Für grosse Wünsche reicht es nicht

Für Weihnachten spart sie das Geld, das sie eigentlich nicht hat. Wie eine alleinerziehende Mutter mit den Kindern das heilige Fest feiert.
Wiehnacht für alli? (Bild: StockAdobe.com)

Die Frau, die erzählt, ist zierlich, strahlt aber einen zähen Willen aus. Während sie spricht, wechseln sich auf ihrem Gesicht Sorgen- und Lachfalten ab. «Man muss auch vom Guten sprechen», sagt die alleinerziehende Mutter von vier Kindern mehrmals, von denen drei noch bei ihr wohnen. Ihre Situation ist prekär, sie lebt weit unter dem Existenzminimum. Aber sie hält sich am Positiven fest: dass sie in Sicherheit lebt, bei Bedarf ärztlich versorgt wird und es Menschen gibt, die ihr wohlgesinnt sind und sie unterstützen. «Ich weiss, dass es in anderen Teilen der Welt noch viel grössere Armut gibt.» Zum Schutz ihrer Kinder werden weder Alter noch Wohnort genannt. Die Frau erhält das Pseudonym Olivia.

Für grosse Wünsche zu Weihnachten ist kein Geld vorhanden. «Die Kinder kennen die Situation», sagt Olivia. Aber manchmal steckt eine Bekannte der Familie ihnen für ein gutes Zeugnis oder zum Geburtstag einen Batzen zu. Als die heutigen Teenager noch jünger waren, profitierten sie auch von der Radio-Argovia-Aktion «Wiehnacht för alli».

«Die letzten Weihnachten feierten wir mit einem Essen im Restaurant und einem Kinobesuch», berichtet Olivia. Die knappen Mittel hatte sie sich dafür eingeteilt. Ihren Sprösslingen hin und wieder selbst etwas bieten zu können, ist ihr wichtig. Während des Films, es war gerade laut und dunkel auf der Leinwand, erlitt sie eine Panikattacke. Sie verliess den Saal und wartete draussen, bis die Vorstellung zu Ende war. Traumatische Erlebnisse aus der Kindheit hatten sie eingeholt.

Seit einem Jahr ist sie in Therapie, um Stabilität zu finden. Inzwischen arbeitet sie auch fast wieder Vollzeit bei einem Grossverteiler. «Zu Hause zu sitzen, wäre das Schlimmste», sagt Olivia. «Die Arbeit tut mir gut.» Manchmal müsse ihr Vorgesetzter sie fast ein wenig bremsen, weil sie zu viele Aufgaben übernehme und nicht Nein sagen könne, berichtet sie schmunzelnd, dafür sei sie bei den Kolleginnen und Kollegen beliebt.

Zwei Jahre lang ging sie täglich 30 Minuten zu Fuss zur Arbeit und zurück, weil sie sich das Busticket nicht leisten konnte. Zwei Kinder besuchen die Kantonsschule. Lang konnte sie ihnen für den Schulweg kein Jahresabo für den öffentlichen Verkehr kaufen, obwohl das viel günstiger als ein Monatsabo gekommen wäre, weil sie nie einen so hohen Betrag auf der Seite hatte. Inzwischen erhält sie diesbezüglich Unterstützung von der Caritas.

Wenn die Kinder neue Schuhe oder Kleider brauchen, geht sie gestaffelt vor: Es liegt immer nur eine Anschaffung aufs Mal drin. Bei den Lebensmitteln schaut sie zuerst bei den 50-Prozent-Angeboten nach, ihr Mittagessen nimmt sie immer von zu Hause mit. Für die Kinder hat sie Stipendien beantragt, denn die Kosten für Unterrichtsmaterial, Exkursionen und Laptop sprengen ihr Budget. Bei einem Haushaltseinkommen von unter 5000 Franken und fast 2000 Franken Wohnkosten verwundert das nicht. «Ich suche dringend eine günstigere Wohnung, aber es ist fast unmöglich, etwas zu finden», sagt Olivia.

Sozialhilfe will sie keine mehr beziehen. Als sie in eine Depression fiel, musste sie eine Zeit lang ihr Arbeitspensum reduzieren und war auf ergänzende Zahlungen der Gemeinde angewiesen. «Das war ein grosser Stress für mich, der Sozialdienst hat mich ständig kontrolliert und mich sehr streng behandelt», sagt sie. Lieber finanziert sie wieder alles selbst, obwohl es eigentlich nicht reicht. Die anstehenden Prämienerhöhungen machen ihr Sorgen.

Aber auch das Gute berichtet sie: Eine pensionierte Lehrerin unterstützt die ­Familie seit Jahren. «Sie gab meinen Kindern Nachhilfeunterricht, finanzierte ihnen Lager und organisierte Ferienaufenthalte.» Diese Frau habe auch oft Ausflüge mit ihrem Nachwuchs unternommen: «Meine Kinder haben mit ihr schon die ganze Schweiz abgeklappert», sagt Olivia lachend. Und, wieder ernster: Das alles werde sie ihr nie vergessen. Denn die armutsbetroffene Frau weiss: Für ihre Sprösslinge ist es wichtig, etwas erzählen zu können, wenn die Freunde fragen, was sie in den Ferien gemacht haben. Es geht ums Dazugehören. Dieses Jahr konnte sie sich erstmals eine Woche Urlaub in Italien zusammensparen. Davor waren die Familie einmal in Paris gewesen – für zwei Tage.

Für diese Weihnachten hatte eine Tochter eine besondere Idee: eine Pyjamaparty. Beim Billighändler Temu werden die Weihnachtsdekoration und die gleichen Pyjamas für alle bestellt. Ein gemütliches Fest, das mit schmalem Budget möglich ist. Vielleicht reicht es noch für kleine Geschenke. «Das Wichtigste ist, dass wir alle zusammen sind», sagt Olivia.