Überregional – Beim herkömmlichen Laden eines E-Autos fliesst der Strom von der Ladestation in die Traktionsbatterie des Fahrzeugs. Viele Elektroautos können diesen Strom aber auch wieder abgeben – das nennt man bidirektionales Laden. Die Energie kann so zurück ins öffentliche Stromnetz oder in das eigene Haus gespeist werden. Doch wozu das Ganze?
Zunächst gilt es, ein paar Begriffe beziehungsweise die Kürzel zu kennen. Man spricht von Vehicle-to-Home (V2H), wenn der Strom vom Auto ins eigene Heim fliesst, von Vehicle-to-Building (V2B) bei irgendwelchen Gebäuden und Vehicle-to-Grid (V2G) beim öffentlichen Stromnetz. Mit Vehicle-to-Load (V2L) wird das Betreiben externer Geräte umschrieben, die man am Auto anschliesst. Und Vehicle-to-Everything (V2X) ist der Sammelbegriff für vielerlei Anwendungen.
Spannende Vorteile
Einige dieser Möglichkeiten eröffnen spannende Vorteile, sowohl für den Fahrzeugbesitzer als auch für das Stromnetz und die Umwelt. Der wohl grösste Vorteil entsteht im Zusammenspiel mit einer Photovoltaikanlage auf dem Dach des Eigenheims. Durch das bidirektionale Laden wird das E-Auto zur mobilen Stromspeicherlösung, die den tagsüber produzierten Solarstrom aufnehmen und abends, wenn die Sonne nicht mehr scheint und der Strombedarf im Haus steigt, wieder in das Hausnetz zurückführen kann (V2H). Die Photovoltaikanlage auf dem Dach wird damit deutlich effizienter.
Ebenfalls eine spannende Anwendung ist V2G. In Zeiten besonders hoher Stromnachfrage könnten die gespeicherten Energiereserven vieler E-Autos dafür genutzt werden, um das Netz zu entlasten. Die Fahrzeuge könnten also zur Stabilität des Stromnetzes beitragen, wenn das Stromnetz an seine Kapazitätsgrenzen stösst. Die ETH hat die Auswirkungen von V2G auf das Schweizer Stromnetz untersucht. Das Potenzial ist gross: Gemäss der Studie würde damit nicht nur die Versorgungssicherheit im Land erhöht, sondern der Solarstrom könnte bis zu 70 Prozent effizienter genutzt werden.
Die Politik ist gefordert
Für Autobesitzer ist dieser Anwendungszweck ein interessantes Verdienstmodell: Wenn das E-Auto nachts zu günstigeren Tarifen geladen und der Strom tagsüber, wenn die Energie teurer ist, zurückgegeben wird, lassen sich damit die eigenen Stromkosten senken oder sogar Geld verdienen. Allerdings ist dieses Szenario in der Schweiz noch Zukunftsmusik: Da unser Land ein Flickenteppich aus vielen Stromversorgern ist, muss für die Umsetzung von V2G mit jedem Anbieter einzeln verhandelt werden. Einige Schweizer Autoimporteure sind bereits daran, denn auch sie haben Interesse, diese Anwendungen des bidirektionalen Ladens voranzutreiben, weil sie das Elektroauto attraktiver machen.
Beim bidirektionalen Laden geht es also um viel mehr, als um die Möglichkeit, externe Geräte ans Auto anzuschliessen. Die möglichen Anwendungszwecke verfügen über ein grosses Potenzial, doch noch gibt es einige Hürden zu meistern, bevor die Vorteile voll ausgeschöpft werden können. Die technischen Voraussetzungen an das Auto und die Ladestationen müssen gegeben sein – neben den entsprechenden Wechsel- und Gleichrichtern benötigt es eine Software, die den Verbrauch, den Bedarf, die zur Verfügung stehende Energie und den Ladestand des Fahrzeugs aufeinander abstimmt. Zudem muss die Auswirkung auf die Lebensdauer der Traktionsbatterie im Elektroauto berücksichtigt werden, denn jeder Ladezyklus verkürzt die Lebensdauer der Batterie. Und dann gilt es, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu klären. Hier ist die Politik gefordert.