Ist die Dorfpolitik aus den Fugen?

Vier Rücktritte aus dem Gemeinderat seit den Wahlen im Herbst 2021: Das wirft viele Fragen auf. Eine Spurensuche in der Surbtaler Gemeinde.
Das Dorfzentrum – aktueller Zankapfel der Lengnauer Politik. (Bild: is)

«Was ist faul im Staate Dänemark?», fragt sich William Shakespeares «Hamlet» – und macht zudem die Bemerkung: «Die Zeit ist aus den Fugen …» Auch in Lengnau scheint politisch einiges aus den Fugen. Seit letztem Herbst sind vier in den fünfköpfigen Gemeinderat gewählte Personen aus ihrem Amt zurückgetreten. Bei den meisten Rücktritten (auch in früheren Legislaturen) schwiegen sich die Demissionärinnen und Demissionäre über ihre Beweggründe weitgehend aus. Genannt wurde jeweils lediglich einer der im Gemeindegesetz aufgeführten Faktoren wie Beruf, Gesundheit, Alter, welche der Regierungsrat als Rücktrittsgründe akzeptiert.

Kritik an der «Mitte»
Aber was war mit Andrea Huser (Die Mitte), welche ihre Wiederwahl angestrebt und im Herbst das beste Resultat erzielt hatte? Direkt am Wahlabend erklärte sie ihren Rücktritt respektive ihren Verzicht – ohne Erklärung. Die Gerüchteküche brodelte. Niemand aber wollte etwas dementieren, noch bestätigen. Dann in diesem Frühling der Rücktritt von Patrick Müller (SVP) – erst seit dem 1. Januar im Amt. Seine Begründung: die berufliche Belastung. Das ist ein achtenswerter Grund.

Aktuell wird in Lengnau «Die Mitte» stark kritisiert, weil sie nicht in der Lage scheint, eine Kandidatin oder einen Kandidaten zu stellen. Der ehemalige Gemeindeammann Kurt Schmid sagt dazu, dass es im Vorstand seiner Partei hervorragende Leute gibt. Aber deren berufliche Belastung … Ein Argument, das in der aktuellen Wirtschaftslage nicht von der Hand zu weisen ist.

Zu den aktuellen Rücktritten von Vizeammann Marcel Elsässer (SP) und Gemeinderätin Hanni Jetzer (FDP) gibt es Stellungnahmen, aber auch eine Vorgeschichte. Immer wieder haben der Dorfplatz und seine Gestaltung – die Nutzung als Parkplatz – für Unstimmigkeiten gesorgt. So bereits im Jahr 2017. Der Krach über einen 220 000-Franken-Kredit für eine Testplanung war bereits an der Gmeind entbrannt. Zu teuer und mit zu grosser Kelle angerührt sei das Projekt für ein Dorf wie Lengnau, so die Gegner.

Statt des umfassenden Testplanverfahrens mit einem Perimeter von Rietwise bis Bleiwiese votierte ein Komitee für einen Wettbewerb mit kleinen, kostengünstigeren Teilprojekten. Dennoch: Es kam zu einem Ja, aber auch zum anschliessenden Referendum, das mit 640 gegen 340 Stimmen angenommen wurde. Die damals zuständige Gemeinderätin (und Frau ­Vizeammann) Martina Frei sagte: «Wir müssen das Resultat akzeptieren, auch wenn es für uns eine grosse Enttäuschung darstellt.»

Erfolgreiche Referenden
Fünf Jahre später: Die Gemeinde­versammlung beschliesst ein Parkierungsreglement mit Parkuhren auf dem Dorfplatz. Dagegen opponiert ein Referendumskomitee – dem es am 26. September gelingt, dieses mit 685 zu 421 Stimmen zu kippen: Stimm­beteiligung 57,1 Prozent. Wären immer mehr als 50 Prozent der Stimmberechtigen an wichtigen Gemeindeversammlungen vertreten, gäbe es keine Referenden. Die Demissionen werden damit begründet, dass in Lengnau immer wieder politische Entscheide hinterfragt und mit Falschaussagen und Scheinargumenten Referenden organisiert würden.

In einem an die Medien gerichteten Schreiben stellt Elsässer seine Sicht dar: «Seit Längerem werden durch den Alt-CVP-Gemeindeammann, gewisse Vorstandsmitglieder der ‹Mitte› und Einzelpersonen im Hintergrund alle Projekte des Gemeinderats bekämpft und schlechte Stimmung gemacht.» Es werde keine Gelegenheit ungenutzt gelassen, den Gemeinderat zu kritisieren, teilweise auch mit hinterhältigen Argumenten. Mit dem ehemaligen CVP-Gemeindeammann ist Kurt Schmid gemeint. «Das Blockieren und Hinauszögern der Gemeindeprojekte hat bei manchen Personen einzig das Ziel, das Zentrum Doppeltür zu verhindern. Die teilweise gemachten Aussagen zur ‹Doppeltür› sind antisemitisch und nicht tolerierbar», so Elsässer. Starker Tobak.

Der frühere Endinger Gemeindeammann Lukas Keller ist Präsident des Vereins Doppeltür. Er hat solche Vorwürfe schon gehört, selber aber das Gegenteil erlebt: «Die Bevölkerung von Lengnau steht grossmehrheitlich hinter dem Projekt, das mit alt Gemeindeammann Franz Bertschi einen engagierten Befürworter hat.» Bertschi, bis Dezember 2021 im Amt, ist Mitglied im Vereinsvorstand. Zu den unterschwelligen Vorwürfen an alt Ammann Kurt Schmid sagt er: «Er war massgeblich am Aufbau des jüdischen Kulturwegs beteiligt».

Burgherr: Kein drittes Mal
Wie geht es nun weiter? Ex-Grossrat David Burgherr (SP) bleibt dabei – er tritt nicht ein drittes Mal zu Gemeinderatswahlen an. Im Juni unterlag er bei einer Ersatzwahl dem SVP-Vertreter Werner Jetzer. Im Februar wurde er, im zweiten Durchgang einer anderen Ersatzwahl, vom Parteilosen Patric Suter mit zwei Stimmen Unterschied geschlagen. Zum Thema Antisemitismus sagt er, dass es im Zusammenhang mit dem Dorfzentrum zur Kritik gekommen sei, man wolle hier keine Parkplätze für die «Doppeltür». In einem Leserbrief im Vorfeld der Abstimmung schlug Burgherr ähnliche Töne an wie Elsässer: «Wie der Flyer vom selbst ernannten ‹Senioren-Club› deutlich macht, soll jegliche Entwicklung im Keim erstickt und auf die lange Bank geschoben werden. Es geht nicht um ein paar Parkuhren. Es geht darum, ob Lengnau überhaupt noch handlungsfähig ist.»

Was sagt Kurt Schmid? Als Demokrat habe er Mühe mit diesen Aussagen. «Das Referendum ist ein legitimes Recht, und Senioren sind Bürger wie andere auch.» Ihn stört der Zeitpunkt der Rücktritte – direkt nach einer verlorenen Abstimmung. Diese gehören aus seiner Sicht zur Politik und seien auch eine Chance. Was er bei den aktuellen politischen Prozessen in Lengnau vermisst, sei das rechtzeitige «Abholen» der Bevölkerung.