Marianne Kamm, was raten Sie jungen Menschen, die vor der Berufswahl stehen?
Sich zu überlegen, was man gern macht und wo die eigenen Stärken liegen. Sie sollen einen Beruf lernen, der ihnen Spass macht, und keinen, der schon am ersten Tag nervt.
Und sich über die gesamte Breite der Berufe zu informieren. Man kennt im eigenen Umfeld nur einen Teil der Berufe beziehungsweise der Lehren, die es gibt. Es gibt viele Berufe, mit denen die Jugendlichen noch nie in Kontakt getreten sind. Dafür ist die Berufsschau ideal, da man dort die ganze Vielfalt der Berufswelt entdecken kann. Ich bin überzeugt, hier findet jeder einen Beruf, von dem er oder sie vorher noch nie etwas gehört hat.
Die Berufsschau findet nur alle zwei Jahre statt. Spricht man damit zwei Jahrgänge gleichzeitig an?
Wir sprechen mehr als einen Jahrgang an, denn die Berufswahl fängt nicht erst an, wenn man in der Schule das Fach «Berufliche Orientierung» hat. Es passiert vorher schon sehr viel.
Was spricht heute für die berufliche Grundbildung?
Ganz viel. Ich denke, es ist ein Vorteil, dass Praxis und Theorie vom ersten Tag vereint sind. Es macht den Alltag abwechslungsreicher. Bei mir persönlich war es damals der Fall, dass ich ein bisschen schulmüde war. In unserem durchlässigen Bildungssystem hat man anschliessend alle Möglichkeiten. Man schafft eine breite Basis, mit der einem alles offensteht.
Für mich ist die berufliche Grundbildung der Königsweg, um eine berufliche Karriere zu starten.
Vergleicht man die berufliche Grundbildung mit anderen europäischen Ländern, ist diese in der Schweiz ja eine Institution. Was macht sie so populär?
Das duale Bildungssystem ist ein Erfolgsmodell, das auch im Ausland grosse Anerkennung findet. Statt ausschliesslich Theoretiker auszubilden, setzt es konsequent auf den Bezug zur Praxis.
Die Jugendlichen sind sehr jung, wenn sie sich nach der Volksschule für einen Weg entscheiden müssen. Sie entwickeln sich weiter, sammeln Lebenserfahrungen, und dabei können sich Interessen verschieben.
Im Ausland ist das Angebot meist kleiner, und vielerorts herrscht der Eindruck, man müsse zwingend die Matura, das Abitur ablegen. Das ist in der Schweiz nicht der Fall. Am Ende der Grundbildung steht das eidgenössische Fähigkeitszeugnis – ein anerkannter und wertvoller Abschluss.
Im Hinblick auf den Fachkräftemangel, gerade im Handwerksbereich, ist das aus meiner Sicht unverzichtbar. Ausserdem sind nicht alle Schülerinnen und Schüler bereit oder geeignet, um von Anfang an einen akademischen Bildungsweg einzuschlagen.
Denkt man an die Eltern und andere wichtige Entscheidungsfinder, wenn man die Messe gestaltet?
Verschiedene Personen beeinflussen die Jugendlichen. Zum einen sind das sicherlich die Eltern, zum anderen haben Lehrpersonen, Mitschüler, Freunde, Bekannte und sogar Influencer in den sozialen Medien grossen Einfluss. Diese werden auch angesprochen. Es gibt eine Broschüre für Schüler und eine für Lehrpersonen, die den Besuch organisieren, und wir sind auf den sozialen Medien aktiv. So spricht man auf verschiedenen Wegen alle an. An den Ständen entscheiden die Aussteller selbst. Im Vordergrund steht aber das Erlebnis für die Schülerinnen und die Schüler. Am besten ist es, wenn der Beruf von den Lernenden vorgestellt wird und sie auf Augenhöhe mit den Jugendlichen reden können.
Von Dienstag bis Freitag kommen vor allem Schulklassen, am Mittwochnachmittag sowie am Wochenende besuchen die Jugendlichen die Berufsschau mit den Eltern.
Was ist neu, was sind die Trends?
Am Montagabend, vor Messebeginn, ist ein exklusiver Informationsrundgang mit Lehrpersonen vorgesehen. Ansonsten setzen wir auf das bewährte Konzept der letzten Jahre.
Bei den Ausstellern gibt es wenige Veränderungen. Leider gibt es Aussteller, die dieses Jahr aussetzen müssen, weil ihnen die personellen Ressourcen für den Standbetrieb fehlen. Dafür sind andere interessante Berufe neu dazugekommen.
Sie sind ebenfalls Geschäftsführerin von Schule trifft Wirtschaft. Ist das eine aktive Kooperation?
Schule trifft Wirtschaft wird einen eigenen Stand an der Berufsschau haben. Der 2024 gegründete Verein möchte insbesondere Schulen und das lokale Gewerbe näher zusammenbringen. In einigen Regionen gibt es bereits ein grosses Angebot an Aktivitäten, in anderen besteht Nachholbedarf, weshalb Konzepte für Anlässe zur Verfügung gestellt werden. Ziel ist es, dass flächendeckend im ganzen Kanton ein breites Angebot zur beruflichen Orientierung vorhanden ist. Die Jugendlichen sollen sich auch ausserhalb der Berufsschau und das ganze Jahr über die Chancen einer Berufslehre orientieren können.
Was sind zurzeit die grössten Herausforderungen auf dem Ausbildungsmarkt?
Je nach Branche sind die Herausforderungen unterschiedlich. Es gibt Berufe, die zurzeit sehr gefragt sind und viele Bewerbungen erhalten, und andere Lehrstellen sind schwierig zu besetzen.
Was machen die kleineren Unternehmen auf einem umkämpften Arbeitsmarkt?
Sie setzen vielfach auf die Regionalität bei den Lernenden. Deshalb wollen wir, dass in jeder Region Veranstaltungen für die berufliche Orientierung stattfinden.
Wie verhält es sich derzeit mit den Lehrabbrüchen?
Gerade wurde eine Studie veröffentlicht, die das untersuchte. In der Gastronomie ist die Lehrabbruchquote relativ hoch. Unregelmässige Arbeitszeiten machen es schwer, soziale Kontakte zu pflegen. Die Pflegebranche erlebt bei den Jugendlichen momentan einen Boom, aber auch dort ist die Abbruchquote sehr hoch. Die Rekrutierung ist ein wesentlicher Punkt hinsichtlich der Lehrabbrüche. Die Jugendlichen müssen sich darüber bewusst sein, was der Beruf mit sich bringt, bevor sie eine Lehre beginnen. Die Rahmenbedingungen müssen klar sein.
Es ist eine Herausforderung, einem 15-Jährigen zu vermitteln, wie die Arbeitswelt aussieht. Wenn man jedoch einen Beruf wählt, den man mit Leidenschaft macht, dann nimmt man gewisse Dinge in Kauf.
Sehen Sie einen Unterschied bei der heutigen Generation von Jugendlichen? Muss man die Generation Z anders ansprechen?
Jede Generation ist anders als die vorherige, und die Entwicklungen dauern an. Die Einstellung zur Arbeit hat sich über die Jahre verändert, was ein Stück weit mit dem Wohlstand in der Schweiz zu tun. Ich bin überzeugt, dass sich das – über Jahrzehnte – wieder ändert. Bei Themen wie der Work-Life-Balance hat sich die Arbeitswelt teilweise angepasst, vor allem im Bürosektor. Solche Entwicklungen benötigen aber stets Zeit.
Ist das Thema Homeoffice noch präsent?
Vonseiten der Arbeitgeber ist es etwas in den Hintergrund gerückt. Es hat wie alles seine Vor- und Nachteile, und bei Anstellungsgesprächen ist das jeweils ein Thema. Ich persönlich bin lieber vor Ort und bei meinem Team. Es geht nicht in allen Bereichen gleich gut und in gewissen Berufen überhaupt nicht.
Kann man mit Technik wie Virtual-Reality-Brillen die Jugendlichen vor Ort besser ansprechen?
Die Stände, an denen die Jugendlichen selbst etwas ausprobieren können, haben die grösste Anziehungskraft. Gerade beim Handwerk kann man etwas anfassen, und es gibt Stände, bei denen der Beruf auf spielerische Art und Weise gezeigt wird.
Digitalisierung ist überall ein Thema, auch bei uns in der Organisation. Wir haben aber bewusst die Messeführer und Broschüren noch gedruckt. Des Weiteren hat man sich Gedanken darüber gemacht, die Messe digitaler zu gestalten, hat sich aber dagegen entschieden. Die Berufsschau soll zum Erleben und Anfassen sein.
Wie verhält es sich mit dem Aufbrechen von Genderstereotypen in den Berufen?
Dieses Thema ist präsent. Die Bestrebungen, mehr Frauen für klassische Männerberufe zu motivieren, sind recht erfolgreich. Aber es müsste auch in die andere Richtung gehen, weil die Frauen dann wiederum in anderen Berufen fehlen. Maler sind ein Beispiel, hier sind die Lernenden überwiegend weiblich.
Und die geburtenstarken Jahrgänge kommen noch.
Quantität ist das eine, Qualität das andere. Man muss die passenden Leute rekrutieren, sonst besteht am Ende wieder das Problem mit den Lehrabbrüchen. Also lieber einmal eine Lehrstelle unbesetzt lassen.
Ein Fazit?
Besucht die Berufsschau (lacht)! Das Angebot an Berufslehren hat sich sehr verändert seit damals, als ich meine Lehre begonnen habe. Es gibt Berufe, die verschwunden sind, und es gibt viele neue Berufe. Da Erwachsene einen Einfluss auf Jugendliche haben, ist eine Berufsschau auch für diese sehr interessant.
Was ist Ihr Highlight auf der Messe?
Das ist eine schwierige Frage. Ich kenne die Messe ja bis jetzt nur von Bildern. Aber es hat wirklich ein paar Stände, die auf ein paar Quadratmetern eine Erlebniswelt schaffen und ihren Beruf präsentieren. Auch mit kleinem Budget kann man vor Ort etwas Spannendes zeigen.
Für welche Ausbildung würden Sie sich heute entscheiden?
Das ist schwierig zu sagen.
Die Berufsschau gab es damals ja noch nicht.
Ich hätte sicher andere Berufe kennengelernt, von denen ich damals nichts wusste. Und ausserdem ist die Berufslehre der Anfang, ein erster Schritt in die Arbeitswelt.