Es ist ein vertrautes Bild: Peter Meister, den alle unter dem Rufnamen «Jo» kennen, sitzt vor seinem Laden an der Bäderstrasse in Baden und raucht eine Zigarette. Im Hintergrund läuft Musik aus dem Album «Dark Side of the Moon» von Pink Floyd. Tagaus, tagein. «Ich habe über 600 CDs. Aber dazu kann ich mich einfach am besten konzentrieren», meint er. Höchste Aufmerksamkeit erfordert die Handwerkskunst des Gitarrenbaus, die er sich zu eigen gemacht hat. Was zuerst nur Hobby war, wurde nach seiner Pensionierung zum Beruf.
2015 eröffnete Meister mit 63 Jahren seinen eigenen Gitarrenladen, in dem er wertvolle Instrumente nach Wünschen seiner Klientel fertigte, Reparaturen vornahm und der vorwiegend von Musikerinnen und Musikern aus der Region frequentiert wurde. Die Geschäfte liefen zuerst gut. Dann kam Corona, und plötzlich ging gar nichts mehr. «Wenn Künstler keine Konzerte spielen, geht auch nichts kaputt. Defekte entstehen meist während des Transports von einem Ort zum anderen», bekundet er. Ohne Konzerte keine Gage, was wiederum heisst: kein Geld für neue Gitarren. Und obwohl heute vielerorts wieder «courant normal» herrscht, hat sich sein Business bis heute nicht erholt. «Zu Corona kamen Krieg, Inflation und Energiepreiserhöhungen. Die Leute sind zurückhaltender geworden beim Geldausgeben.»
Seit einiger Zeit schreibt Meister deshalb rote Zahlen. Denn die Auslagen für Miete, Strom, Versicherungen und Weiteres sind deutlich höher als die spärlichen Einnahmen. «Bevor das Loch noch grösser wird, höre ich auf», meint er und behält sein gewohnt etwas grantig wirkendes Pokerface. Emotionen zeigt er Fremden gegenüber selten bis nie. In den sozialen Medien veräussert er seine handgemachten Gitarren, Edelhölzer und Werkzeuge mit einem weinenden Emoji. Es lässt erahnen, dass ihm die Räumung seines Ladens doch etwas näher geht, als er nach aussen zugibt.
Die Blueskidz sind seine Familie
Seine Karriere als Börsen- und Devisenhändler einer Schweizer Grossbank führte ihn von seiner Heimatstadt Zürich nach London, New York und Singapur. In jeder der Metropolen lebte er ein paar Jahre und bereiste in der Freizeit die umliegenden Länder abseits touristischer Routen. «Überall, wo ich war, fühlte ich mich schnell wohl und wollte länger bleiben. Aber wegen des Berufs konnte ich nirgends Wurzeln schlagen», erzählt er. Die fand er später in Nussbaumen, wo er seit 1998 lebt und mit Überzeugung sagt: «Hier gehe ich nicht mehr weg.» Ihm behagt vor allem die Nähe zu Baden mit seiner Kultur und einer für ihn «grossartigen» Musikszene, für die er sich seit Langem intensiv engagiert. Meister war Mitbegründer des Bluesfestivals Baden. Daraus entwickelte er das Projekt Blueskidz, das pro Jahr acht bis zehn Jugendlichen ermöglicht, zu einer Band zusammenzuwachsen und ein Album aufzunehmen. 2023 entstand daraus bereits die 14. Formation. Als Manager und Projektleiter bis anhin immer mit dabei: Jo Meister. «Die Bandmitglieder nennen mich scherzhaft Grossvater», gesteht er mit einem ungewohnt breiten Lächeln, «denn sie finden, das passe zu mir. Wir wachsen während der wöchentlichen Proben zu einer richtigen Familie zusammen.»
Aber auch hier will der Musikfan mit dem silbernen Haarkranz kürzertreten. Deshalb hat er die Projektleitung an Giovanni «Johnny» Casonati übergeben, die musikalische Leitung übernimmt Sängerin Seraina Telli. Der bald 72-jährige Meister will mehr im Hintergrund wirken. «Ich fühle mich zwar noch fit, bin aber nicht mehr der Jüngste. Wenn mir etwas passieren sollte, müssen geeignete Nachfolger da sein, die das Projekt weiterführen», meint er vorsorglich, zeigt gegen den Himmel und fügt pragmatisch hinzu: «Man weiss ja nie, was der grosse Chef da oben mit einem noch vorhat.»
Selbst gewählter Einzelgänger
Die Liquidation seines Gitarrenladens hält Meister zurzeit noch auf Trab. Aber danach? Hat er keine Angst, dass ihm die Decke auf den Kopf fällt? «Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. In einer Seniorenwandergruppe werde ich mich aber sicher nicht anmelden», sagt er und zieht an seiner Zigarette. Sogenanntes Socializing und Small Talk sind ihm ein Gräuel. Als Einzelgänger ist er am liebsten allein oder mit guten Freunden zusammen. Und mit seiner treusten Begleiterin, die ihm in allen Lebenssituationen stets den Rücken stärkte: der Musik.