musik heranführen – dies im Rahmen des bevorstehenden Brugg-Festivals.

Sebastian Bohren, Sie sind professioneller Violinist und Leiter des Brugg-Festivals. Wie steht es um den Anlass kurz vor der dritten Ausgabe?
Wir sind noch immer daran, das Festival aufzubauen und brauchen viel Durchhaltewillen, bis die Finanzierung so steht, dass sich die privaten Sponsoren oder Gönner, die Ticketeinnahmen und die öffentliche Hand, also der Kanton, die Stadt und die privaten Stiftungen, genug gut ergänzen. Das Festival profitiert seit der ersten Ausgabe von 60 bis 70 Privatpersonen, die von kleineren Summen bis hin zu 10 000 Franken spenden, damit der Anlass stattfinden kann. Im vergangenen Jahr hatten wir insgesamt fast 150 000 Franken von privaten Gönnerinnen und Gönnern zur Verfügung. Das ist grossartig. Etwas schwieriger sieht es bei den Subventionen durch den Kanton aus. Im vergangenen Jahr hatten wir eine kantonale Subventionsquote von nur fünf Prozent des Budgets. Andere vergleichbare Festivals in der Schweiz bekommen teilweise bis zu 50 Prozent. Der Grund ist, dass wir noch neu sind und uns zuerst etablieren müssen. Aber immerhin zeigt der Trend nach oben. In diesem Jahr sind es schon über zehn Prozent, was deutlich besser ist. So sollten wir insgesamt eine schwarze Null hinbekommen.

Die Konzertprojekte für Schulklassen sind ein wichtiger Teil des Festivals. Sie laufen unter dem Motto «Echo». Wir gross ist die Nachfrage bei den Brugger Klassen im dritten Jahr?
Im ersten Jahr hatten wir rund 400 Teilnehmende, im zweiten Jahr waren es 800 und jetzt sind wir bei rund 1200 Anmeldungen. Die Nachfrage bei den Schulen wächst also, und die enge Zusammenarbeit mit den Schulbehörden, also die Partnerschaft mit der Schule und Musikschule Brugg, funktioniert sehr gut.

Wie sehen die Aufführungen für Schulklassen aus?
Es sind stufengerechte, moderierte Veranstaltungen für Kinder von der ersten bis zur neunten Klasse. In diesem Jahr haben wir das bekannte Stück «Der Karneval der Tiere» von Camille Saint-Saëns organisiert – eine fantasievolle Komposition mit tanzenden Elefanten und schwimmenden Schwänen. Wir führen es an einem Tag gleich dreimal auf: einmal die reguläre Aufführung und zwei weitere nur für Brugger Schulklassen. Die Veranstaltung dauert rund 30 Minuten, wobei auch ein Text erzählt wird und eine 12-jährige Pianistin ein kurzes Stück dazu spielt. Es ist der Kernanlass im Rahmen der «Echo»-Konzerte mit Platz für bis zu 600 Schülerinnen und Schüler. Daneben gibt es an verschiedenen Orten 14 weitere «Echo»-Veranstaltungen. Sie sind kleiner, mit maximal 80 bis zu 200 Teilnehmenden. Das kann der Besuch beim Geigenbauer sein, ein Probebesuch bei einem Brahmsquintett oder eine Veranstaltung zur Musik in der Renaissance.

Was für ein Grundgedanke steckt hinter dem «Echo»-Projekt?
Wir wollen, dass die Jugendlichen und Kinder auf entspannte Weise mit der Welt der Klassik in Berührung kommen – dass sie spüren, wie intensiv und faszinierend diese Welt sein kann. «Echo» soll eine Begegnungsfläche sein, keine didaktische Strafe, in dessen Rahmen sich die Jugendlichen mit der klassischen Musik beschäftigen müssen. Es geht uns um eine Identifikation durch starke, charismatische Persönlichkeiten, welche die Musik verkörpern und die Kinder an die Materie heranführen.

Haben Sie das Gefühl, dass die klassische Musik ganz generell ein Nachwuchsproblem hat?
Es kommt auf die Region an. In Asien, in Ländern wie Südkorea, hat die klassische Musik bei der Jugend einen extrem hohen Stellenwert. Und es gibt immer wieder neue Märkte dafür. Aber bei uns in Mitteleuropa haben wir auf jeden Fall ein Nachwuchsproblem. Wir veranstalten neben dem Festival ja die Konzertreihe «Stretta Concerts», und der Altersdurchschnitt im Publikum ist immer sehr hoch – 70 aufwärts. Das ist unser treues Stammpublikum. Den gleichen Trend beobachten wir auch bei anderen Schweizer Veranstaltern wie der Tonhalle oder dem KKL.

War das nicht immer schon so? Klassische Musik ist ja überspitzt gesagt eher eine Musik für Erwachsene.
Ja, aber es hat sich ganz klar zugespitzt. Deshalb müssen wir Musiker und Veranstalter Verantwortung übernehmen, um unsere Zunft zu verteidigen und dem Nachwuchs aufzuzeigen, warum klassische Musik für alle wertvoll ist.

Wo sehen Sie die Ursachen für das schwindende Interesse der Jugend an der klassischen Musik?
Ich denke, dass auch die Erwachsenen immer weniger klassische Musik hören, und ihre Kinder dadurch erst recht keinen Einstieg in diese Musik mehr finden oder überhaupt ein Instrument spielen lernen. Dabei ist es so schön zu erleben, wie Kinder auf klassische Musik reagieren können. Man denkt immer, diese Musik sei grundsätzlich schwierig und unzugänglich. Dabei kann klassische Musik sehr unmittelbar sein, und Kinder sind da völlig unbefangen. Ich finde es jedesmal wunderschön zu sehen, wie zum Beispiel mein dreijähriger Sohn auf klassische Musik reagiert. Er hat überhaupt keine Berührungsängste.

Welchen Abend der aktuellen Ausgabe des Brugg-Festivals würden Sie jemandem als Einstieg empfehlen, der oder die noch keinen Bezug zur klassischen Musik hat?
Vielleicht das Abschlusskonzert vom 6. September. Das Zürcher Kammerorchester spielt dann zugängliche klassische Musik von Mozart, Schumann, Brahms und Tschaikowski, und die Solistin Li La am Violoncello ist schlicht grossartig.

Brugg-Festival
August bis 6. September
Verschiedene Spielorte