«Sie bezeichneten ihn als Messias»

Röbi Koller spricht in seinem «Dylan Talk» im Schallplatteneldorado Rille mit Ex-DRS-3-Journalist Martin Schäfer über die Musiklegende.
«Der ‹Dylan Talk› ist mein erstes Pensionierungsprojekt – ich verdiene nichts daran»: Röbi Koller beim Interview im Restaurant Baldegg in Baden. (Bild: rhö)

Röbi Koller, Sie haben Tausende Interviews mit mehr oder weniger prominenten Persönlichkeiten geführt. Wie nervös wären Sie jetzt, wenn Sie morgen Bob Dylan interviewen könnten?
Ein Interview mit einem Popstar ist immer eine schwierige Sache, denn er hat seine Agenda und ich habe meine. Aber bei Dylan weiss man, dass er sehr unberechenbar ist. Es ist jedoch kaum denkbar, dass ich je ein Interview mit ihm bekommen werde. Selbst Personen, die sich bereits viel länger mit ihm befasst haben und in seiner Gunst stehen, wird diese Ehre nur sehr selten zuteil. Im Fall eines Falles wäre ich deshalb extrem nervös.

Würden Sie seine Songs noch hören wollen, wenn er total unsympathisch wirken würde?
Schon möglich. Bei meinem Talk «Züri Littéraire» habe ich tatsächlich Schriftsteller kennengelernt, deren Bücher ich danach deutlich lieber oder weniger gern gelesen habe. Aber bei Bob Dylan weiss ja jeder, dass er sehr unhöflich sein kann. Manchmal muss man die Kunst getrennt vom Künstler betrachten.

Welche Frage würden Sie Bob Dylan gern stellen?
Ich wäre lieber einmal bei einer Aufnahmesession dabei als mit ihm ein Interview zu machen. Er soll im Umgang mit seinen Musikern sehr ­unberechenbar sein, sie oft gar nicht instruieren, was er von ihnen will. Sie müssen sich laufend dem anpassen, was er spielt. Manchmal verwendet er eine erste Aufnahme, obwohl diese alles andere als perfekt ist. Diese Atmosphäre mitzuerleben, wäre sicher sehr spannend.

Wie hat Ihre «Affäre» mit Bob Dylan begonnen? War es Liebe auf den ersten Blick?
Es gab verschiedene Anfänge. Zum ersten Mal bin ich seiner Musik im Alter von 13 Jahren begegnet, als «Self Portrait» herauskam. Das Album wurde zwar von der Kritik zerrissen und gilt bis heute nicht als Meisterwerk, aber mir gefiel es sehr. Später verkehrte ich oft in einem Pub, wo sein Song «Hurricane» lief, der mich jedoch noch nicht vom Hocker gehauen hat. 1979 kaufte ich das Album «Slow Train Coming», auf dem Mark Knopfler die Leadgitarre spielte. Die Musik hat mir unglaublich gefallen. Als immer mehr Dylan-Fans zu meinem Freundeskreis zählten, konnte ich mich seiner Faszination nicht mehr entziehen.

Ist sie mehr emotionaler oder intellektueller Natur?
Sie ist sehr emotionell, aber ich würde die intellektuelle Faszination sicher nicht aussen vor lassen, da seine Texte sprachlich unglaublich raffiniert sind. Manchmal versteht man gar nicht genau, was er meint. Selbst ein Journalist englischer Muttersprache hat einmal geschwärmt: «Sometimes it’s just for the beauty of the words» – manchmal geht es nur um die Schönheit der Worte. Ich finde, wir sollten diesbezüglich die gleiche Offenheit aufbringen wie in der bildenden Kunst, wo es alltäglich ist, dass man sich von abstrakten Bildern begeistern lässt.

Sie haben erwähnt, dass Dylan nicht nur für seine Songs bekannt ist, sondern ebenso für seine komplexe Persönlichkeit. Wie erklären Sie sich sein mürrisches Wesen?
Ich denke, er ist grundsätzlich eher scheu, weshalb es ihm nicht gefallen hat, dass es immer Gruppen gab, die ihn als ihren Messias bezeichneten und für sich beanspruchen wollten. Er war vor ihnen ständig auf der Flucht, hat oft seinen Stil gewechselt, um seine Fans und Verfolger abzuschütteln, und damit viele Leute wütend gemacht. Er hat einmal gesagt, Bands wie die Rolling Stones hätten es gut, da der Druck nicht nur auf den Schultern einer Person laste.

Dylan-Konzerte sind Wundertüten. Welche Extreme haben Sie schon erlebt?
Man sagt, Dylan-Fans müssten toleranter sein als alle anderen, da sie nie das bekämen, was sie erwarteten. Mein tollstes Erlebnis war sicher der Abend im New Yorker Madison Square Garden zu seinem 30-Jahr-Platten­jubiläum, über den ich für DRS 3 berichtete. Er selbst war zwar nicht in Bestform, aber man spürte, welche Kraft seine Songs haben, wenn diese von den vielen hochkarätigen Gästen interpretiert wurden.

Während Dylan als Lyriker Literaturnobelpreis-Weihen erhalten hat, gehen die Meinungen bezüglich seines Gesangs auseinander. Wie schätzen Sie ihn ein?
Er hatte unterschiedliche Phasen. Er begann als «Folkie» und hat zwischenzeitlich mal schön und fliessend, mal kraftvoll gesungen. Danach ging es mehr in Richtung Krächzen. Durch die «American Songbook» und Sinatra-Alben hat sich seine Stimme wieder verbessert, da er sich mehr Mühe geben wusste, weil er diese Songs nicht so leicht auseinandernehmen konnte wie seine eigenen. Vor allem ist er ein unglaublich guter Phrasierer. Wie er seine Texte rhythmisiert, ist unvergleichlich.

Wie ist die Idee für einen «Dylan Talk» entstanden?
Als ich mich 2021 bei der Vorbereitung auf zwei Interviews zum 80. Geburtstag vertieft mit ihm beschäftigte, entdeckte ich den Podcast «Is it rolling Bob? Talking Dylan», in dem zwei Schauspieler jeweils mit einem Gast über ihr Idol sprechen. Davon liess ich mich inspirieren. Bei mir ist die dritte Person der Gitarrist Lukas Langenegger, der jeweils passende Dylan-Songs interpretiert. Ausserdem findet es vor einem Livepublikum statt, kann aber auf Spotify nachgehört werden.

Sie sind vor einem halben Jahr 65 geworden. Ist der «Dylan Talk» für Sie nun ein schöner Zeit­vertrieb, der sich finanziell nicht lohnen muss?
Ganz genau, ich nenne ihn mein erstes Pensionierungsprojekt. Ich verdiene selbst nichts daran. Es gibt eine Kollekte, die ich hälftig dem Gast und dem Musiker überlasse.

Treten Sie nun bei der Samstagabendshow «Happy Day», in der Sie Wünsche erfüllen, kürzer?
Nein, da mache ich weiterhin fünf Shows pro Jahr. Hingegen wurde ich als einer von vier Moderierenden bei «Musik für einen Gast» ersetzt, da es bei Radio SRF 2 eine klare Altersguillotine gibt.

Wie kommt es, dass Ihr «Dylan Talk» diesmal nicht in Zürich, sondern in Würenlingen stattfindet?
Als ich für die ersten Talks bestimmte Cover von Dylan-Alben suchte, wurde ich auf The House Of Vinyl aufmerksam gemacht. Ich habe Kurt Mathis angeschrieben, der in einer alten Schreinerei eine tolle Schallplattensammlung hat. Natürlich besass er alles, was mir noch fehlte. Und als ich ihn besuchte, fragte er mich, ob ich Lust hätte, einen «Dylan Talk» bei ihm zu machen.

Sie sind in Zug aufgewachsen und wohnen heute in Zürich, haben aber auch länger in der Region Baden gelebt.
Ja, von 1985 bis 1992 in Nussbaumen und anschliessend vier Jahre in Münzlishausen in einer Siedlung, die wir gemeinsam mit anderen Parteien konzipierten haben. Ich bin wegen meiner ersten Frau, die damals das Theater im Kornhaus geleitet hat, nach Baden gezogen und wegen der Liebe auch wieder weg. Aber ich mag die Stadt und die Leute und erinnere mich gern an diese Zeit.

Sind Sie hin und wieder hier?
Ja, regelmässig, um Freunde oder Familienmitglieder zu treffen. Mit meiner Exfrau habe ich immer noch ein gutes Verhältnis, meine jüngere Tochter Carla hat im Bäderquartier das Kafi Raab eröffnet, und Stefania, die ältere, führt mit ihrem Weinhandel Friedas Flaschen jeden ersten Samstag im Monat eine Weindegustation im Merker-Areal durch.

Haben Sie die Badenfahrt im August in Ihren Terminkalender eingetragen?
Noch nicht, aber ich habe gehört, dass sie wieder stattfindet. Obwohl es selbst mir, der inzwischen am liebsten in einer Grossstadt wie Berlin leben würde, manchmal zu viele Leute hat und zu laut ist, werde ich sicher hin­gehen. Schliesslich war ich einmal selbst im Ideenfindungskomitee, noch mit Marco Squarise als Festgestalter. Es ist verrückt, was alle Beteiligten jedes Mal erneut leisten.

Welchen Dylan-Song könnten Sie als Special Guest auf einer der vielen Badenfahrt-Bühnen singen?
Da gäbe es einige. Aus sprachlicher Sicht einer der schönsten Songs ist für mich immer noch «Mr. Tambourine Man». Jedes Mal, wenn ich ihn höre oder lese, fällt mir wieder etwas anderes auf.

Haben Sie auch mal Rockmusik gemacht?
Nein, aber ich war klassischer Chorsänger und habe im Zürcher Bachchor gesungen. Ich habe deshalb zwar eine ganz andere Ausbildung, aber ich würde es mir trotzdem zutrauen, mit einer guten Band einen Dylan-Song zu singen.

Im Lauf Ihrer TV-Karriere haben Sie sich vom «Quer»-Kopf zum «Happy»-Maker gewandelt. Spiegelt das eine persönliche Wandlung?
Nein, das glaube ich nicht. Ich war ja nicht allzu quer. Wer beim SRF so lang Karriere macht, kann gar nicht so quer sein! (Lacht.) Als wir in einer Sommerserie zum 20-Jahr-Jubiläum auf «Quer» zurückgeschaut haben, war ich aber stolz auf das, was wir damals gemacht hatten. «Happy Day» passt zu mir, weil ich ein Mensch bin, der das Leben grundsätzlich von der positiven Seite sieht.

Sie sind ausserdem Botschafter des Schweizer Hilfswerks Comundo. Was ist dort Ihre Aufgabe?
Ich war gerade zwei Wochen in Kenia, wo wir eine besondere Problematik unter die Lupe genommen haben. Man sieht dort fast keine weisshaarigen Menschen. Weil es heisst, dass weisse Haare Unglück bringen, getrauen sich alte Leute kaum mehr auf die Strasse. Wir wollen diesen Menschen eine Stimme verleihen, über mögliche Ursachen informieren und dafür sorgen, dass sie wertgeschätzt werden.