Erinnern Sie sich daran, wie es vor 25 Jahren im Bachthalen-Quartier an der Gemeindegrenze Brugg-Windisch, zwischen dem Bahnhof und dem Königsfelder Park, aussah? Die Markthalle stand dort mit Miststock und grossem Abstellplatz und daneben das Feldschlösschen-Bierdepot. Nördlich davon befanden sich die City-Garage, ein viel benutzter bahnhofnaher Parkplatz und das Restaurant La Bussola, zudem der Coiffeursalon Friedli und die alten Kohlenlager der Voegt-lin-Meyer AG. Die südliche Steinacherstrasse säumten mehrere Gebäude der Landwirtschaftlichen Genossenschaft Brugg sowie das ursprüngliche Mühlebach-Papier-Lagerhaus und das frühere Cardinal-Depot. Dahinter dehnten sich die angejahrten Shedhallen der Kabelwerke aus – als «vereinigte Hüttenwerke» bespöttelt. Dieses Bild hat sich fundamental verändert.
Ein neuer Bildungsschwerpunkt
Im Dreieck Zürcherstrasse-Steinach-erstrasse-Bahnhof wurde im Herbst 2013 – nach einem gravierenden Brandfall bei letzten Bauarbeiten im April 2013 – der Campus Brugg-Windisch mit dem Hauptsitz der drittgrössten Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) der vier Trägerkantone AG, SO, BL, BS eröffnet. Damit konzentrierte der Aargau seine bisher in Aarau, Baden, Brugg, Windisch und Zofingen verstreuten Fachhochschulen für Pädagogik, Technik und Wirtschaft an einer Stelle. Er wurde dadurch auch im schweizerischen Hochschulnetz wahrnehmbar.
Aus einem Investitionsvolumen von 400 Millionen Franken entstand ein neues städtisches Quartier mit multifunktionaler Schul-, Kultur-, Wohn- und Wirtschaftsnutzung. 3500 Studierende und ebenso viele Besucherinnen und Besucher von Weiterbildungskursen sowie 1000 Mitarbeitende bilden hier zusammen mit den 1000 Berufslernenden im benachbarten Berufs- und Weiterbildungszen-trum (BWZ) sowie den 2800 Lernenden und 140 Lehrpersonen der Berufsfachschule Gesundheit und Soziales Brugg den grössten Bildungsplatz zwischen Zürich, Bern und Basel. Er dürfte demnächst durch eine zusätzliche Kantonsschule verstärkt werden.
Um den neuen Bildungsschwerpunkt entwickelte sich zugleich ein Forschungs- und Entwicklungsnetzwerk für den Wissens- und Technologieaustausch mit der Wirtschaft. Das Hightech-Zentrum in Brugg und der Technopark in Unterwindisch fördern in Zusammenarbeit mit renommierten Institutionen wie dem Paul-Scherer-Institut die Gründung und den Aufbau von Start-up-Unternehmen und unterstützen Aargauer Firmen in Innovations- und Technologiefragen.
Die Region Brugg profitiert von der konzeptionellen, architektonischen und atmosphärischen Ausstrahlung des FHNW-Campus. Zwar hat seine Ansiedlung die Standortgemeinden ziemlich viel Geld gekostet, doch es ist ein Return on Investment: Der wirtschaftliche Nutzen fliesst in Form von neuen Arbeitsplätzen, Löhnen, Konsum- und Investitionserträgen zurück. Ausserdem verleiht der Campus der Region soziale und kulturelle Impulse, zum Beispiel durch den Campussaal, das Sportzentrum Mülimatt und die Hochschulbibliothek, die öffentlich genutzt werden können, sowie durch Vortrags- und Seminarprogramme.
Architektonische Welten
Zwischen dem heutigen Hochschul- und dem frühen Bachthalen-Quartier liegen architektonische Welten. Den Hauptakzent setzt das siegreiche Wettbewerbsprojekt «Salamander», ein zweifacher, polygonaler sechsstöckiger Baukörper mit markanter Fassadenstruktur.
Er bietet auf 44 000 Quadratmeter Nutzfläche Platz für Campussaal, Parking, Läden, Praxen, Mensa, Cafeteria, Bar, Studienräume der Fakultäten Pädagogik und Wirtschaft, Bibliothek, Verwaltungsbüros und zuoberst für das «Campusdörfli» mit 48 Wohnungen.
Das Campusforum, ein grosszügiger Platz mit geradezu städtischem Flair, ist Teil des Hochschulquartiers. Es grenzt im Süden an die Steinacherstrasse, geht im Osten in die Campustreppen über, die zu der 1964 erstellten Fachhochschule für Technik in den architektonisch ebenfalls bemerkenswerten Hallenbauten hinaufführen, und verbindet sich im Norden durch eine Fussgängerpassage unter der Zürcherstrasse mit dem Park von Königsfelden. Alles in allem ist der Campus ein gelungener städtebaulicher Wurf – und eine neue Mitte für Brugg-Windisch.
Meisterleistung Vision Mitte
Die entscheidenden Impulse für den Campus gab die Stiftung Vision Mitte. Gegründet wurde sie von der Stadt Brugg, der Gemeinde Windisch, dem Kanton und dem BWZ Brugg, später stiessen die Kabelwerke dazu. Den Anstoss gab Professor Daniel Kündig, Zürich, der mit der Vorplanung eines Hotels im Gebiet Bachthalen befasst war, aber erkannte, dass hier viel mehr möglich wäre. Er überzeugte an einem Workshop 40 Persönlichkeiten von seiner Meinung. Der Beschluss des Grossen Rats, alle Fachhochschulen an einem Standort zusammenzuführen, beflügelte die Visionen für das neue Bildungszentrum.
Daniel Kündig übernahm gleich die Gesamtprojektleitung, bis ihn der einheimische Architekt Walter Tschudin ablöste; Windischs Gemeindeammann Hanspeter Scheiwiler wurde Stiftungspräsident. Die Vision Mitte umriss den Planungsbereich nicht zu eng. Sie dehnte ihn bis zur Mülimatt, zum Amphitheater, auf das Areal der Brugg Kabel AG sowie über den Bahnhof und den Neumarktplatz auf die Brugger Seite aus. Zu vier Fünftel lag der Perimeter auf Windischer und zu einem Fünftel auf Brugger Territorium. Die komplexe Aufgabe bestand darin, das hochwertige Areal vielfältig, dicht und zugleich qualitativ zu nutzen. Das berührte die Themen Städtebau, Architektur, Verkehr, Archäologie und Finanzierung. Bevor Architekten, Ingenieure und Bauleute in Aktion traten, entwickelte die Vision Mitte ein Gesamtkonzept mit Masterplan und Entwicklungsrichtplan, der die Nutzung des Perimeters behördenverbindlich definierte. Es gelang, die Fachhochschule Aargau in Brugg-Windisch mit anderen kantonalen, kommunalen und privaten Projekten zu einem neuen Zentrum zu verbinden.
Diverse Stolpersteine
Die Leistung beeindruckt umso mehr, als zwei Gemeinden, zwei Gemeinderäte, zwei Einwohnerräte und zwei Stimmbürgerschaften über Planung und Kosten entscheiden mussten. Ins Gewicht fiel zudem die unterschiedliche Finanzkraft von Windisch und Brugg. Kein Wunder, wurde während der Vorbereitung des Grossprojekts die Fusion der beiden Zentrumsgemeinden erwogen. Bei einer Umfrage begrüssten in Brugg 74 Prozent und in Windisch 68 Prozent diese Idee. Als es um konkrete Abklärungen ging, war der Einwohnerrat Windisch mit 27 zu 7 Stimmen dafür, wogegen die Brugger Stimmberechtigten die «Heiratspläne» mit 1991 Nein gegen 1157 Ja ablehnten.
Dem als «Jahrhundertchance» bezeichneten Campusvorhaben begegnete die Region Brugg anfänglich erstaunlich nüchtern. Der zaghaft-zögerlichen Haltung traten die IG Fachhochschule Aargau Brugg-Windisch, die IG Sporthallen, das Forum Brugg-Windisch, Brugg attraktiv, Brugg jetzt und Neues Gesicht Brugg entgegen. Ein Ruck ging durch die Bevölkerung, als die Kantonsarchäologie auf dem Baugelände interessante Fragmente der römischen Zivilsiedlung von Vindonissa freilegte und sie an äusserst gut besuchten Besichtigungen sichtbar machte.
Zwei Entscheide beschäftigten die Öffentlichkeit besonders: die kommunalen Kredite für den Bau und den Betrieb des Campussaals sowie die kantonale Volksabstimmung über den Kauf des Campusneubaus. Die Vorlage für den Saal scheiterte zunächst, weil die Stadt Brugg die 15 Millionen Franken allein hätte stemmen sollen. Der zweite Anlauf ging mit erweiterter Kostenbeteiligung von Fachhochschule und Gemeinde Windisch sowie einigen Finanzierungskunstgriffen durch, er bedurfte aber der Nachbesserung. Die Abstimmung über den Campuskredit von 190 Millionen Franken, ausgelöst durch das Referendum eines Aarauer Immobilienbesitzers mit Eigeninteressen, wurde zu einer Manifestation: Alle Bezirke und Gemeinden stimmten zu – es war der Ritterschlag für den Campus Brugg-Windisch.
Erreichtes und Pendenzen
Nach zehn Jahren darf Bilanz gezogen werden: Was brachte und bringt der Campus Brugg, Windisch und der Region? Am augenfälligsten sind die baulich-infrastrukturellen Werte: das Hochschulquartier als Ganzes, das Sportzentrum Mülimatt mit Aaresteg, der Zürcherstrasse-Boulevard (leider ohne separate Busspur stadteinwärts), der Busterminal Süd und ein zweiter SBB-Perronzugang, der Campustower mit Restaurant, Hotel und Wohnungen, neue Fabrikanlagen der Kabelwerke samt zwei Gebäuden für das Eidgenössische Nuklearsicherheitszentrum und das BWZ Brugg.
Nicht realisiert wurde die Verbreiterung der SBB-Personenunterführung, des «Mauslochs», zwischen Campus und Neumarktplatz. Man wurde sich über die Kostenteilung nicht einig. Das arme Windisch bremste. Das reiche Brugg befürchtete, «gemolken» zu werden. Der Kanton meinte, er habe im Vision-Mitte-Perimeter viel investiert – was stimmt. Aber er vergass, dass er beim Bau des Neumarktknotens für die mittlere Umfahrung die Trottoirs von der Windischer Zürcher- zur Brugger Badenerstrasse aufgehoben und nie ersetzt hatte. Das wäre mit der Campuspassage nachzuholen gewesen. Die SBB ihrerseits betrachteten die Personenunterführung als eine Ortsverbindung zwischen Windisch und Brugg – als ob hier nie Bahnkunden zirkulierten.
Entgegen der bekundeten Absicht, die Fusion Brugg/Windisch nach der Fertigstellung des Campus weiterzuverfolgen, liess man von diesem heissen Eisen die Finger. Immerhin wurde die Zusammenarbeit der beiden Zen-trumsgemeinden durch die Klammerfunktion der leider zu früh aufgelösten Stiftung Vision Mitte enger. Seit der Campuseröffnung leben Brugg und Windisch nicht mehr «Füdli an Füdli» aneinander vorbei, wie der scharfsinnige Publizist und Stadtwanderer Benedikt Loderer einst an einem Podium im Brugger Odeon spottete, sondern begegnen sich jetzt von Angesicht zu Angesicht.
Man sagt, Städte würden durch Hochschulen jung, lebendig und innovativ – umgekehrt bilde das stimulierende Umfeld einen Resonanzboden für Hochschulen. Von dieser Wirkung spürt man in Brugg-Windisch erst wenig. Ein Indiz sind die meist auswärtigen Ausgangsziele der Studierenden. Man freut sich zwar am neuen Bildungsschwerpunkt, aber der «Genius Loci» einer Studentenstadt hat den einzigen aargauischen Hochschulort noch nicht richtig beflügelt.