Poetisches Plädoyer für die Friedfertigkeit

Thomas Gröbly lässt seine Leserinnen und Leser auch in seinem neuen Gedichtband intensiv teilhaben – am Leben wie am Sterben.
Präsentieren das Buch gemeinsam: Tony Renold und Thomas Gröbly. (Bild: zvg)

«Mein Sterben passt mir überhaupt nicht»: Dieser kraftvolle Satz steht im Zentrum von Thomas Gröblys neuem Gedichtband «Einen Augenblick staunen», der er am kommenden Donnerstag im Badener Thik präsentiert wird. Die Vernissage wird in Form einer Trommellesung mit Tony Renold stattfinden – und damit das Pulsieren des Lebens aufnehmen, das die Gedichte und Erläuterungen des Autors wie der Herzschlag durchpocht. Die Unausweichlichkeit des Todes bildet den Hintergrund von Thomas Gröblys Schreiben, das zwischen Wut, Empörung, Gelassenheit und Neugierde mäandriert.

Eindringliche Nähe
Seit Gröbly 2016 mit der Diagnose Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) konfrontiert wurde, hat er die Öffentlichkeit an seinem Schicksal teilhaben lassen – so, wie er es vorher schon tat, als der Landwirt und Theologe noch als Dozent für Ethik tätig war. Seine Ehrlichkeit im Umgang mit den grenzschürfenden Themen des Lebens macht es einfach, mit seinen Worten in Resonanz zu kommen. Denn das Sterben wie das Leben geht uns alle an – oder nicht?

ALS ist eine degenerative Erkrankung des zentralen und peripheren Nervensystems, wobei sich die Muskel­substanz an Armen und Beinen, am Sprech-, Kau- und Schluckapparat kontinuierlich zurückbildet. Dieser langsame Abbau im Körper nimmt Thomas Gröbly mit hinein in einen Prozess, der sich auch aufs Denken und Sinnieren, aufs Sprechen und Formulieren auswirkt. Das Anschreien gegen die Zustände auf der Welt, das sich Aufbäumen und energievolle Dagegenhalten: Es funktioniert nicht mehr. Und so sucht sich der erfahrene und belesene Autor einen anderen Weg, mit den Widersprüchen der Menschheit klarzukommen. Seine Mahnungen, den Entwicklungen auf der Welt nicht fassungslos zuzusehen, sondern sich einzusetzen für Werte, die für und nicht wider das Leben sind, haben nichts an Dringlichkeit eingebüsst. Seine Sprache aber ist eine andere geworden. Nahe an der literarischen Form des «Stream of consciousness» lädt der Autor die Lesenden ein, sich mit ihm – im Sinne von Weg­gefährten – in die Tiefe hinunterzuwagen. Dort, an der Grenze, wo die Sprache immer langsamer, verdichteter und zugleich einfacher wird, kommt eine eindringliche Nähe zustande. Thomas Gröbly gelingt mitunter das Schwierigste, als wäre es ein Leichtes: Die Beziehung zum Leser, zur Leserin kontinuierlich zu halten. Es entsteht ein gemeinsames sich auf die Grenze Zubewegen, ein mutiger und zugleich zaghafter Gang aufs Ende zu – das die Kraft der Öffnung in sich trägt.

Mut zur Hingabe
Und auch wenn sich zuweilen der moralische Zeigefinger sein Terrain ansatzweise zurückerobert: Gröbly begegnet ihm mit Sanftmut – und lenkt ihn dorthin, wo wirkliche Veränderung entstehen kann: in die Fried­fertigkeit der Stille. In diesem Raum klingen Sätze wie «Es ist zum Verzweifeln» auf einmal kräftiger und wirksamer. Der Mut, zwischen Empörung und Aufgeben hin- und herzuschwanken und sich am Ende bewusst für die Hingabe zu entscheiden, ist dem Autor hoch anzurechenen. Die Intensität, mit der er die Lesenden teilhaben lässt an Alltäglichkeiten und kunstvoller Poesie, schafft Beziehung: Hier schreibt einer aus der tiefen Erfahrung heraus, dass wir im Angesicht des Todes alle gleich sind.

«Beim Sterben und beim Tod versagt die Sprache. Ich bin mit dem Nichts konfrontiert.» Diese Zeilen machen deutlich, dass Thomas Gröbly einen langen und existenziellen Prozess durchlebt hat und ihm nicht ausgewichen ist. Zuweilen schimmert Camus› Sisyphos durch seine Zeilen hindurch. Und damit die Kraft der Hoffnung, dass gerade das Schicksalshafte dem Leben eine Ausrichtung gibt. «Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen», heisst es im bekannten Essay von Albert Camus. Und auch aus Gröb­lys Buch strahlt diese Kraft der funkelnden Zuversicht. Sie ist alles andere als plump und auch nicht schnell zu haben – sondern eher im Sinn einer «unvoreiligen Versöhnung» zu verstehen, wie der Schweizer Philosoph Ludwig Hohl es treffend formuliert hat.

Neugierde als Lebenselixier
Symbolisch für diese zugewandte Kraft in Gröblys Buch steht das Gedicht «Schatten»: «Einen Apfelbaum setz ich heute / und werde nie in seinem Schatten in einen Apfel beissen.» Dass der Samen Potenzial hat, zum Baum zu werden, legt Thomas Gröbly auch in seiner Widmung und seinem Nachwort dar. Es ist an seinen Enkel Norin gerichtet, der den Autor mit seiner Neugierde, die Welt zu entdecken, immer wieder ansteckt. In diesem Modus des Staunens schliesst das Buch – mit Gedanken zum Sterben und zur Freitodhilfe, die Ethiker Gröbly für sich aktuell nicht in Betracht zieht: «Sterben bleibt ein Geheimnis und ein Abenteuer, bei dem ich dabei sein möchte.»

Doch auch wenn das Buch einen grossen Bogen schlägt und beim Lesen das eigene Ausklingen anklingt: Noch ist Zeit zu leben – und mit einem Trommelfeuer Vernissage zu feiern. «Poesie braucht Dreck. Keine Keimfreiheit.»

Buchvernissage
Donnerstag, 29. September, 20.15 Uhr
Theater im Kornhaus, Baden

thik.ch