Ein Hauch von Camargue

Seit mehreren Tagen weilen am Klingnauer Stausee etwa 20 Rosaflamingos und verbreiten ein bisschen mediterrane Stimmung.
Rosaflamingos am Klingnauer Stausee. (Bild: bhe)

Zurzeit gleicht der Klingnauer Stausee einer Baustelle. Am und auf dem Wasser werden Sanierungs- und Unterhaltsarbeiten im grossen Stil durchgeführt. Im Wesentlichen geht es darum, die fortschreitende Verlandung des Stausees einzudämmen. Hierfür werden auf vier Wasserflächen, jede von der Grösse eines Fussballfelds, die Sedimente bis auf eine Wassertiefe von 0,5 Metern mit einem Saugbagger entnommen und zu einer grossen Lagerfläche an Land gepumpt. Dort wird das Material in Geotextilschläuchen getrocknet und eingedickt, bis es zur fachgerechten Entsorgung abtransportiert werden kann. Um den künftigen Sedimenteintrag aus der fliessenden Aare zu reduzieren, wird zwischen den Schilfinseln ein etwa 100 Meter langer Holzdamm eingebaut. Für den langfristigen Erhalt des Wasser- und Zugvogelreservats sowie der Flachmoore sind zudem Pflegeeingriffe notwendig, so zum Beispiel das teilweise Mähen der Schilfinseln.

Beim Tanz zweier Jungvögel ist das Rosa am Unterflügel zu sehen.

Trupp von Jungflamingos
Gleichsam als Kontrastprogramm zu diesen geschäftigen Tätigkeiten bietet sich dem Besucher zurzeit ein ungewöhnliches Bild: Neben allen anderen Wasservögeln sind seit dem 5. September 20 Rosaflamingos zu beobachten. Die grossen Schreitvögel verteilen sich meist über den ganzen Nordteil des Stausees und bringen einen Hauch von Camargue ins untere Aaretal. Es handelt sich durchweg um Jungvögel, das heisst, sie sind in diesem Frühjahr geschlüpft oder in ihrem zweiten Lebensjahr. Deshalb sieht man noch nicht viel Rosa in ihrem Gefieder, wie das bei erwachsenen Rosaflamingos zu erwarten ist. Die Rosafärbung stammt von den roten Salzwasserkrebsen, ihrer Hauptnahrung in Meeresgebieten. Die Jungvögel haben noch ein mehrheitlich braun-weisses Gefieder und dunkle Beine. Nur wenn sie ihre Flügel anheben – beispielsweise bei einem kurzen «Tanz» mit einem Artgenossen –, lassen die zweijährigen Vögel ein blasses Rosa am Unterflügel aufblitzen.

Bei der Nahrungssuche gleichen sie jedoch ganz ihren Eltern. Sie halten den Schnabel knapp unter die Wasseroberfläche und trippeln mit den Füssen, dabei drehen sie sich meist langsam im Kreis. Dadurch erzeugen sie Verwirbelungen, welche, ähnlich einem Netz, die Beutetiere im Zentrum gefangen halten. So können sie ihre Nahrung – Wasserinsekten, Krebse und Würmer – sehr effizient aufnehmen.

Durch Trippeln mit den Füssen scheuchen die Flamingos ihre Beutetiere vom Boden auf. (Bilder: bhe)

Selten in der Schweiz zu ­beobachten
Rosaflamingos brüten rund ums Mittelmeer. Die nächsten Populationen findet man in Südfrankreich in der Camargue und in Norditalien im Po-Delta. Vor ihrer Ankunft im Aargau wurden sie bereits am Genfersee beobachtet. Dort zählte die Gruppe noch bis zu 40 Individuen. 20 davon sind nun am Klingnauer Stausee, einige Individuen sind weiter an den Bodensee geflogen. Flamingos besuchen sehr selten die Nordschweiz. Die letzte Flamingobeobachtung geht auf das Jahr 2011 zurück, als acht dieser ­Vögel am Flachsee weilten.

Ob die Rosaflamingos bei Erscheinen dieses Artikels noch präsent sind, weiss niemand. Es scheint ihnen dort zu gefallen beziehungsweise sie haben eine gute Nahrungsquelle gefunden. Tatsache ist, dass selten so viele rastende Watvögel am Klingnauer Stausee zu beobachten waren wie in diesem Spätsommer. Möglicherweise hat es sogar damit zu tun, dass durch das Absaugen der Sedimente mehr tierische Nahrung vom Boden aufgewirbelt wird, wovon die Zugvögel profitieren. Diese halten sich immer mit etwas Abstand von den auf und am Wasser arbeitenden Personen auf, ertragen aber die zum Teil lärmigen Arbeiten mit erstaunlicher Gelassenheit.