Hommage an Friedrich Dürrenmatt 

Das Aargauer Freilichttheater zeigt in Windisch den «Besuch der alten Dame». Das berühmte Stück überzeugt mit authentischer Ambiance.
Imposant: Die Ankunft von Claire Zachanassian und ihrem aktuellen Ehemann in Güllen. (Bild: zvg | Enrico Maurer)

Friedrich Dürrenmatt erblickte am 5. Januar 1921 in Konolfingen das Licht der Welt und verstarb am 14. Dezember 1990 in Neuenburg. Aus Anlass seines 100. Geburtstags bietet die Aargauer Freilichtbühne in achtzehn Aufführungen bei der Dorfturnhalle Windisch seine vor 66 Jahren uraufgeführte Tragikomödie rund um die alte Dame Claire Zachanassian dar. Das weltberühmte Stück des Schweizer Schriftstellers hätte eigentlich letztes Jahr über die Bühne gehen sollen. Wegen der Corona-Pandemie wurden die Aufführungen jedoch verschoben. 

Schauplatz der Handlung ist das verarmte Städtchen Güllen, das sich wie dessen Umfeld im Besitz der durch Heirat mit einem Ölmagnaten zu Macht und Geld gelangten Klara – aufgewachsen als Klärly Wäscher – befindet. 45 Jahre nach ihrem Weggang kehrt sie an den Ort ihrer Jugend zurück und will sich an Alfred Ill rächen, der seine damals 17-jährige schwangere Freundin schmählich hatte sitzen lassen. 

Geld regiert die Welt
Die inzwischen zum achten Mal verheiratete und gesellschaftlich hochangesehene, aber hart auftretende «Diva» fordert die Mitbürger von Güllen auf, ihren ehemaligen Liebhaber zu töten, und bietet als Gegenleistung eine Milliarde Franken Belohnung, je zur Hälfte bestimmt für die Gemeinde und für die Bedürfnisse der Einwohner. Die beiden bestochenen Zeugen Koby und Loby, die damals im Rahmen des Prozesses ausgesagt hatten, Ill könne nicht der Vater des Kindes sein, sind auf Geheiss der mächtigen Dame bereits früher mit Blendung und Entmannung bestraft worden. 

Die Güllener hofieren Zachanassian in der Hoffnung auf finanzielle Unterstützung untertänigst, lehnen zwar ihr Angebot anfänglich vehement ab,  beginnen jedoch über ihre Verhältnisse zu leben. Sie nehmen Kredite auf, lassen Einkäufe sowie Konsumationen anschreiben und verfügen plötzlich durchwegs über modische gelbe Schuhe. Sogar Ills eigene Familie kann nicht widerstehen, tritt doch seine Gattin in einem Pelzmantel auf, der Sohn erwirbt ein Auto, und die Tochter nimmt Tennisunterricht. Der Pfarrer hat eine neue Glocke für die Kirche gekauft, und der Bürgermeister forciert den Bau eines zeitgemässen Stadthauses. 

Verdächtig ist auch, dass Ill scheinheilig zum beliebtesten Bürger der Stadt und zum Bürgermeister-Anwärter erklärt wird. Kurz darauf wird diesem ein Gewehr überlassen, sozusagen als indirekte Aufforderung, dieser Welt freiwillig Adieu zu sagen. Von panischer Angst getrieben, möchte er nach Australien auswandern, aber die Güllener umringen ihn auf dem Bahnperron und hindern ihn so an der Abreise. «Es geht uns nicht um Geld, sondern nur um Gerechtigkeit», lautet nun die Devise der Bürgerschaft. Sein nicht unwillkommenes Ende wird als Herzinfarkt deklariert und in der Presse unverfänglich dargestellt als Tod aus Freude über die angeblich dank Ill vermittelte Milliardenstiftung von Wohltäterin Claire Zachanassian. Sie reist nach Capri ab, wo der Verstorbene, der nun wieder allein ihr gehört, in einem Mausoleum beigesetzt werden soll.

Wird das Risiko belohnt?
Die reine Spieldauer des unter der nach 35 Jahren und 72 Theaterproduktionen zu Ende gehenden Leitung von Rico Spring sowie der Regie und Freilicht-Mundartbearbeitung von Peter E. Wüthrich aufgeführten Stücks beträgt beinahe zwei Stunden. Mit der zweifellos bewusst den ursprünglichen Intentionen Dürrenmatts entsprechenden Wiedergabe mit Verzicht auf moderne Infrastruktur der Bühne und entsprechende Kostüme ergibt sich eine authentische Ambiance. Das Publikum spendete den Laienschauspielern rund um die Hauptdarsteller Tina Kym (Claire Zachanassian) und Peter Rathgeb (Alfred Ill) anlässlich  der Premiere vom 28. Juli den verdienten Applaus für die teils ernste und teils erheiternde Meisterung ihrer unterschiedlich anspruchsvollen Rollen. In den Dank eingeschlossen waren auch die Teams hinter den Kulissen und im Verpflegungsbereich.

Rico Spring sprach zum Ausklang der Premiere die Hoffnung aus, dass sich auf der gegen 400 Sitzplätze bietenden gedeckten Tribüne bis zur Derniere am 27. August noch zahlreiche Besucherinnen und Besucher einfinden werden. Geht die aktuelle Präsentation auch finanziell gut über die Bühne, ist die Chance gross, dass die Tradition der Aargauer Freilichtaufführungen nach den bisherigen vierzehn Produktionen aufrechterhalten werden kann.

Bis 27. August
Hinter der Turnhalle Dorf, Windisch
aargauisches-freilicht.ch