Eine alltagstaugliche Theologie

Gerhard Schippert, Pfarrer in Birr, Entwicklungshelfer in ­Afrika und Haiti, ist 85-jährig gestorben. Er dachte gross­zügig und handelte konkret.
Pfarrer Schipperts Theologie wurde von den Leuten verstanden. (Bild: zVg)

Windisch | Birr – Die Feststellung seiner Familie, ein reich erfülltes Leben sei zu Ende gegangen, war wahrhaftig nicht aus der Luft gegriffen. Gerhard Willi Schippert betätigte sich in mehreren Bereichen und an unterschiedlichen Orten – aber immer im Dienst der Menschen: in der Seelsorge wie in der praktischen Alltagshilfe. Er war Handwerker, Pfarrer, Lehrer und ­Entwicklungshelfer. Seine «alltagstaugliche Theologie» sei von den Leuten verstanden worden, sagte der Windischer Pfarrer Dominik Fröhlich-­Walker an der Abdankungsfeier. 

Das wegen seiner Herzlichkeit beliebte Ehepaar Gerhard und Cornelia Schippert-Schrade zügelte 2020 von Romanshorn nach Windisch. Der durch Schlaganfälle nach einer ­Herzoperation 2018 geschwächte Gatte trat ins Pflegeheim Lindenpark ein, während die Gattin eine nahe ­gelegene Alterswohnung in der Sanavita-Residenz an der Zürcherstrasse bezog. 

Für andere da sein 
In dem erloschenen Leben mutet manches schicksalshaft an. Gerhard Schippert wurde im Frühjahr 1940, mitten im Krieg, in der Ostschweizer Grenzstadt Kreuzlingen als Sohn eines Messerschmieds geboren. Den Vater verlor er früh – er starb als Feuerwehrmann bei einer Brand- und Explosionskatastrophe. Der Halbwaise lernte zunächst Maschinenmechaniker. Nach der Rekruten- und Unteroffiziersschule besuchte er das theologische Seminar und übernahm nach Stationen in Genf, Österreich und Frankreich mit seiner Gattin eine erste missionarische Aufgabe an der Elfenbeinküste.

Nach drei Jahren kehrte das Paar vorübergehend in die Schweiz zurück, setzte aber die Arbeit in Afrika bald wieder fort, bis Gerhard Schippert 1976 nach Birr berufen wurde. Im Eigenamt war er ein von Jung und Alt geschätzter Pfarrer, ein guter Prediger und zugänglicher Jugendseel­sorger. 1988 zog es ihn wieder in die Ostschweiz, Richtung alte Heimat, nach Hüttwilen, dann nach Rorschach. 

Doch die Ferne lockte erneut. 1998 übersiedelten Gerhard und Cornelia Schippert auf die Karibikinsel Haiti, eines der ärmsten Länder der Welt. Sie bauten an verschiedenen Orten Nähschulen für die Ausbildung haitianischer Frauen auf. Zur Unterstützung weiterer Aktivitäten wie Webateliers, Lernwerkstätte und Kinderrefugien mit Schulbetrieb gründeten sie den bis heute bestehenden gemeinnützigen Verein Lemuel Swiss mit schweizerischen Wurzeln. Pont-Sondé, 100 Kilometer von der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince entfernt, wurde das Hauptquartier der Organisation.

Erdbeben überlebt
Die Schipperts hatten fünf Kinder, die ihre Ausbildung in der Schweiz machten und hier lebten, aber das Wirken ihrer Eltern fern der Heimat mit Interesse begleiteten. Doch am 12. Januar 2010 bangten sie um deren Leben, als die Nachricht von der Jahrhundert-Erdbebenkatastrophe auf Haiti um die Welt ging. Eine E-Mail am Tag ­darauf brachte für die Angehörigen Erleichterung: «Hier in Pont-Sondé sind alle wohlauf.»

Aber Gerhard Schippert hatte Glück. Noch zwei Stunden vor dem Erdbeben war er in der Hauptstadt Port-au-Prince gewesen, die völlig zerstört wurde. Jetzt war die Unterstützung erst recht gefragt. Die internationale Hilfeleistung stiess auf vielerlei Hindernisse. Gerhard Schippert kam mehrmals in die Schweiz, auch nach Birr, um Unterstützung zu erbitten. Er und seine Frau halfen, wo sie nur konnten. Ihnen nützten die vielen persönlichen Beziehungen und das Vertrauen, das sie in der Bevölkerung genossen. 2018 kehrte das Ehepaar aus gesundheitlichen Gründen definitiv in die Schweiz zurück.