Von ihrem Atelier aus blickt Antonina Businger direkt auf den Bahnhof Manegg, wo unentwegt S-Bahnen einfahren und weiterziehen. Im ehemaligen Industriequartier am südlichen Rand von Zürich ist in den letzten Jahren ein neues Viertel entstanden. 2018 zog die 32-Jährige mit ihrem gemeinnützigen und unabhängigen Project Space in den Neubau direkt vor dem Perron ein. «Ich war die erste Mieterin in diesem Gebäude», sagt die Künstlerin, während im Hintergrund eine LP eine Ballade von Chansonnier Charles Aznavour abspielt. Sie male immer zu Musik, sagt Businger. Das Atelier ist ihre Kreativoase. Stundenlang kann die Künstlerin hier in ihre Welt der Farben und Formen eintauchen: ««Ich könnte locker einen Monat lang einfach malen und mich abschotten, um mich ohne jegliche Einflüsse ganz auf die Arbeit zu konzentrieren. Manchmal übernachte ich spontan hier.»
Die DNA der Badenfahrt
An den mobilen Stellwänden hängen Zeichnungen, Skizzen und Bilder in Ultramarinblau und Hellgrün – den Farben der Badenfahrt. Auch auf dem Betonboden zeugen Farbspritzer von den kreativen Prozessen, in deren Lauf die Bildwelt des Volksfests entstanden ist. Eine Karte zeigt den Festperimeter mit vielen bunten Pixeln. Die Basis von allem ist das Festmotto, das «Toni» eines Morgens beim Aufwachen als Eingebung zuflog: Neo-!
Eigentlich gehörte das nicht zu ihren primären Aufgaben als Festgestalterin – der jüngsten in der Geschichte der Badenfahrt. «Ich hätte einen Wettbewerb durchführen können, doch ich wollte es mir nicht nehmen lassen, weil das meine Kernkompetenz ist und ich mich dort zu Hause fühle», sagt die Künstlerin. Immer klarer wird, wie Antonina Businger die Badenfahrt in jedem Pixel prägt, wie sie die DNA des Fests verkörpert. Motto, Logo, Plakate, der Bau-100 auf dem Theaterplatz – «das alles verkörpert mich», sagt Businger mit Demut. Seit drei Jahren ist sie Teil des achtköpfigen Organisationskomitees (OK). Seit anderthalb Jahren nimmt sie keine Aufträge mehr als freischaffende Künstlerin an. Anfang 2022 ist sie von Wettingen zu ihrem Freund Benjamin Haller, Geschäftsführer der UTA Immobilien, nach Baden gezogen. Nun ist sie am Puls der Badenfahrt.
Zu dieser hat Antonina Businger seit jeher eine enge Beziehung. Aufgewachsen ist sie in Wettingen, im alten Dorf. Sie habe eine sehr behütete und privilegierte Kindheit gehabt: die Mutter Schneiderin im Opernhaus in Zürich, der 14 Jahre ältere Vater ein gefragter Bühnenbildner mit Engagements in der ganzen Welt. «Ich durfte ihn oft auf seinen Reisen begleiten. Die Ferien verbrachten wir in unserem Ferienhaus in Frankreich. Dort besuchte ich sogar ein Jahr den Kindergarten und sechs Monate die 3. Klasse», erzählt Businger.
Mit 17 daheim ausgezogen
Das weltoffene Elternhaus hat die Tochter, ein Einzelkind, geprägt. Beim Restaurantbesuch mit Freunden ihrer Eltern sei sie oft das einzige Kind gewesen und habe stundenlang die Papiertischdecken mit Mustern verziert, während die Erwachsenen geredet hätten. «Mein Vater fragte dann das Personal, ob er die Zeichnungen nach Hause nehmen dürfe.» Nach der Schule zieht es Antonina Businger in die Welt hinaus. Mit 15 geht sie ein Jahr ins Ausland – nach Italien, Griechenland und in die USA. Zurück in der Schweiz, zieht sie von zu Hause aus und wendet sich der Kunst zu. Dem Vorkurs an der Schule für Gestaltung in Aarau folgt ein Studium an der Zürcher Hochschule der Künste, Fachrichtung mediale Kunst. «Selbst finanziert!», wie Businger betont. Fast drei Jahre lang arbeitet sie
80 Prozent im Badener Lade Foif und absolviert gleichzeitig ein Vollzeitstudium. An der Badenfahrt 2017 steht sie zehn Tage lang an der Bar im «Blinddarm».
Unterstützung des Umfelds
Mit dem Bachelor in Fine Arts (Art and Media) in der Tasche wagt sie 2018 den Schritt in die Selbstständigkeit und gründet die AT Studio GmbH (atstudio.ch). Diesen Schritt habe sie nie bereut, selbst wenn es nicht immer einfach sei, so Businger: «Mein Umfeld hat mich stets sehr unterstützt, und ich könnte nicht glücklicher sein, weil ich machen darf, was mir am meisten bedeutet.» Im Februar 2019 stirbt ihr Vater 84-jährig. Als ein Jahr später im Lockdown ein Anruf von Dominik Sinniger kommt, denkt sich Antonina Businger nichts dabei. «Wir trafen uns mit Oliver Eglin. Als mich die beiden fragten, ob ich die Festgestaltung der Badenfahrt übernehmen wolle, fiel ich aus allen Wolken», erinnert sie sich heute. «Welch eine Ehre!» Für OK-Präsident Eglin ist sie «ein absoluter Glücksfall».
Inzwischen ist das OK wie eine zweite Familie, die sich regelmässig in der «Badenfahrt-WG» trifft. «Die Badenfahrt hat mir so vieles ermöglicht. Ich durfte frei und kreativ sein, Freundschaften sind entstanden», schwärmt Businger. Nun freut sie sich, dass es am 18. August losgeht. «Wenn man als Künstlerin eine Ausstellung macht, ist der Prozess im Moment der Vernissage eigentlich bereits vorbei. Bei der Badenfahrt ist das anders», ist ihr bewusst: «Wir werden zehn Tage lang Momente kreieren, die alle Besucherinnen und Besucher für immer in sich tragen.» Und danach? «Freue ich mich sehr, mich wieder dem freien Schaffen in meinem Atelier in Zürich widmen zu können. Die Lust am Malen hört nie auf. Es wartet noch vieles auf mich.»