In der Rubrik «Ratgeber Gehirn» der Januar-Ausgabe der «Zeitlupe – Zeitschrift für Menschen mit Lebenserfahrung» hält Neuropsychologin Barbara Studer Fürsprache fürs tägliche Singen: «Dabei werden praktisch alle Bereiche des Gehirns gleichzeitig beansprucht … Auf das Gemüt wirkt Musik, und das Singen im Speziellen, sehr erhellend … Für den Körper sind Singen und Musizieren so anstrengend wie Dehnübungen oder leichter Sport …»
Blaue Ordner, blaue Nacht am Hafen
Ein Dienstagabend in der Pizzeria Markthof in Nussbaumen. Um den grossen Tisch im Stübli sitzen dreizehn Frauen: Lalita, Pia, Dora, Heidy, Doris, Lydia, Pia, Mary, Mechthild, Isabella, Anni, Hildegard und Heidi. Alle adrett in der Erscheinung, die einen noch beim Pizzaessen, die anderen bereits beim angeregten Plaudern. Als etwas später alle nochmals mit einem Mineral, Kafi, Schweppes Tonic oder Herrgöttli bedient sind, holt Dora zwei prall gefüllte blaue Ordner aus der Tasche, blättert durch die Sammlung – «ich sollte sie endlich einmal alphabetisch einordnen» – verteilt das ausgewählte Stück in die Runde. Derweil stimmen in einer Ecke Heidy und Mechthild ihre Gitarren. Dann geht es los. «Alls was bruuchsch», «Sternli», «Beyond the reef», «Monsieur jeune homme», «Bionda bella Bionda», «Dr Schacher Seppli», «Sierra Madre» oder der Lale Andersen-Schlager «Blaue Nacht am Hafen». Lydia: «So klang es, als wir noch jung waren. Eine schöne Erinnerung.»
Die Regelmässigkeit machts aus
Die Runde witzelt zwar, dass sie bisweilen dreizehnstimmig töne, doch bügelt die spürbare Freude am gemeinsam erschaffenen Klangkörper jede nicht perfekt getroffene Note aus. Bis Ende 2004 bildete die Runde die Nussbaumer Frauenturngruppe. Nach 32 Jahren im Einsatz gab Dora Graf zwar die sportliche Leitungsfunktion ab, schlug aber vor, sich nicht aus den Augen zu verlieren: «Am 7. Februar 2005 trafen sich erstmal achtzehn ehemalige Turnerinnen zum Pizzaessen mit anschliessendem Singen.» Anfänglich einmal im Monat montags, mittlerweile an einem Dienstagabend. «Wir kennen keine Ferien, dieser monatliche Treff ist stets fix eingeplant.» Natürlich machte die Pandemie den Frauen einen Strich durch die Rechnung. Doch sobald es möglich war, legten die singenden Turnerinnen wieder los. Auch wenn sie über die Jahre hinweg Abschied nehmen mussten von Kolleginnen, blieb der harte Kern stabil. Mit Lalita ist an diesem Abend eine ehemalige Turnkollegin dabei, die durch ihren Wegzug aus Nussbaumen erst neulich auf dieses Beisammen aufmerksam wurde.
Keine Übungsstunde
Die Frauen sind zwischen gut 70 und 94 Jahren jung. Während Dora Graf die Gruppe durch den Abend führt, ist Heidy Hitz die musikalische Leitung. Die von ihr zusammengetragene Liedersammlung ist mittlerweile zwar riesig, doch hört sie im Radio ein Stück, das ihrer Meinung nach zur Frauenrunde passen würde, recherchiert sie nach wie vor zu Text und Noten. «Danach feile ich zu Hause so lange an den Gitarrengriffen, bis sie sitzen. Denn ich gehe nicht in die Singrunde, um zu üben», so die 91-Jährige. Heidy und Mechthild musizieren darüber hinaus in einem Gitarren-Trio mit einer Vorliebe für Country-Musik, was wiederum auf den Singkreis abfärbt. Mary, die mit ihrem Partner regelmässig tanzt – bevorzugt Jive und Rock ’n’ Roll – gibt offen zu, dass sie sich manchmal einen «Schupf» geben muss, um vom Sofa hinein ins Singvergnügen zu kommen. Andere Kolleginnen nicken zustimmend.
Doch kaum trifft sich frau im «Markthof»-Stübli, überwiegt das Positive: «Wer regelmässig ausgeht, bleibt dabei», «Ein wichtiger Schritt gegen die Vereinsamung», «Ein toller Austausch, auch wenn der Körper sonst nicht mehr alles mitmacht», «Weil wir es so fröhlich haben und es einfach guttut.»