Wegweiser im Rechtssystem

Eine Betreibung, Knatsch mit dem Vermieter oder ein Strafbefehl: Die unentgeltliche Rechtsauskunft zeigt mögliche Schritte auf.
«Bei Betreibungen und Strafbefehlen sollte man schnell reagieren», sagt Gennaro Mastronard. (iBild: zVg)

Baden – Eine Frau betritt den Beratungsraum und legt der Anwältin leicht frustriert ein Arbeitszeugnis vor. «An dieser Stelle wird mir unterstellt, ich könne nicht strukturiert arbeiten», sagt die Frau. «Das möchte ich korrigieren lassen, aber die zuständige Vorgesetzte reagiert weder auf Anrufe noch auf ­E-Mails.» Die Juristin liest das Zeugnis aufmerksam durch und findet, dass es auch viel Positives enthalte. Wie die kritisierten Zeilen bei einer Bewerbung aufgefasst würden, könne sie nicht beurteilen. «Wenn Sie es trotzdem anpassen möchten, verfassen Sie einen Brief mit einem Alternativvorschlag und verschicken ihn eingeschrieben», sagt sie. «Setzen Sie eine Frist, bis wann das Zeugnis geändert werden soll.» Das funktioniere in der Regel gut. Andernfalls sei die nächste Stufe ein Schlichtungsverfahren vor dem Friedensrichter.

Die ratsuchende Frau ist eine von Tausenden, die jedes Jahr eine Sprechstunde der unentgeltlichen Rechtsauskunft aufsuchen. Ihr Anliegen dürfte dabei eines der harmloseren sein. Eine Betreibung, Erbstreitigkeiten, eine saftige Busse, Knatsch mit dem Vermieter, ein nicht zurückgezahltes Darlehen, Familienzwist – die Gründe, warum die Menschen ein rechtliches Ohr suchen, sind vielfältig. Der Aargau ist laut Kantonsverfassung verpflichtet, kostenlose Rechtsberatung zu erteilen. Der Aargauische Anwaltsverband übernimmt diese Aufgabe und bietet in allen Bezirken Sprechstunden an. Der Verband erhält vom Kanton eine Vergütung, die Anwältinnen und Juristen arbeiten jedoch ehrenamtlich.

Schnelle Reaktion
«Die anwaltliche Dienstleistung ist ein Luxusgut», sagt Gennaro Mastronardi, der die Geschäftsstelle des Anwaltsverbands leitet und seit 2023 als selbstständiger Anwalt praktiziert. In der Regel koste die Stunde ab 250 Franken aufwärts. Umso wichtiger ist eine Anlaufstelle für eine erste kostenlose Einschätzung. «In der unentgeltlichen Rechtsauskunft geben wir Orientierungshilfe und zeigen mögliche nächste Schritte auf», erklärt der 36-Jährige. «Manchmal kann man jemandem von einem Verfahren abraten, indem man auf die Chancenlosigkeit verweist», so der Anwalt. Juristische Dienstleistungen werden nicht erbracht, es ist ein reines Beratungsgespräch. «Zuweilen wollen die Leute einfach jemanden, der ihnen zuhört», hat Mastronardi festgestellt. Jemand bringe zum Beispiel eine Autoservicerechnung und halte sie für überrissen. Er könne dann erklären, dass diese gerechtfertigt sei, müsse sich dafür aber genug Zeit nehmen. «Wenn man die Leute schnell abfertigt, sind sie nur noch frustrierter.»

Zu den häufigsten Themen in der Beratung zählen Betreibungen und Strafbefehle bei Verkehrsdelikten. «Wichtig ist bei beidem, dass man schnell reagiert, wenn man nicht einverstanden ist», sagt Mastronardi. Man sollte Einsprache erheben, um das Verfahren vorerst zu stoppen. «Auf der Betreibung kann man direkt bei Erhalt ‹Rechtsvorschlag› ankreuzen, was zur Einstellung der Betreibung führt», weiss der Anwalt. «Beim Strafbefehl muss man den Einspruch selbst verfassen, und das innert einer Frist von zehn Tagen.» Wenn man nichts gegen den Strafbefehl unternehme, werde er zum rechtskräftigen Gerichtsurteil. 

Mastronardi hat schon an verschiedenen Orten Rechtsauskünfte erteilt. «In Baden hatte es so viele Leute, dass es immer zwei Stunden ging statt eine wie vorgesehen», erzählt er. Man bleibe, bis der Letzte angehört worden sei. «In Würenlos kamen dagegen einmal nur zwei Personen, für sie konnte ich mir dann je eine halbe Stunde Zeit nehmen.» Wer es sich einrichten kann, wählt also mit Vorteil eine Sprechstunde ausserhalb der Zentren. Die vollständige Liste findet sich auf anwaltsverband-ag.ch unter Rechtsauskunft.

Die Frau mit dem unbefriedigenden Arbeitszeugnis hat mit dem Rat der Anwältin Erfolg. Die ehemalige Vorgesetzte hatte nicht reagiert, weil sie wegen eines Unfalls mit ihren Aufgaben in Verzug geraten war. Durch den eingeschriebenen Brief priorisiert sie das Anliegen der Frau und meldet sich innerhalb der gesetzten Frist. Das Zeugnis wird gemäss Wunsch der Arbeitnehmerin angepasst.