«Helfen statt Sucht verurteilen»

Ein Mitglied der Arbeitsgruppe «Sicherheit am Bahnhof» erläutert seine Sicht in Bezug auf die Drogenproblematik in Brugg.
Martin Küng ist Mitglied der Arbeitsgruppe «Sicherheit am Bahnhof Brugg». (Bild: Max Gessler)

Brugg – Martin Küng ist Delegierter der Gemeinde Windisch und Mitglied der Arbeitsgruppe «Sicherheit am Bahnhof Brugg», ausserdem hat er bei der «Bedarfsanalyse für Angebote der Schadensminderung in Brugg/Windisch» mitgewirkt. Er kennt also die Drogenproblematik gut. Er selbst ist pensioniert und hat nach 34 Jahren Tätigkeit in der Suchtarbeit und als ehemaliger Mitarbeiter bei Suchtprävention Zürich grosses Fachwissen und viel Erfahrung.

Zur Lage in Brugg fällt ihm zunächst auf: «Dass man die zwei Thematiken keinesfalls vermischt: auf der einen Seite die neuen Gewaltvorfälle, auf der anderen Seite die Süchtigen. Es ist einfach, solche Vorfälle auszuschlachten, aber damit ist das Problem nicht gelöst», sagt Martin Küng. «Es ist wichtig, den suchtkranken Menschen zu helfen, statt sie für ihre Sucht zu verurteilen, zu bestrafen und zu verjagen. An solchen Angeboten mangelt es im Moment noch.»

«Nicht mehr als an anderen ­Orten»
In Verbindung mit Gewaltvorfällen stehe oft das organisierte Verbrechen im Fokus, erklärt Martin Küng. Er sieht das ebenfalls als Problem, aber: «Es gibt zwar ein Problem mit dem organisierten Verbrechen, aber nicht mehr als an anderen Orten. Für die Prävention ist die Polizei sehr wichtig – und hier werden die Ressourcen nicht richtig eingesetzt», so die Einschätzung des Experten. «Es ergibt keinen Sinn, dass gut ausgebildete Polizisten suchtkranke Menschen aus den Zentren vertreiben, und gleichzeitig fehlen ihr die Kapazitäten, den Drogenhandel selbst so unattraktiv wie möglich zu machen.»

Das viel diskutierte temporäre ­Alkoholverbot hält Martin Küng für mutig – «und die Ladenbesitzer am Neumarkt haben ein ruhigeres Klima verdient. Es mangelt aber an generellen Massnahmen, damit Menschen mit einem problematischen Alkoholkonsum einen Platz haben. Ohne solche Angebote vermischen sich nicht nur Alkohol- und Drogenabhängige, sondern beispielsweise auch Asylanten aus der Nähe, wodurch eine Gruppe von Menschen entsteht, die für die Bevölkerung nur schwer tragbar ist.»

Wie steht es um die Angebote?
Massnahmen wie eine Gassenküche sind ausgearbeitet. Debora Schenker, die ehemalige Leiterhin von Hope ­Baden, einem christlichen Sozialwerk, hat mit ihren Kontakten in Brugg und Windisch den Verein Streetwork gegründet und hält ein Konzept für eine Gassenküche bereit. Der Kanton würde solche Projekte finanzieren. «Das grosse Problem sind die Örtlichkeiten sowie ein gewisses Bewusstsein seitens der Bevölkerung für Gassenküchen und Projekte dieser Art», sagt Martin Küng zur Planung von Suchthilfeangeboten.

Zur Reaktionszeit der Regierung sagt er: «Aus fachlicher Sicht könnte man immer etwas schneller sein, aber mit unserem demokratischen System dauern solche Prozesse eine gewisse Zeit.» Man muss laut Martin Küng alle Seiten einbeziehen, um die bestmög­liche Lösung zu finden und passende Massnahmen zu entwickeln. «Es ist in den letzten Jahren viel Gutes passiert.»

Auf die Frage, wie es nun um die Massnahmen in Brugg stehe und ob die Stadt jetzt sicherer sei, sagt Martin Küng: «Im Gesamten hat sich das Sicherheitsgefühl im Zentrum von Brugg verbessert, aber nur weil man die Süchtigen verteilt und vertrieben hat – was wiederum bedeutet, dass sich die Stadt zwar sicherer anfühlt, das Pro­blem selbst aber nicht behandelt wurde.» Diese Handlungen der Stadt seien aus der Not entstanden und vertretbar, so Martin Küng. Für die betroffenen Suchtkranken ist die momentane Lage jedoch eher schlechter.

Suchtprobleme seien ein Teil des menschlichen Zusammenlebens und könnten jeden und jede treffen, betont Martin Küng. «Um den Schaden in Grenzen zu halten, müssen Sozialhilfe und Polizei Hand in Hand arbeiten. Hier besteht im Kanton Aargau Nachholbedarf, aber der Wille ist vorhanden, sowohl politisch als auch an der Basis. Und das stimmt mich sehr hoffnungsvoll.»