Störfaktoren im Getriebe der Demokratie?

Indem sie Gian von Planta die Einbürgerung verweigerte, lancierte die Ortsbürgergemeinde Baden den Streit über ihre Daseinsberechtigung neu.
Die Ortsbürgergemeinde Baden ist Besitzerin der Wälder, die über die Hälfte des Gemeindegebiets ausmachen. (Bild: Archiv)

Baden – Viele Schweizerinnen und Schweizer wissen wenig über die Bürgergemeinden, obwohl diese in der Alten Eidgenossenschaft eine wichtige Rolle als Keimzellen der Demokratie spielten. Mit der französischen Besetzung im Jahr 1798 schien ihr Ende gekommen, da im Geist der Revolution ein einheitlicher Staat mit gleichen Rechten für alle entstehen sollte. Doch bereits ab 1803 entwickelten sich die Kantone unterschiedlich: Während in Genf, Waadt und Neuenburg die Einheitsgemeinde eingeführt wurde, existieren in anderen Kantonen bis heute rund 1650 Bürgergemeinden, Burgergemeinden, Korporationen, Zünfte, Patriziati und Bourgeoisies.

Ein zentraler Unterschied zur politischen Gemeinde ist, dass die Bürgergemeinde nicht auf dem Wohnort, sondern auf der persönlichen Zugehörigkeit durch Abstammung oder Einbürgerung basiert. Sie schützt das Eigentum der angestammten Bevölkerung gegenüber Zugezogenen und verfügt weiterhin eigenständig über ihr Vermögen – so besitzt zum Beispiel die Ortsbürgergemeinde ­Baden rund 60 Prozent des Stadtgebiets, insbesondere in Form des Stadtwalds. Diese exklusive Zugehörigkeit sorgt immer wieder für Diskussionen.

Regulierung oder Egalität
Aus anthropologischer Sicht ist die Mitgliedschaft in einer Körperschaft jedoch wichtig, um kollektives Eigentum langfristig und verantwortungsvoll verwalten zu können. Studien zu diesem Thema legen nahe, dass viele Bürgergemeinden eine funktionierende Balance zwischen wirtschaft­lichem Nutzen, staatlicher Subvention und Nachhaltigkeit gefunden haben. Dabei kommt es häufig zu internen Quersubventionierungen, zum Beispiel von der Forstwirtschaft zu sozialen oder kulturellen Aufgaben – eine Praxis, die in der Privatwirtschaft unüblicher ist.

Neben der Waldwirtschaft sind viele Bürgergemeinden im Immobilienbereich aktiv. Sie vergeben Bauland im Baurecht oder vermieten es direkt. Insgesamt stammen 30 Prozent ihrer Einnahmen aus Baurechtszinsen und 27 Prozent aus Mieteinnahmen. Trotz tendenziell sinkender Bedeutung ist ihr wirtschaftlicher und ökologischer Einfluss somit erheblich. Als grosse Landeigentümer sorgen Bürgergemeinden überdies vielerorts für bezahlbare Wohnungen. Dennoch steht ihre demokratische Legitimität infrage, weil Ortsbürgerinnen und Ortsbürger in einer Gemeinde ein grösseres politisches Mitbestimmungsrecht haben als die übrigen Einwohnerinnen und Einwohner.

Badener Paradebeispiel
Neu angestossen hatte diese Diskussion der Badener Grossrat Gian von Planta. Der Maschineningenieur und frühere Badener Einwohnerrat äusserte in der Vergangenheit deutliche Kritik an den Bürgergemeinden und forderte den Badener Stadtrat auf, zur Abschaffung der Ortsbürgergemeinde Baden Stellung zu nehmen. Der Stadtrat, der sowohl für die Ortsbürger- als auch für die Einwohnergemeinde die Exekutive darstellt, wollte von einer Fusion indes nichts wissen und hat die entsprechende Anfrage negativ beantwortet.

Um die Wirkungsweise der Ortsbürgergemeinde Baden besser zu verstehen und allenfalls von innen für deren Fusion mit der Einwohnergemeinde zu werben, bewarb sich Gian von Planta um Aufnahme. Am 17. Juni 2024 lehnten die Badener Ortsbürgerinnen und Ortsbürger dieses Anliegen an der Gemeindeversammlung aber mit deutlicher Mehrheit ab – 79 Nein- gegenüber 32  Ja-Stimmen. Gian von Plantas Ehefrau sowie seine zwei Töchter, die gleichlautende Anträge gestellt hatten, wurden zwar eingebürgert, jedoch ebenfalls mit vielen Gegenstimmen. Die Verweigerung der Aufnahme stellte dabei einen äusserst aussergewöhnlichen Vorgang dar, denn laut Ortsbürger Oscar Demuth wurde seit 1910 niemand mehr abgelehnt. Die Entscheidung sorgt in der Stadt und weit darüber hinaus für anhaltende Diskussionen. Die öffentlichen Reaktionen auf den Entscheid der Ortsbürgergemeindeversammlung reichten von Lob bis zu scharfer Kritik. Auch politische Weggefährten wie der ehemalige Einwohnerratspräsident Sander Mallien äusserten damals Unverständnis und bezeichneten den Vorgang als «zum Fremdschämen». Als ein mögliches Motiv für die Ablehnung wurde genannt, dass Gian von Planta als Grossrat kritische Fragen zur Rolle und ­Organisation der Ortsbürgergemeinde gestellt hatte.

Kantonales Veto
Kurz darauf wurde bekannt, dass der Entscheid der Ortsbürgergemeinde anfechtbar ist. Gian von Planta machte von diesem Recht Gebrauch und reichte beim Regierungsrat des Kantons Aargau Beschwerde ein. An der Winterversammlung der Ortsbürgergemeinde 2024 informierte Stadtammann Markus Schneider darüber, dass dieser die Beschwerde gutgeheissen habe. Damit wurde der Entscheid zur Neubeurteilung zurückgewiesen.

Deshalb hat die Ortsbürgergemeinde an ihrer Versammlung am Montag, 1. Dezember, erneut über das Einbürgerungsgesuch zu befinden. Der Regierungsrat beurteilte die Gründe für die Verweigerung der Einbürgerung als unsachlich und stufte den Entscheid der Ortsbürgergemeinde Baden als unhaltbar und willkürlich ein. Es sei unzulässig, jemandem den Beitritt zum Ortsbürgerrecht zu verweigern, weil er möglicherweise ein gesetzlich vorgesehenes Antragsrecht nutzen könnte. Das käme einer unzulässigen politischen Gesinnungsprüfung gleich. Der Entscheid des Regierungsrats ist in diesem Fall wegweisend, denn die bisherigen Ablehnungsgründe dürfen bei der erneuten Abstimmung nun nicht mehr ­berücksichtigt werden, sofern diesbezüglich keine neuen Umstände vorliegen. Der Ortsbürgergemeinde wird deshalb wohl nichts anderes übrig bleiben, als Gian von Planta aufzunehmen.

Unabhängig vom Ausgang des Badener Ortsbürgerstreits wird sich über Sinn und Unsinn von Ortsbürgergemeinden in der heutigen Zeit weiterhin trefflich streiten lassen. Die Ortsbürgergemeinde Baden zumindest hat im Fall Gian von Planta bewiesen, dass die Kritik an der Institution und der damit verbundenen Pro­blematik über die Ungleichbehandlung von Bürgerinnen und Bürgern nicht gänzlich von der Hand zu weisen ist.