Brugg – Bänz Friedli, Sportfan und überzeugter Nutzer des öffentlichen Verkehrs, macht für unser Interview auf der Zugfahrt von Zürich nach Basel in Baden Zwischenstation und kommt mit dem Velo zum Treffpunkt, weil er es auch am Zielort benutzen will.
Bänz Friedli, Ihr letztes Programm trug den Titel «S isch kompliziert – Bänz Friedli schafft Unordnung». Weshalb räumen Sie die nun wieder auf?
Es hat vermutlich mit dem Lebensabschnitt zu tun, dass man sich fragt: War es das? Was will ich noch? Zwar möchte ich meinen runden Geburtstag nicht allzu hoch hängen, doch ich habe per Zufall – wobei es ja keine Zufälle gibt – Bücher gelesen, die mich unglaublich inspiriert haben, darunter eines, das erst noch erscheint: «Wie lange ist nie mehr» von Doris Büchel, in dem sie sich mit der Endlichkeit befasst. Wir sterben im Fall alle. Was heisst das für unser Leben? Das hat mich bewogen, bei mir ein bisschen «aufzuräumen».
Wie sieht es in Ihrem Büro aus?
Ziemlich aufgeräumt. Jedenfalls finde ich alles. Schliesslich habe ich letztes Jahr drei Monate lang wirklich geräumt. Ich trennte mich von tonnenweise Artikeln und Notizen, die ich mein Leben lang gesammelt hatte, und überantwortete sie dem Zürcher Altpapier – und nicht dem Schweizer Literaturarchiv, da ich mich nicht für Lukas Bärfuss halte. (Lacht.)
Wie haben Sie das geschafft?
In der Pause nach zweieinhalb Jahren fast permanent auf Tour wollte ich Reisen unternehmen, zunächst aber ein wenig entrümpeln. Es blieb beim Entrümpeln. Der Sommer 2023 soll ja schön gewesen sein, aber ich verbrachte ihn durchgehend in einem Lagerraum im zweiten Untergeschoss. Denn ich möchte, dass unsere Kinder einmal nur das Nötigste entsorgen müssen. Büne Huber sagt es im Lied über seinen Vater so schön: dass zuletzt alles Materielle, was an einen Menschen erinnert, «in einer Schuhschachtel Platz hat». Der viel wichtigere Teil sind die Erinnerungen, die man im Herzen trägt.
Gibt es etwas, von dem Sie sich trotzdem nicht trennen konnten?
Meine Vinylplatten. Eben habe ich sie wieder neu alphabetisch geordnet, einen ganzen Tag. Sie werde ich bestimmt noch ins Altersheim mitnehmen.
Wie ist das neue Programm entstanden?
Ich reflektiere lang darüber, was um mich herum auf der Welt passiert, und schreibe die Essenz dann in kürzester Zeit herunter. Dazu habe ich zum zweiten Mal in Montpellier eine Wohnung gemietet, die so leer ist, dass nichts mich ablenken kann. Ich kann dort eigentlich nur Tee zubereiten, Kaffee herauslassen, schlafen und schreiben.
Haben Sie schon ausprobiert, was herauskommt, wenn Sie Ihre Gedanken von Chat-GPT in eine Kabarettnummer verwandeln lassen?
Nein, das haben schon genügend andere getan. Ich bin auch nicht kulturpessimistisch und befürchte nicht, dass die künstliche Intelligenz bald das kann, was ein Künstler macht. Es mag grosskotzig klingen, aber mich gibt es zum Glück nur einmal so, wie ich bin. Dafür bin ich dankbar. Und erst recht dafür, dass Menschen bereit sind, Geld zu bezahlen, um mir einen Abend ihres Lebens zu schenken.
Macht Ihnen die künstliche Intelligenz generell mehr Hoffnung als Angst?
Die künstliche Intelligenz kann auf viele Fragen innert Sekunden zuverlässig Antworten liefern, für die man sonst tagelang recherchiert hätte und danach nicht einmal sicher gewesen wäre, ob sie stimmen. Viel mehr Angst als die künstliche Intelligenz machen mir die natürliche Dummheit und die Brutalität. Nehmen wir die Drohnen, die im Gazastreifen per Gesichtserkennung «Terrorverdächtige» identifizieren und töten, wobei ein Streuverlust von 20 weiteren unschuldigen Toten in Kauf genommen wird … Das haben Menschen so programmiert.
Vor 40 Jahren waren Sie mit knapp 20 der jüngste Exekutivpolitiker der Schweiz. Als Sie vier Jahre später nicht zum Gemeindepräsidenten gewählt wurden, haben Sie der Politik den Rücken gekehrt. Rächen Sie sich nun als Kabarettist?
Alfred Dorfer, der mir den «Salzburger Stier» überreichte, erwähnte in der Laudatio, ich sei mal selbst in der Politik gewesen: «Das heisst, er kennt den Feind.» Nicht dass ich Politikerinnen und Politiker generell als Feinde betrachte, aber sie geben viel Stoff. Die wunderbaren Bonmots der Walliserin Viola Amherd und des Berner Oberländers «Röschti Bärti» sind ein Geschenk, ich gebe sie gern in der entsprechenden Sprachfärbung wieder. Und es fiel mir leicht, mir fürs letzte Programm Woche für Woche auszudenken, was in der Bundesratssitzung diskutiert worden war. Da ich nicht annehme, dass es dort weniger menschelt als seinerzeit im Gemeinderat von Wohlen bei Bern, ist meine eigene Erfahrung von Vorteil.
1990 gehörten Sie zur ersten Redaktion von «10 vor 10», verliessen diese aber schnell wieder, weil man von Ihnen verlangte, das Zöpfchen abzuschneiden, das Sie damals trugen.
Tatsächlich habe ich mit Jana Caniga und Walter Eggenberger, dem «Zeigefinger der Nation», das Fernsehhandwerk gelernt, dann aber nur einen Beitrag realisiert, und zwar über den Musiker Hank Shizzoe. Ich merkte rasch, dass Leutschenbach nicht meine Welt war. Ich bewundere Menschen, die mit Bildern sprechen können, bin aber ein Wortmensch. Als Chefredaktor Peter Studer mir klarmachte, ich müsse mich selbst dann von meinem Zöpfchen trennen, wenn ich nicht vor der Kamera aufträte, da ich das Unternehmen SRF repräsentiere, nahm ich den Steilpass an und ging. Den Zopf schnitt ich übrigens kurze Zeit später ab, habe ihn aber bis heute aufbewahrt. Für die Schuhschachtel.
Hat sich Ihr Nonkonformismus in der Kleidung ausgedrückt?
Extrem. Als Jugendlicher trug ich lang ein Béret, eine alte Militärkutte und solches Zeugs. So musste ich schmunzeln, als mein Sohn mit 18 Jahren stadtbekannt wurde, weil er als Einziger aus seiner Generation mit Worker-Kleidern aus den 1930er-Jahren herumzulaufen begann. Das kam mir irgendwie bekannt vor. Heute gehe ich zwar nicht in meinen «Alltagshudle» auf die Bühne, kann aber noch immer keine eleganten Herrenschuhe oder Krawatten tragen. Hier unterscheide ich mich von Roger Köppel, der findet, ein Mann ohne Krawatte könne nicht erwarten, ernst genommen zu werden. Aber nicht nur da …
Auch der «Weltwoche»-Chefredaktor war ursprünglich Musikjournalist. Weshalb sind Sie Ihrer Liebe zur Musik treu geblieben?
Als ich einst auf einem schnurgeraden Highway durch die USA fuhr und Radio hörte, realisierte ich, was all die Songwriter für Geschichten erzählten – aus ihrem Leben und über die Gesellschaft. Die Kunst liegt in der Verdichtung. Dylan hat Lieder geschrieben, deren Texte das Äquivalent eines 600-seitigen Romans sind. Oder Del Amitri. Ihr «Nothing Ever Happens» ist für mich der perfekte Popsong. Er sagt mir heute noch so viel wie 1989, als er ein Hit war.
Was bedeutet es Ihnen, dass Sie zu Sinas letztem Album zwei Texte beisteuern konnten?
Als sie mich 2022 dafür anfragte, freute ich mich natürlich extrem und fühlte mich geehrt. Dass nun aber beide Songs, die damals entstanden, von den Fans unter die 18 Lieder gewählt wurden, die Sina in der Mühle Hunziken für ihr Best-of-Album aufgenommen hat, war der Wahnsinn. Zuvor hätte ich mir Songtexte nicht zugetraut. Kabarett übrigens genauso wenig, hätte mich das Zürcher Kulturfestival Blickfelder damals nicht ermuntert, ein Programm zur Jugendsprache zu machen.
Wie beurteilen Sie heute die Jubelarien und Verrisse, die Sie in den zehn Jahren als Redaktor des Magazins «Facts» schrieben?
Diesen «Daumen rauf, Daumen runter»-Journalismus, den uns der damalige Blattmacher Kurt W. Zimmermann eintrichterte, betrachte ich heute als Irrtum. Man sollte den Leuten nicht den eigenen Geschmack aufzwingen, sondern nuanciert über künstlerische und soziologische Phänomene berichten. Das begriff ich erst gegen Ende meiner Tätigkeit als Musikjournalist. Als das «Magazin» anrief und sagte: «Mach doch mal diese Plüsch fertig!» Es würde mich eine halbe Stunde kosten zu schreiben, welche Idee sie bei Kuno Lauener, welche Zeile von Polo Hofer und welches Gitarrenriff von Bryan Adams geklaut hätten, sagte ich. Aber mich interessiere mehr, weshalb diese Band eine halbe Million Menschen im Land glücklich mache. Sie sollten mir einen Monat Zeit geben.
Und dann?
Zog ich von Mehrzweckhalle zu Mehrzweckhalle, sprach mit Fans und bekam schliesslich grossen Respekt vor Plüsch. Die waren so bodenständig und selbstironisch, haben sogar in der Garderobe Plüsch-Witze erzählt: «Was ist achteinhalb Meter breit und riecht nach ‹Bschütti›? Die erste Reihe in einem Plüsch-Konzert.» Das vergesse ich nie. Auch Göläs originelle Reaktion nicht: Meinen Verriss seines Debütalbums liess er auf T-Shirts drucken und verkaufte viele Hundert Stück davon. Inzwischen ist mir klar, dass sein «Schwan» ein Jahrhundertsong ist. Als meine Tochter und ich in Kentucky ein Schweizer Lied singen sollten, war es der einzige Song, den wir beide konnten.
Samstag, 22. November, 20 Uhr
Salzhaus, Brugg