Wie dicke graue Vorhänge hängen die Regenwolken am letzten Tag der Badenfahrt über der Stadt. Deshalb wird es im Festareal des Kurparks das erste Mal etwas ruhiger als zuvor. Diejenigen Badenfahrt-Besucherinnen und -Besucher, die sich vom Wetter nicht ausbremsen lassen, pilgern zum schmucken Holzpavillon des Restaurants Arboretum, das sich perfekt in den alten Baumbestand einfügt und wie eine Oase inmitten des Festrummels wirkt. Vor allem Gäste, die gemütlich sitzen und tafeln möchten, statt sich an einem Imbissstand zu verpflegen, finden ihren Weg hierher. Christophe Martin ist bereits drei Stunden vor den ersten Gästen auf den Beinen und startet am frühen Nachmittag mit dem «Mise en place», damit in der Küche alles für die Essensausgabe vorbereitet ist.
Den Morgen nutzt er, um einzukaufen und Abfälle zu entsorgen. Oft ist er der Erste vor Ort und einer der Letzten, die nach Festtagsende am frühen Morgen nach Hause gehen. «Ich habe die ersten zwei Tage insgesamt fünf Stunden geschlafen und bin eigentlich dauermüde», sagt er. Trotzdem huscht ein zufriedenes Lächeln über sein Gesicht. Denn nun, nach neun Tagen Hochbetrieb, können er und seine Kolleginnen und Kollegen eine gute Bilanz ziehen. «Wir haben viel Lob für unsere Küche und den persönlichen Service erhalten. Das ist natürlich vor allem unserem Team zu verdanken. Die Zusammenarbeit war grossartig», meint er im Rückblick. Weil viele Freiwillige vorher noch nie in der Gastronomie tätig waren, haben er und das OK-Team rund um Präsident Stefan Ulrich die verschiedenen Aufgaben im «Arboretum» in Einzelfunktionen unterteilt, für die je eine Person verantwortlich war. Alle hatten ihren festen Zuständigkeitsbereich, den sie schnell in den Griff bekamen, und niemand war überfordert. Die Stimmung unter den Mitarbeitenden war entsprechend gut. Das wirkte sich natürlich auf die Gäste aus.
«Wir sind finanziell ganz sicher im positiven Bereich», so Christophe Martins Vermutung, den alle «Kiki» nennen. Am 10. Badenfahrt-Tag kann er aber noch keine konkreten Zahlen nennen. «Ganz bestimmt können wir aber für die mehreren Hundert Helferinnen und Helfer, die sich für das Projekt eingesetzt haben, bald ein schönes Fest anrichten», ist er überzeugt. Auch in hektischen Zeiten, wenn seine Augen überall sein müssen, weiss er jedem seine Wertschätzung zu zeigen. Nur ab und zu, wenn Fehler passieren, kann er kurz laut und bestimmt werden.
Seit sechs Monaten nonstop im Einsatz
Die Badenfahrt fing für Christophe Martin nicht am 18. August, sondern am 20. März 2023 an. Dann stellte der 60-Jährige einen Menüplan zusammen, erarbeitete die Materiallisten und die Einsatzpläne. «Ich wollte etwas Aussergewöhnliches anbieten, das produktionstechnisch sinnvoll ist», bekundet er. Seine Entscheidung fiel unter anderem auf Krautwickel und verschiedene Gemüsetartar. Bereits in den Sommerferien ging es mit einer Crew aus freiwilligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Küche der Schule Ennetbaden an die Essensvorbereitungen. Während dreier Wochen wurden 17 Kisten Wirz, 30 Kisten Spitzkabis, 80 Kilogramm Sellerie und Karotten sowie 25 Kilogramm Tomaten gerüstet und verarbeitet. Alles stammt von lokalen Produzenten. Weil die Zubereitung am Festtag selbst zu aufwendig gewesen wäre, wurde ein Teil der Speisen im Vorfeld schockgefroren. «Überschüssige Waren spendeten wir dem christlichen Sozialwerk Hope, das auch die Reste bekommt, die wir nach dem Fest noch haben», erklärt Chris-tophe Martin. Die gefrorenen Krautwickel, die übrig bleiben, sind begehrt. Christophe Martin hat schon Abnehmer aus Gastronomiebetrieben in der Ostschweiz und im Kanton Bern gefunden.
Ein Mann mit vielen Hüten
13 Jahre lang wirtete der gelernte kaufmännische Angestellte und spätere Sportjournalist Christophe Martin im Restaurant Blauer Engel in Rüfenach. Im März 2023 hörte er auf. «Die Zeit war reif. Meine Mitarbeitenden kamen langsam ins Pensionsalter oder waren erschöpft. Ersatz für sie zu finden, war schwierig», sagt der Vater von zwei erwachsenen Kindern dazu. Jetzt, nach der Badenfahrt, will er sich einen neuen Job suchen. Vorher steht ihm jedoch ein anderer Grosseinsatz bevor. Bereits zum 15. Mal amtet er als Fotochef des Medienteams bei der Leichtathletikveranstaltung Weltklasse Zürich. Sport nimmt einen wichtigen Platz in seinem Leben ein. Der gebürtige Lausanner, der heute in Ennetbaden wohnt, war unter anderem Jugendriegenleiter beim Stadtturnverein Baden und engagierte sich 15 Jahre als Leichtathletiktrainer beim LV Wettingen-Baden. Mit seiner Frau Andrea, einer einst national sehr erfolgreichen Mittelstreckenläuferin, joggt er regelmässig. Das Paar fuhr 2019 mit dem Velo von der Schweiz nach Barcelona. Nach einer Meniskusoperation ist dieses Jahr ein weiterer Zweiradurlaub in Frankreich geplant. Christophe «Kiki» Martin ist ein Mann mit vielen Fähigkeiten. Er sei ein kreativer Chaot und lasse sich nicht in ein Korsett zwingen, sagt er von sich selbst. Was er für die Badenfahrt aus dem Boden gestampft hat, verdient in jedem Fall Respekt.