Wer wird Frau Gemeindeammann?

Gesamterneuerungswahlen 2025 Obersiggenthal: die «Rundschau Nord» hat beide zur Wahl stehenden Politikerinnen zum Interview ­getroffen.
Beide Kandidatinnen sitzen aktuell im Gemeinderat von Obersiggenthal. (Bilder: zVg)

Obersiggenthal – Bei den Gesamterneuerungswahlen am 28. September stellt sich Frau Gemeindeammann Bettina Lutz Güttler wieder zur Verfügung. Anders als bei der Wahl 2021 hat sie mit Gemeinderätin Tanja Marullo-Müller eine Gegenkandidatin um das höchste Amt in Obersiggenthal.

Bettina Lutz Güttler (Die Mitte)

Bettina Lutz Güttler, wie läuft der ­Wahlkampf?
Das ist sozusagen die Krönung, bevor es zur Wahl kommt. Für mich ist es allerdings so, dass ich während der gesamten Legislatur­periode an Veranstaltungen teilnehme und für Gespräche zur Verfügung stehe. Wenn man sich dafür nur auf den Wahlkampf beschränkt, finde ich das eher schwierig. Aber natürlich ist es schon so, dass ich aktuell vermehrt im Markthof anzutreffen bin.

Steckt man als Politikerin wirklich in ­diesem Wahlzyklus?
In der Funktion als Gemeindeammann muss man meiner Meinung nach dafür sorgen, dass man regelmässig ansprechbar ist. Also an Veranstaltungen wie Generalversammlungen oder Einweihungen teilnimmt. Dass man sich die Zeit nimmt, um mit Menschen zu reden und ­ihnen zuzuhören, was sie bewegt. Meistens hört man dann das, was nicht so gut ist, aber das liegt in der menschlichen Natur.

Ist das Anhören von Sorgen auch das, was Sie am Wahlkampf schätzen?
Das ist eines. Es geht ausserdem darum, dass die Wählerinnen und Wähler die Möglichkeit haben, sich zu überlegen, wer die richtige Vertretung für mich ist. Stimmen die politischen Leitlinien, wie kann ich mit einer Wahl darauf Einfluss nehmen? Das gehört zum demokratischen Prozess.

Wie lautet Ihr Fazit für die Legislatur­periode 2022–2025?
Unverhofft kommt oft. Am Anfang der Legislatur sitzt man als Gemeinderat zusammen und schmiedet Pläne. Wir wurden von den Ereignissen ziemlich überholt. In dieser Zeit lag die Strommangellage, die Explosion im Markthof und der Kanton, der innerhalb kürzester Zeit eine Notunterkunft für Asylsuchende eingerichtet hat. Wir haben aber die wichtigen ­Themen nicht aus den ­Augen verloren und als Gremium gut funktioniert.

Was war das wichtigste Projekt, das in Obersiggenthal umgesetzt werden konnte?
Es sind zwei: das Schulhaus Goldiland, das wir im September 2023 eingeweiht haben, und das Gesamtverkehrskonzept Raum Baden und Umgebung, das uns die ganze Zeit beschäftigt hat. Das war sehr anspruchsvoll, und ich denke, wir haben ein gutes Ergebnis erzielt.

Wie schwer ist es für Obersiggenthal, sich gegen die grossen Partner Baden und den Kanton durchzusetzen?
In der Behördendelegation war man bemüht, eine Lösung für die Region zu finden. Man hat einander zugehört, auch wenn zum Schluss natürlich jeder sich selbst der Nächste ist. Man wird gehört, wenn man gute Argumente bringt. Es war allerdings eine Herausforderung.

Was wird das entscheidende Thema für die nächste Legislaturperiode?
Aus meiner Sicht sind es zwei Themen. Wir haben Liegenschaften, bei denen wir wissen, dass es zu Sanierungen kommen muss. Dazu ist es wichtig, dass man einen Plan entwickelt, der die Gesamtsituation der Gemeinde einbezieht und der ein schlankes Vorgehen ermöglicht. Ausserdem haben wir vor, eine Gesamtrevision der Bau- und Nutzungsordnung (BNO) vorzunehmen.

Ist das eines der Themen, die schwer zu ­vermitteln sind?
Man muss sich gut überlegen, wie man den Prozess aufgleist und wie man die Leute durch den Prozess führt und mitnimmt. Es wird einander entgegengesetzte Interessen geben. Man kann nur probieren, alle Überlegungen und Schritte möglichst transparent zu machen und allgemeinverständlich auf den Tisch zu legen. Eine Diskussion muss immer möglich sein. Und am Schluss muss man bei einer BNO einen Kompromiss finden.

Seit 2020 bekleiden Sie das Amt des Gemeindeammanns. Wie lang benötigt man, um zu entscheiden, dass man erneut antritt? 
Wenn man Gemeindeammann wird, dann ist man nicht vom ersten Tag an voll in allen Geschäften drin. Das Einarbeiten braucht Zeit. In meinen Augen ist ein Gemeindeammann erst nach einer gewissen Zeit wirklich wirksam, und eine Legislatur reicht für ein solches Amt nicht aus. In diesem Amt muss man wissen, dass man nicht nur für sich selbst arbeitet, sondern auch für die Nachfolgenden.

Wie langfristig plant und denkt man in ­diesen politischen Ämtern?
Wenn man im Amt ist, weiss man ja, wann die Wahltermine sind, und muss sich ausreichend früh Gedanken über eine Wiederkandidatur machen. Falls man nicht mehr antritt, möchte man ja für die Gemeinde eine möglichst gute Nachfolge. Eine Kandidatur muss man zudem unbedingt mit dem persönlichen Umfeld abklären. Und man muss noch Freude am Amt und Ideen für die Zukunft haben.

Ist das etwas Positives für die Gemeinde?
Man muss es so sehen. Man sollte sich durch die Wahltermine nicht limitieren lassen. Wenn man eine Idee hat, soll man sie aufgreifen und voranbringen. Und ich habe noch Ideen und Freude für das Amt.

Was zeichnet die Gemeinde Obersiggenthal in Ihren Augen besonders aus?
Obersiggenthal liegt wunderbar in der Natur zwischen dem Siggenberg und der sonnigen Seite der Limmat. Es hat drei Ortsteile, zwei Weiler, immer mit individuellem Charakter. Es hat einen spannenden Mix aus Leuten, die hier leben. Viele engagieren sich für Vereine und Projekte.

Was zeichnet Ihre Gegenkandidatin Tanja Marullo-Müller aus?
Tanja ist hier aufgewachsen, ist Ortsbürgerin und kennt dadurch viele Leute. Das ist für den Gemeinderat sehr wertvoll.

Wie schalten Sie am Alltag ab?
Ich bin im Garten. Das hat für mich eine beruhigende Wirkung. Ich lese gern und unternehme gern etwas mit der Familie und Freunden. 


Tanja Marullo-Müller (parteilos)

Tanja Marullo-Müller, wie läuft der ­Wahlkampf? 
In meinen Augen nicht sehr schön, wenn ich ehrlich bin. Ich finde es traurig, wenn man in einer Demokratie Wahlplakate abreisst und verunstaltet. Es gehört Mut dazu, sich aufzustellen. Ich habe ein Problem damit, dass es nicht mehr um Sachpolitik geht, sondern Leute in Schubladen gesteckt werden. Als Parteilose stehe ich dafür ein, dass man über Parteigrenzen zusammenarbeitet und diskutiert. 

Ihre politische Verbindung zur SVP stand ­zuletzt im medialen Fokus.
Weil die SVP mich als Person trotz meiner klaren Parteilosigkeit unterstützt, gibt es von diversen Parteizugehörigen einen Shitstorm. Im Sommer hat sich mein Mann entschieden, in die Partei einzutreten – was sein gutes Recht ist in einer Demokratie. Ich finde es gut, dass er mitgestalten möchte.

Was schätzen Sie am politischen Prozess des Wahlkampfs?
Dass man in den Gesprächen mit den Einwohnerinnen und Einwohnern mitbekommt, was sie bewegt. Die Menschen machen die Politik, nicht andersherum. Der Austausch mit den Einwohnern sollte nicht nur während des Wahlkampfs stattfinden. Wir sind ja alle Einwohnerinnen und Einwohner.

Wie lautet Ihr Fazit für die Legislatur­periode 2022–2025?
Es war für mich das erste politische Amt und eine sehr spannende Zeit, in der ich sehr viel lernen konnte. Ich wurde gut von meinen Gemeinderatskollegen und den Delegierten aufgenommen. Es ist aber auch ein sehr zeitaufwendiger «Job». Das Gesamtverkehrskonzept, der Schulhausbau, der Asylbereich – das sind alles komplexe Themen. Für das Verkehrskonzept hat jeder von uns Hunderte von Seiten durchgelesen, und auch dank dem grossen Engagement der IG OSN konnten wir den Martinsbergtunnel erfolgreich verhindern.

Wie schwer ist es für Obersiggenthal, sich gegen die grossen Partner Baden und den Kanton durchzusetzen?
Sehr schwierig. Es geht nur, indem man auf die anderen Leute in den Kommissionen zugeht.

Was waren andere wichtige Projekte, die ­umgesetzt werden konnten?
Die Sanierung des Hallen- und Gartenbads, die jetzt abgeschlossen wird. Der Asylbereich mit dem unterirdischen Asylzentrum ist eine grosse Herausforderung. Man muss schauen, dass es sicher bleibt und man den Asylsuchenden Angebote macht. Ob Deutschkurse, Neophyteneinsätze oder Mithilfe bei Dorffesten: Wir wollen aufzeigen, dass es in der Schweiz tolle Sachen gibt, aber man dafür arbeiten muss. Wir haben ausserdem ein Essen für Senioren, und ich habe mich dafür eingesetzt, dass es zusätzliche Informationsveranstaltungen gibt, zum Beispiel zum Thema Betrug.

Was wird das entscheidende Thema für die nächste Legislaturperiode?
Für mich ist klar, es gibt kein entscheidendes Thema, sondern sehr viele Aufgaben, die wir zu bewältigen haben. Ich strebe eine bessere Zusammenarbeit in der Verwaltung an. Es ist wichtig, dass wir in Obersiggenthal nicht im Verkehr ertrinken. Wir wollen alle Schulstufen bei uns im Dorf behalten. Und was mir ebenfalls am Herzen liegt, ist die wohnortnahe Grundversorgung, denn unsere Ärztin wird in zwei Jahren pensioniert. Zusätzlich haben wir noch unser grosses Liegenschaftsportfolio in Obersiggenthal, das man verantwortungsvoll und finanzbewusst pflegt, ohne in Luxussanierungen zu verfallen.

Sie sind seit fast drei Jahren im Amt. Wie lang benötigt man, um zu entscheiden, dass man nach mehr strebt?
Ich bin der Typ Mensch, der nicht einfach die Faust im Sack macht, wenn ihn etwas stört. Wenn man etwas bewegen möchte, sollte man den Mut haben, sich zur Wahl zu stellen. Die Entscheidung, als Gemeindeammann zu kandidieren, ist etwas, was mit der Zeit gewachsen ist.

Wie langfristig plant und denkt man in ­diesen politischen Ämtern?
Für mich ist es ein Privileg, dass ich in der Schweiz geboren bin. Demokratie ist für mich etwas vom Besten auf der Welt, aber es macht die Wege auch länger. Deshalb benötigen Projekte oft länger als eine Legislaturperiode. Aber es ist für mich wie in der Wirtschaft: Man muss kurzfristig und langfristig denken. Man weiss nicht, wie sich die Welt verändert. Plötzlich benötigt man Wohnraum für die ­ukrainischen Flüchtlinge, oder es gibt eine Explosion wie im Markthof.

Was zeichnet die Gemeinde Obersiggenthal in Ihren Augen besonders aus?
Für mich ist es Heimat. Wir haben gepflegte Naherholungsgebiete, den Markthof und sind verkehrstechnisch gut vernetzt in Richtung Baden. Ich finde Obersiggenthal einfach schön zum Leben. Wir haben 3 Pflegeheime, 5 Schulhäuser und 90 Nationen mit spannenden Kulturen.

Was zeichnet Ihre Gegenkandidatin Bettina Lutz Güttler aus?
Wir sind einfach zwei verschiedene Persönlichkeiten. Man nennt es zwar Kampfwahl, aber ich respektiere ihre Arbeit. Bettina engagiert sich auf ihre Art und Weise für Obersiggenthal.

Wie schalten Sie im Alltag ab?
Ich gehe mit meinem Hund in die Natur, das ist für mich Lebensqualität. Ich nehme regelmässig am Essen für Senioren teil, was mir wieder Motivation gibt. Und natürlich Familie und Freude als wichtige Pfeiler. Der Einsatz als Gemeinderat ist nicht immer einfach.

Wenn Sie nicht als Frau Gemeindeammann gewählt werden, dann  …?
… hoffe ich, dass ich trotzdem als Gemeinderätin gewählt werde. Als Gemeinderätin kann man nicht so viel bewegen wie als Gemeindeammann. Egal wie die Wahl herauskommt, ich werde weiterhin mein Bestes für Obersiggenthal und seine Einwohnerinnen und Einwohner geben.